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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Dieser Bär wurde von einem Schullehrer Namens Meyer dargestellt, jedenfalls um den Wortwitz „Meyerbeer“ zu ermöglichen.

An ungewöhnlichen Bühneneffekten verlangt Wagner Folgendes: Seine Götter, die sich in Folge des Genusses von „jüngendem Obste“ in einer respectabeln Verfassung erhalten – es scheinen also Vegetarianer zu sein – müssen, sobald ihnen diese Kost abgeschnitten wird, vor den Augen des Publicums sichtbar altern. Der Tarnhelm wird zu allerhand Bosco-Kunststückchen verwerthet. Alberich, der mit dem Besitze desselben renommirt, zaubert seinem Bruder Mime und dann den Göttern etwas vor; vor dem Ersteren vernebelt er sich und prügelt als Nebel den sichtbaren Mime, der sich unter den Schlägen, die man natürlich nicht fallen sieht, winden und krümmen muß. Vor den Göttern verwandelt er sich in eine Schlange und dann in die Kröte. Später bedient sich Siegfried des Tarnhelms, um vor den Augen des Publicums als Gunther zu erscheinen; er muß „seine Stimme verstellen“, damit Brünnhild und mit ihr das Publicum auch glaube, daß er wirklich Gunther sei. Wir sehen ferner im „Rheingold“, wie die alt gewordenen Götter sich sichtbar wieder verjüngen; wir wohnen der Fabrikation eines Gewitters bei, sehen, wie sich die Nebel zu einer dichten Wolke zusammenballen und wie bei dem Hammerschlage des Gottes Donar der Blitz niederzuckt. Wir sehen endlich eine Regenbogenbrücke und wohnen der Luftdurchschreitung der Götter nach der Wolkenburg bei.

In der „Walküre“ soll Brünnhild „jauchzend von Fels zu Fels springen“ – man denke sich das auf der Bühne! Brünnhild soll auch „schweben“; sie soll Sieglinde auf ihr Roß heben und mit ihr durch die Luft davonsausen; wir sehen ferner eine ganze Schaar von Walküren zu Roß durch die Luft reiten; „über jedem Sattel hängt ein erschlagener Krieger“.

Im „Siegfried“ wälzt sich der Lindwurm hervor und gähnt – man kann sich vorstellen, wie das klingt – er droht mit dem Schweife, sprüht mit den Nüstern, klappt mit den Augen; Siegfried springt über ihn; der Wurm brüllt. Mime’s Leichnam wird an den Haaren über die Bühne gezerrt und in die Höhle geworfen – es ist natürlich eine Puppe – dann wird die Leiche des Wurmes von Siegfried vor die Höhle gewälzt.

In der „Götterdämmerung“ muß das Publicum die unmittelbare Wirkung des Vergessenstrankes sehen, und Siegfried hat die allerdings nicht leicht zu erfüllende Aufgabe, durch eine „schweigende Geberde“ auszudrücken, daß er Brünnhild, die er eben noch genannt hat, sofort vergessen. Ferner jagt Wahltraute auf einem Luftrosse durch die Wolken zu dem Felsen der Brünnhild und braust zu Roß durch die Wolken wieder davon. Auf demselben Felsen sehen wir die Bändigung der Brünnhild durch Siegfried: ehrliches Raufen zwischen einem erwachsenen Manne und einer höchst entwickelten Jungfrau, kein Kinderspiel! Brünnhild windet sich los; Siegfried springt ihr nach, packt sie und wirft sie zu Boden. Wir erblicken ferner die Rheinmädchen, die wir im „Rheingold“ in der Tiefe des Stromes haben herumplätschern sehen, jetzt auf der Wasserfläche schwimmend; wir sehen endlich, wie Siegfried’s Leiche auf den Scheiterhaufen geworfen wird, wie Brünnhild diesen Scheiterhaufen ansteckt und die Leiche verbrennt – beruhigen Sie sich: es ist wieder eine Puppe. Dann soll zuguterletzt Brünnhild sich auf das Roß schwingen und mit einem Satze in den brennenden Haufen sprengen. Sie that es aber nicht; sie führte das Roß gemüthlich in die Coulisse und wird wohl auch da geblieben sein; man konnte nicht mehr viel sehen, da die rothen Dämpfe Alles verhüllten.

Die rothen Dämpfe! Sie bilden ein wesentliches Moment der Wagner’schen Bühnenwirkung. Kein Dichter vor ihm hat so viel Wolken, Nebel und Dämpfe gebraucht, wie er.

Gleich in der ersten Scene des „Rheingold“ verlangt Wagner, daß sich die Fluthen nach der Tiefe zu in einen „immer feineren Nebel“ auflösen; auf Seite 19 des Textbuches verliert sich die Finsterniß in einen „feinen Nebel“; auf S. 37 ist wieder „fahler Nebel“ erforderlich; auf S. 39 verbreitet sich „Schwefeldampf“ über die Bühne; S. 41 verdüstert er sich zu „ganz schwarzem Gewölk“; S. 42 wird Alberich selbst eine „Nebelsäule“; S. 54 wird die freie Gegend in „fahlen Nebelschleier“ verhüllt; S. 62 ziehen sich die „Nebel“ zurück.

