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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


der saftigen Vegetation des Flußufers, Wildkatzen und Füchse, sichernd auf der Waldblöße oder auf Beute stoßend im tiefen Tannendickicht.

Ein begüterter Mäcen und großer Jagdliebhaber, dem Scholz’ Kunst seit vielen Jahren bekannt ist, hat durch den hoch angesehenen Zoologen und Reisenden Professor G. Rodde in Tiflis die Bälge der Jagdthiere des Kaukasus Scholz übermachen lassen, um sie nach dessen unübertroffener Art wieder zum Leben zu erwecken. Da sehen wir auf unzugänglicher Felsenspitze den gewaltigen Steinbock mit seinem Weibe, den riesigen Lämmergeier, das wilde Schaf des Kaukasus. Doch wir fänden kein Ende, wollten wir die immer neu hervortretenden Kunstwerke beschreiben. Wir wünschten nur, daß sie alle durch die Photographie dem großen Publicum zugänglicher würden, da die Originale sich begreiflicher Weise nur in den Händen einzelner reicher Jagd- und Naturfreunde befinden. Es würden dadurch Naturbilder geschaffen, die alles bis dahin Gesehene an Treue der Darstellung überträfen. Aus den wenigen, etwa zwanzig, die davon existiren, kann man abnehmen, ein wie großer Fortschritt in der Darstellung für die Naturgeschichte davon zu erwarten sein würde, zumal wenn man selbst die besten Kupferwerke sich so weit von der Natur entfernen sieht, daß sie neben Scholz’ Naturbildern nur als schwache Plagiate erscheinen.

Leider ist unsere Zeit, die rasch lebende und ungeduldig strebende, nicht dazu angethan, diesem Meister Nachfolger erstehen zu lassen, wie er denn auch keinen Schüler gefunden hat, er, der zwar noch rüstig und gesund ist, doch längst auf der absteigenden Linie des Lebens steht. Mit Wehmuth erfüllt es uns, den Künstler einsam in seinem Atelier in einer Kunst wirken zu sehen, die neben dem Schönen fast mehr, als irgend eine andere, das Nützliche zum Endziel hat. Möge wenigstens ihm es noch lange vergönnt sein, ein Feld zu bearbeiten, das unter seiner Pflege so vorzügliche Früchte getragen!




Götter, Helden und Wagner.
Ein Brief post festum.


     Ihr redet, wie Leute einer andern Welt,
eine Sprache, deren Worte ich vernehme,
deren Sinn ich nicht fasse. …
     So genieße Deines Ruhms unter den
Deinigen und laß uns in Ruh’!

Aus „Götter, Helden und Wieland“ von Goethe.


Verehrtester Freund!

Von Bayreuth aus während der Festtage selbst war die Aufgabe der Berichterstattung nicht anders zu lösen als in „Tagebuchblättern“, welche den frisch empfangenen Eindruck in der durch die Verhältnisse bedingten Hast wiedergaben – wie dies Wilhelm Marr in diesem Blatte gethan hat. Von ein Uhr Nachmittags gehörte man nicht mehr sich selbst, sondern nur dem Wagner-Feste. Vor Mitternacht kam man selten vom Schauspielhause nach Bayreuth zurück, wo sich dann die aufgeregte Gesellschaft in und vor der Schenke von Angermann zusammenfand, bei dem immer schlechter werdenden Biere bis tief in die Nacht hinein, oft bis zum Morgengrauen sich ereiferte und begeisterte, wo die Geister – und bisweilen auch ganz andere Dinge – aufeinanderplatzten.

Es war ein munteres, lustiges Treiben, wie es in unserm vom Klima nicht gerade bevorzugten Vaterlande selten gesehen worden ist. Wenn man die mitten in der Nacht, bei spärlicher Beleuchtung, im Freien lagernden Massen erblickte, so gehörte nicht viel Phantasie dazu, um sich ein Stück süd-italienschen Straßenlebens vorzuspiegeln. Kam man aber näher und gewahrte man, wie Damen in eleganter Toilette in Ermangelung von Stühlen auf umgestürzten Fässern Platz genommen hatten, wie der in zweifelhaftem Wasser abgespülte Steinkrug voll braunen Bieres ohne Zimperlichkeit von einem Munde zum andern wanderte, so konnte man nicht daran zweifeln, daß es genügsame Deutsche waren, da sich hier vergnügten.

So blieben inmitten dieser zeitraubenden Anstrengungen dem Zeitungsschreiber, der sich zur Berichterstattung verpflichtet hatte, nur die wenigen Morgenstunden übrig, um in aller Eile über das, was er gesehen, gehört und empfunden hatte, Buch zu führen.

