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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Metz das Eiserne Kreuz, avancirte in der Schlacht von Noisseville (31. August und 1. September) zum Feldwebel seiner Compagnie und wohnte noch einigen Ausfallsgefechten während der Cernirung von Metz bei. – In den Bivouaken vor Metz zog er sich einen Rheumatismus zu, der ihn in’s Lazareth gezwungen hätte, wenn er nicht der Compagnie zu Liebe, die nur noch einen einzigen Officier und eine unzureichende Anzahl von Unterofficieren hatte, alle Schmerzen überbissen hätte. Dies setzte er auch nach der Heim- und Rückkehr in die Garnison fort, bis er endlich, nach mehrwöchentlicher Behandlung im Lazareth und nach achtjähriger Dienstzeit ohne Invaliden-Beneficien entlassen wurde. Diese Anerkennung als Invalide und die damit verbundene Anstellungsberechtigung für den Subalterndienst hat er auch, trotz aller Schritte und Bitten durch alle Instanzen, bis jetzt noch nicht zu erlangen vermocht. Die jeden Augenblick kündbare und nicht pensionsberechtigte Stellung als Diätarius bei einer städtischen Polizeiverwaltung mit zweieinhalb Mark Tageseinnahme ist Alles, was bis jetzt ein Mann zu erlangen vermochte, der zwei Feldzüge mitgemacht und sich das Eiserne Kreuz, die Stellung als Feldwebel und ehrende Zeugnisse erworben hat. Vielleicht findet unter den Lesern dieses Blattes sich Jemand, der dem um das Vaterland verdienten Manne eine bessere und sicherere Stellung verschaffen oder an maßgebender Stelle ein gutes, wirksames Wort für ihn einlegen kann.

Noch trauriger ist das Loos eines pommerschen Lehrers. Er hat nach dem Zeugnisse seines Garde-Regiments-Commandeurs den ganzen französischen Krieg und in diesem die Schlachten von St. Privat, Beaumont und Sedan und während der Cernirung von Paris die beiden blutigen Gefechte von Le Bourget und die Vorpostengefechte von Pierresitte und Stains und bei Dugny mitgemacht. Nachdem er mit seinem Regimente dem Siegereinzug in Berlin beigewohnt, wurden die Reservisten, zu denen auch er gehörte, entlassen, vorher aber gefragt, ob sie gesund seien. Diejenigen, welche dies bejahten, mußten eine schriftliche Erklärung darüber ausstellen. Unser Mann brachte aus dem Feldzuge den Keim zu einem Brustleiden mit heim, den er wohl fühlte. aber eines Theils für ein vorübergehendes Uebel hielt, das der Ruhe des Friedens bald weichen werde, theils seiner Berufszukunft wegen glaubte verschweigen zu müssen. Nach den allgemeinen Bestimmungen vom 15. October 1842 muß nämlich jeder Lehramts-Examinand einen Nachweis über seinen körperlichen Gesundheitszustand führen; einen Lungenkranken würde jede Schulbehörde zurückgewiesen haben. Er hatte aber schon vor seiner Einberufung als Lehrer gewirkt und trat auch sofort, einstweilen als Adjunct, wieder in Thätigkeit. Die Anstrengungen in der Schule förderten aber die rasche Ausbildung des Leidens, und das Uebel wurde endlich so arg, daß er im September 1874 sein Amt aufgeben mußte. Verwandte nahmen ihn anderthalb Jahre in Pflege, allein ohne Erfolg – und so kam er denn endlich, im December 1875, um die Gewährung der Invalidenwohlthaten ein. Da er nun aber auch noch die für solche Meldungen gestellte letzte Frist – den 20. Mai 1875 – nicht gekannt und versäumt hatte, so sind alle seine Schritte um diese Wohlthat vergeblich gewesen. Er wurde erst nicht erklärter Invalid, um Lehrer bleiben zu können, und nun ist er weder Lehrer noch Invalid, sondern ein armer unglücklicher Mann, ein Opfer des „dankbaren Vaterlandes“. Wer hilft ihm?

Das dritte Beispiel führt uns den möglichen Ausfall der Invaliden-Wohlthaten vor. Ein Reservist aus der Frankfurter Maingegend wurde am 14. August bei Metz durch die linke Kniekehle geschossen. Von der schweren Verwundung in der Heimath geheilt, kehrte er zu seiner Truppe zurück, kam zwar nicht wieder in’s Gefecht, mußte aber, da durch das Exerciren seine Wunde wieder ausbrach, auf sein Gesuch und ärztliche Untersuchung zum Invaliden erklärt werden und wurde endlich als Ganzinvalide mit monatlich fünf Thaler Pension und dem Civilversorgungsschein aus der Armee entlassen. – Auf Grund dieses Scheines reichte der nunmehrige Ganzinvalide mehrere Anstellungsgesuche ein, erhielt aber entweder den Bescheid, daß man ihn eben als Ganzinvaliden nicht brauchen könne, oder im günstigsten Falle den: man habe ihn als Anwärter notirt, aber allerdings hinter einer großen Anzahl Anderer; bis diese angestellt seien, müsse er warten. Warten! Mit fünf Thaler! Darin liegt eine beachtenswerte Härte. Schwere Arbeiten kann der Invalide wegen seiner Verwundung nicht verrichten; von den fünf Thalern kann er nicht leben – was bleibt ihm übrig, als schließlich doch noch der Leierkasten?

