Seite:Die Gartenlaube (1876) 672.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

er auf der Wildparkstation bei Potsdam ein, von dem Könige und der Königin Elisabeth auf dem Bahnhofe empfangen. Sein erster Weg war – mit diesen gemeinsam – in das Mausoleum zu Charlottenburg, um der Gedächtnißfeier für seinen königlichen Vater beizuwohnen.

Das seit den Märztagen völlig veränderte Aussehen der Hauptstadt, die kühle Aufnahme, welche ihm in der Nationalversammlung zu Theil wurde, in die er von dem Kreise Wirsitz im Großherzogthum Posen als Abgeordneter gewählt worden war, mögen unerfreuliche Eindrücke bei dem Prinzen hervorgerufen haben. Um so herzlicher war der Empfang, den ihm die zweite Residenzstadt Potsdam bereitete. Die Illumination der Stadt wurde wegen des Todestages Friedrich Wilhelm’s des Dritten auf den folgenden Abend festgesetzt; nur das Dorf Nowawes, als Nachbarin des Schlosses Babelsberg, wollte seine Freude über die Rückkehr des Prinzen nicht vertagen, und noch an demselben Abend leuchteten alle Fenster der kleinen Webercolonie.

Am Abend des 10. Juni brachten die Officiercorps der Potsdamer Garnison dem Prinzen in Babelsberg eine Huldigung dar. Ueber hundert mit Blumen, Laubgewinden und Flaggen geschmückte offene Gondeln schwammen von Potsdam auf der schönen, breiten Havel heran; zahllose Fackeln und bunte Laternen warfen ihren Schein in den am Fuße des Babelsberges sich ausbreitenden Wasserspiegel, und die Klänge von fünf Musikcorps zogen in der lauen Sommernacht über die Wasserfläche zum Schlosse empor. In den nächsten Tagen empfing der Prinz in Babelsberg Adressen und Deputationen aus den Provinzen. In Berlin aber fing man an zu fürchten, daß die kleine Burg an der Havel ein Herd der Reaction werden könne, und es wurde von den aufgeregten Volkshaufen allen Ernstes ein Ueberfall des ganz unbewachten Schlosses beabsichtigt, so daß der Commandant jetzt eine Bewachung der sämmtlichen Zugänge anordnete. Der Prinz beachtete übrigens die drohenden Gerüchte nicht im Geringsten, sondern ging stets allein im Park und in der Umgegend spazieren.

Auch in den folgenden Jahrzehnten hat er in Babelsberg als Prinzregent, als König und als Kaiser den Wechsel des Schicksals erfahren, was aber unverändert geblieben, das ist seine eigene, tiefinnerste Natur. –

Kurz vor seiner Confirmation durch den königlichen Hofprediger Ehrenberg (8. Juni 1815) hatte der damals achtzehnjährige Prinz Wilhelm sein Glaubensbekenntniß aufgesetzt und demselben eine Reihe von Lebensgrundsätzen beigefügt. Wir finden in dieser Schrift die schönen Sätze:

„Ich weiß, was ich als Mensch und als Fürst der wahren Ehre schuldig bin. Nie will ich in Dingen meine Ehre suchen, in denen nur der Wahn sie finden kann.“

„Meine Kräfte gehören der Welt, dem Vaterlande. Ich will daher unablässig in dem mir angewiesenen Kreise thätig sein, meine Zeit auf das Beste anwenden und so viel Gutes stiften, als in meinem Vermögen steht.“

„Ich will ein aufrichtiges und herzliches Wohlwollen gegen alle Menschen, auch gegen die Geringsten – denn sie sind alle meine Brüder – in mir erhalten und beleben.“

„Ich will mich meiner fürstlichen Würde gegen Niemand überheben, Niemand durch mein fürstliches Ansehen drücken, und wo ich von Anderen etwas fordern muß, mich dabei herablassend und freundlich zeigen und ihnen die Erfüllung ihrer Pflicht, soviel ich kann, zu erleichtern suchen.“

Das ganze Leben des Kaisers, wie es klar und offen vor uns liegt, scheint nur die Erfüllung der Vorsätze zu sein, die er damals, vor nun einundsechszig Jahren, als Jüngling sich gelobt.

Es mögen Empfindungen eigener Art sein, die jetzt die Brust des Kaisers durchziehen, wenn er mit den Erinnerungen an die durchlebte Vergangenheit allein die Gänge seines Parkes zu Babelsberg durchschreitet, jetzt, wo die Liebe und Treue seines Volkes ihn auf allen Wegen und Tritten begleitet, wo er sein Werk im Herzen des Volkes fest begründet sieht und wo er seine Blicke mit freudigem Stolze auf der Schaar seiner Kinder und Enkelkinder ruhen lassen kann, die berufen sind, dieses Werk zu behüten und daran fortzubauen.