In der „Walküre“ senken sich S. 54 „schwere Gewitterwolken“ herab. „Wettergewölk“ ruht auf dem Joche; S. 57 theilt sich das „Gewölk“ in der Mitte; „Wolkenzüge“ jagen am Felsensaume vorbei; S. 66 bricht wieder „ein furchtbares Gewitter“ los; S. 69 sehen wir denn auch die „schwarzen Gewitterwolken“ im furchtbaren Sturme; S. 74 verziehen sich die „Wolken“; S. 84 sehen wir die „wabernde Lohe“, welche die ganze Bühne einnehmen soll und die ebenfalls durch roth beleuchtete Dämpfe dargestellt wird.

Nicht minder wichtig ist der Wechsel in der Beleuchtung, die Wagner ganz genau vorschreibt. So sehen wir im „Rheingold“ die „grünliche Dämmerung nach oben zu lichter werden“, S. 1. Auf S. 14 wird sie „immer lichter“; „ein zauberisch goldenes Licht bricht durch das Wasser. S. 18 ist „Nacht“, „dichteste Finsterniß“, die sich auf S. 19 allmählich aufklärt und sich wie in feinen Nebel verliert. Der „hervorbrechende Tag“ beleuchtet mit „wachsendem Glanze“ den Berg; S. 40 dämmert „dunkelrother Schein“ auf. S. 62 wird der Vordergrund erhellt – hinten bleibt es grau. S. 67 dringt aus der Felsenkluft „bläulicher Schein“, der S. 68 wieder „dunkelt“. S. 72 sehen wir das „blendende Leuchten des Regenbogens“.

Die „Walküre“ beginnt bei „völliger Nacht“. Die Hütte Hunding’s wird nur durch das Herdfeuer beleuchtet (S. 15). S. 16 beleuchtet das Feuer nur den Schwertgriff in der Esche und verglimmt, sodaß S. 17 wieder „volle Nacht“ herrscht. Draußen aber ist herrliche Frühlingsnacht und als S. 20 die Thür aufspringt, „leuchtet der Vollmond herein“ und bescheint das Paar. S. 54 „verfinstert“ sich die Bühne allmählich. S. 55 zucken „starke Blitze“; S. 56 erhellt ein Blitz das Joch; der „helle Schein“ blendet die Kämpfer; in dem „lichten Glanze“ erscheint Brünnhild, von links ein „glühend röthlicher Schein“, der bald wieder verschwindet, um der dichten Finsterniß Raum zu machen. S. 69 wird der Tannenwald wieder durch einen „feurigen Schein“ erhellt. S. 74 ist „Abenddämmerung“ und dann „Nacht“. S. 85 sehen wir den „Feuerstrahl“ und das „Feuermeer“.

Im „Siegfried“ erblicken wir S. 28 den „sonnig beleuchteten“ Wald. S. 43 „finstere Nacht“, S. 49 „Morgendämmerung“, S. 69 „Mittag“, S. 73 „Nacht“ mit Blitzen. Auf derselben Seite „erdämmert“ die Höhlengruft; wir sehen einen „bläulichen Lichtschein“ und „glitzernden Schimmer“, S. 78 „Finsterniß“, „Monddämmerung“, S. 84 „wachsende Helle“.

Die „Götterdämmerung“ beginnt wiederum bei „völliger Nacht“, S. 10 bricht der Tag, der „hervorgedämmert“, hell an. S. 34 ist „Abend“, aus der Tiefe „Feuerschein“. S. 35 schlagen die „Feuerflammen“ auf und weichen zurück. S. 38 wirft der Mond ein „grelles Licht“. S. 41 „dämmert“ der Tag vom Rheine her; die Sonne geht auf und spiegelt sich in der Fluth. S. 76 herrscht „Dämmerung“, und S. 77 bricht der Mond durch die Wolken.

Es wäre eine ganz interessante arithmetische Aufgabe, einmal genau zu zählen, wie oft es in dem „Ring der Nibelungen“ tagt, dämmert und nachtet. Außerdem wäre es lehrreich, festzustellen, von wieviel Sonnen die Erde, auf der die Wagner’sche Dichtung spielt, beleuchtet wird. Man sieht bald Sonnen mit rothem, bald mit blauem, bald mit gelbem Lichte. Einige der handelnden Personen, z. B. Wotan und Erda, haben sogar ihre Specialsonne. Sie umflimmert die allwissende Frau beständig mit bläulichem Schein, den einäugigen Gott aber ganz dunkelroth, wohin er auch seine Schritte lenkt.

Sie sehen, Wagner bedarf eines etwas complicirten Materials an lebenden Wesen, leblosen Dingen und Erscheinungen, um sein Werk zur Aufführung zu bringen. Ein gewöhnliches Theater scheint ja auch nach seinen eigenen Auffassungen gar nicht befähigt zu sein, den Anforderungen, die er stellt, zu genügen, und das Bayreuther Festspielhaus hat uns so eine Art von Vorgeschmack des Zukunftstheaters geben sollen. Daß Manches nicht geglückt, daß sogar widerwärtige Störungen vorgekommen sind, daß das scenische Arrangement oft hinter den bescheidensten Anforderungen zurückgeblieben ist, – das Alles wissen Sie längst. Freund und Feind sind darüber längst einig, daß in dieser Beziehung die Aufführung eine kaum mittelmäßige gewesen ist.

Unbillig aber erscheint es mir, jetzt die Schuld auf die ausführenden Organe, namentlich auf den verdienstlichen Brandt in Darmstadt zu wälzen. Der Tadel ist, wie ich meine, lediglich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_687.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)