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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


und wollte man ihnen auch ausweichen – es geht nicht; denn die allgemeine Aufregung hat sich auch der Rosse bemächtigt. So geht es dahin im wilden Laufe über Stock und Stein, über Wurzeln und Gräben, hier einen abschüssigen Hang hinab, dort wieder hinauf. Hussa und Hörnerklang hallt durch den weiten Wald. Durch das Gezweige leuchten überall, gleich fliegenden rothen Streifen, die bunten Jagdkleider.

Nun haben die Hunde den Keiler aufgespürt und erreicht; einige hängen sich an seine Ohren, um seine Flucht zu hemmen. Vergeblich sucht das gehetzte Thier die Meute von sich zu schütteln; – schon sind auch die Reiter auf seinen Fersen. Lautes Hallali wiederhallt im Forste und verkündigt das Ereigniß der Jagdgesellschaft. Während diese sich alsdann rings um den Prinzen versammelt, wird der todte Eber auf den Wagen gehoben und mit Laub und Tannenzweigen bedeckt. Jeder der Jagdgenossen, welcher dem Hallali beiwohnt, empfängt aus den Händen des Prinzen einen grünen Zweig. So geschmückt, treten die Reiter, dem Wagen folgend, unter fröhlichem Hörnerklang den Zug nach dem Jagdschlosse an, wo ein einfaches waidmännisches Mahl eingenommen wird.

(Nr. 3 etc. folgt.)



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Vineta.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Waldemar hatte sich erhoben und das Auge finster auf sie gerichtet. „Als ich Dir vor vier Jahren Wilicza zum Wohnsitze anbot, fühlte ich mich verpflichtet, die Stellung meiner Mutter in einer Weise zu regeln, daß sie hier als Schloßherrin auftreten konnte – die Güter selbst blieben ja wohl mein Eigenthum?“

„Hat Dir das schon Jemand bestritten?“ fragte die Fürstin in dem gleichen Tone. „Ich dächte, Dein Recht auf Deine Güter wäre noch von keiner Seite angezweifelt worden.“

„Nein, aber ich sehe jetzt, was es heißt, sie jahrelang in den Händen der Baratowski und Morynski zu lassen.“

Die Fürstin erhob sich jetzt gleichfalls. Mit ihrem ganzen Stolze stand sie dem Sohne gegenüber.

„Was soll das heißen? Willst Du etwa mich dafür verantwortlich machen, wenn die Verwaltung nicht nach Deinen Wünschen ist? Klage Deinen Vormund an, der hier ein halbes Menschenalter hindurch eine ganz unerhörte Beamtenwirthschaft duldete! Mir ist das nicht verborgen geblieben, aber das hast Du mit Deinen Untergebenen auszumachen, mein Sohn, und nicht mit mir.“

„Mit meinen Beamten?“ rief Waldemar bitter. „Ich glaube, Frank ist der Einzige, der mich noch als Herrn anerkennt; die übrigen stehen sämmtlich in Deinen Diensten, und wenn sie es auch wohl nicht wagen werden, mir offen den Gehorsam zu verweigern, so weiß ich doch, daß jeder meiner Befehle ein Heer von Ausflüchten, Intriguen und Verneinungen hervorruft, sobald Du es für gut hältst, Dein ‚Nein‘ dagegen zu setzen.“

„Du träumst, Waldemar,“ sagte die Fürstin mit spottender Ueberlegenheit. „Ich habe nicht geglaubt, daß Du so vollständig unter dem Einflusse des Administrators stehst, ich bitte Dich aber ernstlich diesem Einflusse Schranken zu setzen, sobald es sich um Deine Mutter handelt.“

„Und ich bitte Dich, gieb die alten Versuche auf, mich zu stacheln!“ unterbrach sie der junge Gutsherr. „Einst vermochtest Du es freilich, mich mit der Furcht vor einem fremden Einflusse, der sich meiner bemächtigen könnte, geradesweges in den Deinigen hineinzutreiben; erst seit ich einen eigenen Willen habe, ist es mir gleichgültig, ob ich den Schein davon bewahre oder nicht. Ich habe wochenlang geschwiegen, eben weil ich den Berichten des Administrators nicht traute; ich wollte mit eigenen Augen sehen, jetzt aber frage ich Dich: Wer hat die Pachtgüter, die vor vier Jahren noch sämmtlich in deutschen Händen waren, an Deine Landsleute ausgeliefert, zu ganz unglaublichen Bedingungen, ohne jede Garantie, ohne jede Sicherstellung gegen den Ruin, dem sie die Pachtungen entgegenführten? Wer hat in die Forstverwaltung ein Personal gebracht, das Euren nationalen Interessen allerdings vorzüglich dienen mag, den Ertrag meiner Waldungen aber um die Hälfte verringert? Wer hat endlich dem Administrator seine Stellung so unerträglich gemacht, daß ihm nichts übrig blieb, als zu gehen? Er besaß zum Glück Energie genug, mich zu Hülfe zu rufen, sonst wäre ich wahrscheinlich noch länger fortgeblieben, und es war die höchste Zeit, daß ich kam. Du hast rücksichtslos Alles den Traditionen Deiner Familie geopfert, meine Beamten, mein Vermögen, meine Stellung sogar, denn man glaubt natürlich, es sei mit meiner Bewilligung geschehen. Die Güter sind zu Zeiten meines Vormundes schlecht verwaltet worden, aber es konnte ihnen nicht viel schaden, denn sie tragen unerschöpfliche Hülfsquellen in sich, erst die letzten vier Jahre unter Deiner Hand haben sie an den Rand des Verderbens gebracht. Dir konnte das nicht verborgen bleiben. Du hast Scharfblick genug, zu sehen, wohin das schließlich führen mußte, und Energie genug, dem Verderben zu steuern, sobald Du nur wolltest, aber freilich, solche Rücksichten konnten und durften nicht gelten. – Du hattest Wilicza ja einzig für die Revolution vorzubereiten.“