Auch heute, da seit den Bayreuther Festspielen ein voller Monat über’s Land gegangen ist, kann von einem abschließenden Urtheile nicht die Rede sein. Werden doch für einen competenten Richter über das Wagner’sche Kunstwerk eine Anzahl von Eigenschaften verlangt, die nicht zu besitzen ich ehrlich zugeben muß. Der befugte Kritiker ad hoc muß, wie man allgemein versichert, ein vollkommener Musiker, ein perfecter Schriftsteller, etwas Maler und Archäologe, nebenbei Regisseur, Architekt, Maschinist, Beleuchtungskünstler und noch manches Andere sein. Aber selbst, wenn er diese Vorbedingungen erfüllt, muß er das Werk noch unbedingt loben; sonst wird jener Musterkritiker noch immer dem Vorwurfe nicht entgehen, von den Vorurtheilen unserer kleinlichen Zeit bestrickt zu sein. Es ist also außerdem noch nöthig, daß der Wagner’s würdige Kritiker erst in einigen Decennien geboren werde. Sintemalen ich diesen Anforderungen zu entsprechen mich außer Stande fühle, begnüge ich mich jetzt, da sich das Chaos der Bayreuther Eindrücke allmählich gelichtet hat und da ich meinen Empfindungen objektiver gegenüberstehe, mit der weit bescheideneren Aufgabe, die Bilanz der Festabende, wie sich dieselbe meiner individuellen Auffassung darstellt, zu ziehen, – mit Freimuth, aber ohne alle Voreingenommenheit, ohne blinde Liebedienerei, aber mit der bewußtvollen Bewunderung der ganz ungewöhnlichen Thatkraft und des erstaunlichen künstlerischen Wollens und Vermögens, die in dem merkwürdigen Manne vereinigt sind.

In Richard Wagner steckt eine Summe von Künstlern, von denen jeder einzelne ein eingehendes Studium erfordert. Sie werden es ganz begreiflich finden, daß ich den Musiker am flüchtigsten und discretesten behandle, mich dagegen mit den anderen Factoren dieser Künstlersumme etwas eingehender beschäftige.

Daß Bayreuth dem musikalischen Drama, das da bestimmt sein soll, unsere gute, alte, biedere Oper abzulösen, schon einen definitiven Sieg verschafft habe, werden wohl selbst die entschiedensten Anhänger Richard Wagner’s nicht behaupten wollen. Von einem Siege hätte ja überhaupt nur die Rede sein können, wenn der Gegner zur Stelle gewesen wäre und gegenüber gestanden hätte. In Bayreuth aber hielt das musikalische Drama einen ungewöhnlich langen Monolog und behielt sich selbst gegenüber natürlich Recht. Man wird sich doch nicht etwa auf den Beifall berufen wollen, der nach dem jedesmaligen Schließen des Vorhangs erscholl? Der Beifall bewies gar nichts, da das weitaus stärkste Contingent des Publicums aus Leuten bestand, die mit der ausgesprochenen Absicht nach Bayreuth gekommen waren, Beifall zu klatschen. Denn man darf nicht vergessen, daß das Bayreuther Bühnenfestspielhaus durch die Bemühungen der Freunde der Richard Wagner’schen Kunst errichtet worden ist, daß diese Freunde für die Summe, die sie gezahlt, Billets erhalten haben und nun diese Billets benutzten. Man war also eigentlich ganz unter sich. Dieser compacten Majorität von entschiedenen Freunden gegenüber bildete die Unbefangenen, die gar nichts dagegen einzuwenden hatten, auch schließlich zu den Freunden zu gehören, sich jedoch das Recht vorbehielten, eventuell auf diese Intimität zu verzichten, schon eine sehr bescheidene Minderheit. Der Natur der Sache nach mußten die principiellen Gegner in der Masse nun gar verschwinden; denn erstens wußten sie, daß sie sich in dieser Umgebung nicht sehr wohl fühlen würden, und zweitens pflegt man auch für das Vergnügen, etwas Unangenehmes zu hören, recht bedeutende Opfer an Geld und Zeit zu bringen. Es ist daher ebenso wenig zu verwundern, daß nach jedem Acte, ich möchte beinahe sagen: pflichtschuldig, geklatscht wurde, wie es erstaunlich ist, wenn nach der feurigen Rede eines entschiedenen Socialdemokraten in einer von Socialdemokraten berufenen Versammlung der unausbleibliche Jubel ausbricht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 685. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_685.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)