Für die Bevölkerung Potsdams hat der nähere Verkehr mit dem Kaiser und dem Hofe noch eine besondere Bedeutung. Unter ihr ist die Erinnerung an die früheren Könige durch die Tradition noch lebendiger geblieben, als irgendwo; sie nimmt gewissermaßen persönlichen Antheil an allen Ereignissen innerhalb der königlichen Familie. Für Jeden knüpfen sich hier besondere Erinnerungen an die Erscheinung des königlichen Herrn. Hier ist noch einer seiner alten Kriegsgefährten aus der eisernen Zeit von 1813 bis 1815, gebeugt am Stabe, „mit weißem Haar und dem verblich’nen Band“, dort Einer, dem er das Düppeler Sturmkreuz auf die Brust geheftet hat, und dort ein Anderer, der auf den Longchamps vor den Thoren von Paris unter den Augen des Kaisers die Revue passirt ist.

Man spricht in Potsdam wenig vom „Könige“ und noch weniger vom „Kaiser“, um so öfter aber von „unserm Herrn“ oder von „dem lieben Herrn auf Babelsberg“. Kein stürmischer Zuruf schallt dem Kaiser entgegen, wenn er sich in den Straßen von Potsdam blicken läßt, aber auch der einfache, ehrerbietige Gruß, das Abziehen der Kopfbedeckung, genügt den Getreuen in Potsdam nicht immer. So sahen wir es an einem Sonntage nach dem Gottesdienste in der Garnisonkirche. Mehrere ältere, würdige Herren bildeten Spalier vor dem Ausgange der Kirche; sie entblößten ehrerbietig die Häupter, als der Kaiser heraustrat, und während er dankend an ihnen vorüberschritt, ging fast feierlich von Mund zu Munde der leise Gruß: „Gott erhalte Eure Majestät!“


2.

König Friedrich Wilhelm der Vierte trug sich bekanntlich mit dem Plane, die ganze von den Wasserarmen und Seen der Havel umschlossene Insel, auf der Potsdam liegt, in einen großen landschaftlichen Garten zu verwandeln. Und in der That, wer heutzutage aus der Luftballon-Perspective auf die Umgebung von Potsdam herabschaute, der würde zugestehen müssen, daß an der Verwirklichung des königlichen Gedankens nicht viel fehlt. Von allen Seiten lehnen sich bereits die Parks und Gärten der königlichen Schlösser an die Stadt, und überall reicht der Anhang des Hofes noch in die Vorstädte von Potsdam hinein. Im Westen treten wir bei dem Obelisk aus der Stadt unmittelbar in den Garten von „Sanssouci“. Im Norden erstreckt sich der „Neue Garten“ am Ufer des Heiligen Sees, in dessen klaren Fluthen sich der üppige „Marmorpalast“ König Friedrich Wilhelm’s des Zweiten spiegelt. An dem linken Ufer der Havel entlang ziehen sich gegen Nordosten und Osten die königlichen Parks von Babelsberg und Glienicke, zwischen denen das bescheidene Dörfchen Klein-Glienicke schamhaft hervorschaut, wie eine schüchterne Maid im diamantenen Gürtel.

Schattige, breite Alleen, in denen die königlichen Equipagen aneinander vorüberrollen und gewandte Cavaliere ihre Rosse courbettiren lassen, führen von einem Parke zum andern, und indem wir ihnen folgen, empfangen wir bei dem Rauschen der Fontainen, den reizenden Durchblicken, die zwischen den Waldpartien hin und wieder auf die blaue Wasserfläche und die Lustschlösser an ihrem Ufer sich öffnen, den Eindruck, als wanderten wir fortwährend in einem heitern Garten.

Beim Verlassen des Dorfes Klein-Glienicke erblicken wir, von Babelsberg kommend, zu unserer Linken das neuerbaute Palais und den Park des Feldmarschalls Prinzen Friedrich Karl von Preußen. Das „Jagdschloß Glienicke“ ist zugleich der Lieblingsaufenthalt der jugendlichen Töchter des Prinzen, deren Neigungen die ländliche Stille und Zurückgezogenheit hier mehr zusagt, als das Leben in der geräuschvollen Hauptstadt und in der hochgelegenen Wohnung des königlichen Schlosses daselbst, von der aus man keinen grünen Zweig erblickt, keine fröhliche Vogelstimme vernimmt – weder im Januar, noch im Mai. Hier strömt die schöne Luft ungehindert durch Fenster und Thüren in die Zimmer; hier fahren die drei Prinzessinnen oder zwei von ihnen (gewöhnlich die beiden jüngeren, Prinzessin Elisabeth und Louise Margarethe) fast täglich in dem einfachen zweispännigen Wagen allein spazieren, wobei die Prinzessinnen selbst abwechselnd die Zügel führen, während der fahrgewandte Groom hinten aufsitzt. Auch Reiten gehört zu den beliebten, wenn auch selteneren Vergnügungen der beiden jüngeren Prinzessinnen, und noch bei einer der letzten Paraden bei Berlin erschien die Prinzessin Elisabeth an der Seite der Frau Kronprinzessin zu Pferde. Alle drei Prinzessinnen sind in Potsdam geboren; sie haben hier ihre glückliche Kindheit verlebt und hängen mit ganzem Herzen an der märkischen Heimath. Weder die Großartigkeit der bairischen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 672. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_672.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)