Die Fürstin hatte schweigend zugehört, mit einer Art von starrem Erstaunen, das sich mit jeder Minute steigerte und mehr der Haltung als den Worten ihres Sohnes galt. Es war ja nicht das erste Mal, daß in diesen Räumen solche Worte fielen: der verstorbene Nordeck hatte seiner Gemahlin oft genug vorgeworfen, daß sie „rücksichtslos Alles den Traditionen ihrer Familie opfere“, nur daß er im Entstehen zu verhindern wußte, was jetzt nahezu ausgeführt war, aber nie hatte eine solche Scene stattgefunden, ohne daß sich die Natur des Gutsherrn in ihrer ganzen Rohheit zeigte. Mit maßlosem Wüthen und Toben, mit einem Strom von wilden Schmähungen und Drohungen versuchte er sein Gebieterrecht geltend zu machen, ohne daß er der stolzen furchtlosen Frau jemals etwas Anderes entrissen hätte, als ein Lächeln der Verachtung. Sie wußte ja, daß der Emporkömmling weder Meinung noch Charakter besaß, daß sein Haß wie seine Parteinahme nur den niedrigsten Beweggründen entstammten, und wenn irgend etwas ihrer Verachtung gleichkam, so war es die Empörung darüber, daß man ihr einen solchen Mann als Gatten aufgezwungen. Hätte ihr Waldemar eine ähnliche Scene gemacht, es würde sie nicht im Mindesten überrascht haben; daß er es nicht that, das eben machte sie so bestürzt. Er stand ihr in vollkommen ruhiger Haltung gegenüber und warf ihr kalt, aber mit vernichtender Schärfe Wort auf Wort, Beweis auf Beweis entgegen. Sie sah trotzdem, wie es in ihm kochte. Die Ader an seinen Schläfen schwoll drohend auf, und seine Hand vergrub sich krampfhaft in die Polster des Sessels, an dem er stand, aber das waren auch die einzigen Zeichen der inneren Gereiztheit. Blick und Stimme verriethen nichts davon; er beherrschte sie vollständig.

Es vergingen einige Secunden, ehe die Fürstin antwortete. Ein Ableugnen oder Verbergen ließ ihr Stolz nicht zu – es wäre auch nutzlos gewesen. Waldemar wußte offenbar zu viel; auf seine Blindheit konnte sie nicht ferner rechnen; es galt also, eine ganz neue Stellung einzunehmen.

„Du übertreibst,“ entgegnete sie endlich. „Bist Du so furchtsam, Dein ganzes Wilicza bereits in Revolution zu sehen, weil ich bisweilen meinen Einfluß zu Gunsten meiner Schützlinge verwandt habe? Es thut mir leid, wenn einige derselben mein Vertrauen täuschten und Dir Schaden zufügten, wo sie ihre Pflicht hätten thun sollen, aber das kommt überall vor; es steht Dir ja frei, sie zu entlassen. Was ist es denn eigentlich, was Du mir zum Vorwurf machst? Die Güter waren so gut wie herrenlos, als ich hierher kam. Du kümmertest Dich nicht darum, fragtest niemals darnach; da glaubte ich mich als Mutter berechtigt, die Zügel, die Deiner Hand so vollständig entglitten, in die meinige zu nehmen, wo sie wohl immer noch besser aufgehoben waren, als bei Deinen Untergebenen. Ich habe sie allerdings in meiner Weise geführt, aber Du wußtest ja, daß ich von jeher auf Seiten meiner Familie und meines Volkes gestanden habe – ich machte Dir niemals ein Geheimniß daraus; mein ganzes Leben zeugt davon, und Dir gegenüber bedarf das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_674.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)