„Die Sieger aus den Schlachtentagen,
Die soll das Vaterland zum Dank
Zeitlebens auf den Händen tragen“ –

hieß es in der Begeisterung von 1870. Und jetzt? Mit fünf Thaler warten, – und warten ohne Garantie dafür, daß die anstellenden Behörden vor allen Bewerbern den Militär-Anwärter aus der Kriegszeit gebührend zu bevorzugen haben. So lange nicht diese ehemalige Geltung der Civilversorgungsscheine wieder eingeführt ist, so lange wird das traurige Loos der Invaliden kein besseres, so lange wird aber auch die Armee an erprobten Unterofficieren steigenden Mangel leiden, weil für die Zukunft des Invalidgewordenen nicht genug gesorgt ist. Die Militär-Vacanzen-Listen entsprechen ihrem Zwecke nicht, weil sie in der Regel zu spät in die Hände der Stellensuchenden gelangen. Außerdem kostet das Stellensuchen meistens mehr Geld und Zeit, als die armen Halb- und Ganzinvaliden aufzuwenden haben.

Sollte die Beschränkung der ehemaligen Vorzüge der Civilversorgungsscheine im Interesse des Civildienstes geschehen sein, dann hätte jedenfalls der Staat die Pflicht, für die Zukunft von Männern, die im Dienste für das Vaterland die volle Arbeitsfähigkeit verloren haben, in anderer, aber genügender Weise zu sorgen. Das sind Klagen und Wünsche nicht weniger Invaliden aus dem großen Kriege, die doch endlich einmal ausgesprochen werden müssen. Vielleicht findet sich ein Anwalt für sie am rechten Orte. – Wer aber diesem dritten Manne, einem jungen, kräftig und schön gebauten Invaliden, eine Stelle verschaffen will, die ihm nicht starkes Laufen zumuthet, erfährt von uns das Weitere.

Wahrlich nicht, um unser Vaterland gegen das Ausland herabzusetzen, sondern einfach des belehrenden Vergleichs wegen, stellen wir neben unsere drei deutschen ein paar amerikanische Beispiele von der Behandlung der Wittwen und Waisen des dortigen Bürgerkriegs. Es betraf zwei Deutsch-Amerikaner. Eine Frau S. L. verlor ihren Gatten, der unter dem General B. J. Sweet gefochten, im Jahre 1864. Die gesetzliche Pension für sie und ihre zwei Kinder und die Zinsen eines kleinen Capitals mußten ihr genügen, in Zurückgezogenheit und auf bescheidenstem Fuße der Erziehung ihrer Kinder zu leben. Aber schon nach einem Jahre war es dem General gelungen, die Tüchtigkeit und Verdienste, welche er dem gefallenen Manne nachzurühmen hatte, an der Frau und den Kindern zu belohnen. Die schlichte, aber gebildete deutsche Frau wurde vom „Post Office Department“ in Washington zum Postmeister einer kleinen, aber frisch aufblühenden Ortschaft ernannt, dadurch in behagliche Verhältnisse und die Möglichkeit versetzt, die Waisen eines tapfern Kriegers seiner würdig zu erziehen.

Daß auch in Amerika in dieser Unterstützungsverwaltung nicht Alles so glatt abgeht, sondern daß die Wohlthat des Gesetzes vom 25. Juli 1866, welches allen Wittwen und Waisen der gefallenen Helden wenigstens den notwendigsten Lebensunterhalt (der Wittwe jährlich sechsundneunzig Dollars, für jedes Kind bis zu dessen siebzehntem Jahre vierundzwanzig Dollars, zusichert, bisweilen mit aller Energie erst erkämpft werden muß, dafür zeugt ein anderes Beispiel. Im Jahre 1865 fiel ein deutsch-amerikanischer Soldat, welcher eine Wittwe mit vier Kindern hinterließ. Die Pensionsertheilung war jedoch vom Nachweis des Todestags des Gefallenen abhängig, und diesen vermochte die Wittwe nicht zu liefern. Sie kehrte mit den Kindern in die deutsche Heimath (Rheinpfalz) zurück und hatte wohl die Hoffnung auf die amerikanische Hülfe schon aufgegeben als sie, als Gruß zur Weihnacht des vorigen Jahres, vom General-Consul A. Schücking in New-York die Freudenbotschaft erhielt, daß es ihm nach achtjähriger Bemühung gelungen sei, ein Pensionsdecret für sie und ihre Kinder zu erlangen. Da als Todestag des Mannes der 8. März 1865 angenommen worden war, so betrug die rückständige Pension nahe an zweitausend Dollars, die der Familie ausgezahlt wurden, und die Frau genießt ihre Pension in ihrer Heimath, so lange sie lebt.

Wir wiederholen, daß dieser Vergleich nicht mit der Absicht gezogen wurde, das Fremde über das Heimische zu erheben. Wenn derselbe aber dazu beitragen sollte, daß das Loos unserer Invaliden und der Hinterbliebenen unserer gefallenen Helden wieder mit wärmerer Theilnahme betrachtet und künftig kein Sedanfest gefeiert werde, ohne vor Allem ihnen zu Gute zu kommen, so wollen wir dafür die Anzweifelung unseres Patriotismus uns gern gefallen lassen.




Wie Einer dem „Reichscanarienvogel“ nachflog. Bei einer zufälligen Durchsicht des Jahrgangs 1862 der „Gartenlaube“ stieß ich auf die Beschreibung der Flucht des „Reichscanarienvogels“ (Rösler aus Oels) aus der württembergischen Festung Hohenasperg im Jahre 1850. Diese Schilderung erinnert mich an die etwas später aus derselben Festung erfolgte Flucht des Apothekers Frech aus Ingelfingen, deren Einzelheiten damals nicht mitgeteilt werden konnten, weil die Theilnehmer ihrer eigenen Sicherheit wegen schweigen mußten. Als Hauptperson war bei derselben der Redacteur Heerbrandt aus Reutlingen, jetzt längst in Amerika, betheiligt. Derselbe befand sich wegen verschiedener politischer Anklagen in Untersuchungshaft, war nebenbei aber auch wegen Beleidigung des Gemeinderates in Reutlingen zu drei Monaten Festungsarrest verurteilt.

Nach seiner Verhaftung, welche einen Aufstand in Reutlingen zur Folge hatte, dämmerte in ihm die Idee auf, daß er, nachdem seine Untersuchungshaft beendet, noch seine Strafhaft abzusitzen habe, und dem wollte er vorbeugen. Er meldete sich deshalb sofort beim Untersuchungsrichter als Strafarrestant, worüber dieser lachte, da Heerbrandt ja ohnehin Arrestant sei, allein unser Freund bestand darauf, daß die Sache dem betreffenden Gericht vorzulegen sei, und der Gerichtshof entschied gegen ihn. Nun wurde an das Obertribunal appellirt, und dieses fällte ein Urtheil zu Gunsten Heerbrandt’s. So hatte er das doppelte Vergnügen, Straf- und Untersuchungsgefangener zu sein.

Nach etwa zehn Wochen wurde er gegen Caution aus der Untersuchungshaft entlassen und in das Local der Strafgefangenen versetzt, um seine Strafe vollends abzubüßen, wodurch er die Erlaubniß erhielt, sich den ganzen Tag auf der Festung herumzutreiben.

Ueber seinem Zimmer war Frech mit zwei Anderen einlogirt. Eines schönen Tages hob derselbe ein kurzes Brett aus dem Fußboden und bohrte mit einem Messer einen Spalt in die Decke von Heerbrandt’s Zimmer, um durch ihn seine Correspondenz befördern zu lassen. Einige Tage später kam er auf die Idee, den Spalt in ein großes Loch zu verwandeln und durch dasselbe zu entfliehen. Heerbrandt erklärte sich auf eine desfallsige Anfrage zu jeder Hülfeleistung bei der Flucht bereit. Der Spalt wurde vorsichtig so erweitert, daß man Stricke für eine Leiter durch denselben schieben konnte, zu welchem Zwecke sieben nagelneue Stricke hinaufwanderten, ebenso ein Festungsplan und eine Auseinandersetzung über die weiteren Verhaltungsmaßregeln, welche durch Heerbrandt ausgezeichnet vorbereitet und ebenso ausgeführt wurden.

Die südliche Seite der Festung war die längste und bildete beinahe eine gerade Linie. An beiden Enden des Walls, welcher selbstverständlich um die ganze Festung herumführte und mit Ausnahme desjenigen Theiles, welcher zum Spaziergang für die Untersuchungsgefangenen bestimmt war, den Strafgefangenen zur Erholungsstätte in frischer Luft diente, stand eine Schildwache, welche den ganzen Weg leicht übersehen, jedoch in die beiden trockenen Wallgräben von ihrem Standpunkt aus nicht gut hinunter blicken konnte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 677. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_677.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)