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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

des jetzigen Kaisers (seit 1835) hier auf den sandigen Höhen am linken Ufer der Havel entstehen ließen.

Das ganze Babelsberg, Schloß und Park, zeugt von dem einfachen, edlen Geschmacke, den schlichten Neigungen des kaiserlichen Besitzers. Abgesehen von dem Standbilde des Erzengels Michael mit dem Drachen (nach Kiß von Fischer) und der in neuerer Zeit im Parke aufgestellten Siegessäule mit der Victoria (von Rauch), welche das Antlitz der königlichen Hof- und Garnisonkirche zuwendet, als wollte sie den Lorbeerkranz in der erhobenen Rechten auf dem Sarge Friedrich’s des Großen niederlegen, finden wir keine prachtvollen Monumente, keine kunstvollen Grotten und Bassins, wohl aber manchen Gegenstand von historischem Interesse.

Dahin gehört jener merkwürdige, viereckige Bau aus rothen Backsteinen und Klinkern, in welchem acht Strebepfeiler und eine Mittelsäule das vierfache Kreuzgewölbe der Decke tragen und welchen die Berliner mit Verwunderung als ihre alte Gerichtslaube wiedererkennen, die seit sechs Jahrhunderten unverrückt auf demselben Platze in der Königsstadt gestanden und so manches Capitel aus den Berliner Stadtgeschichten zu erzählen weiß. Bei dem Baue des neuen Rathhauses in Berlin sollte das mittelalterliche Bauwerk den Anforderungen des gesteigerten Verkehrs zum Opfer fallen; da nahm Kaiser Wilhelm die alte städtische Reliquie in seinen Schutz und gab ihr diesen Platz auf der sogenannten Lenné-Höhe in seinem eigenen Schloßparke, indem er sie ganz in der alten Weise und zum Theile aus dem alten Baumateriale hier wieder aufrichten ließ. Nun ist sie das Ziel von vielen Fremden, namentlich von Berlinern, die sich von der Plattform aus der lieblichen Aussicht über die Stadt und den blauen Havelstrom freuen.

Ein anderes, kleineres Denkmal im Parke, das sogenannte „Bildstöckl“ – das ist eine kleine, steinerne Säule, oben mit einem Schreine zur Aufbewahrung eines Heiligenbildes, welche dicht am Ufer der Havel zwischen zwei Ruhebänken steht – erinnert an eine Episode aus dem Leben des jetzigen Kaisers, die im Jahre 1849 spielte. Damals stand dieses Bildstöckl als eine Markscheide zwischen den Dörfern Bischweier und Muggensturm im Großherzogthum Baden, und ganz in seiner Nähe hielt der Prinz von Preußen, Oberbefehlshaber der preußischen Truppen in Baden, mit dem Grafen Pückler, Oberstlieutenant im vierundzwanzigsten Landwehrregimente und Hofmarschall des Prinzen, während um die Dörfer ein hitziges Gefecht zwischen den preußischen Truppen und den badischen Insurgenten entbrannte. Obgleich die Kugeln ganz in der Nähe des Prinzen einschlugen, betrachtete dieser ruhig und aufmerksam die kleine Säule und äußerte dabei zu seinem Begleiter, dem Grafen Pückler: „Ein ähnliches Bildwerk wollte ich am Havelufer meines Parks zu Babelsberg aufstellen; dieses hat ungefähr die Form, welche ich mir dafür dachte.“ Die vorübermarschirenden Truppen wunderten sich über die Kaltblütigkeit, mit welcher der Prinz mitten im feindlichen Feuer vor dem unbedeutenden Gegenstande verweilte. Später kam der Vorgang zu Ohren des damaligen Großherzogs von Baden. Dieser aber ließ die Säule mit einer Platte versehen, auf welcher das eiserne Kreuz und das Datum „29. Juni 1849“ eingegraben waren, und übersandte sie als Erinnerungszeichen dem Prinzen nach Babelsberg. An ihre ursprüngliche Stelle ward ein ähnlicher Markstein gesetzt.

Auch die vier kleinen Kanonen auf blauen Laffeten, welche von einem Rasenplatze auf die Havel herabschauen und wohl nur zu Freudenschüssen abgefeuert werden, gehören zu den charakteristischen Zierden des Parks.

Wenn der Kaiser nicht selbst im Schlosse anwesend, ist der Besuch der inneren Räume für Jedermann erlaubt; ja, es ist gestattet, dieselben Zimmer in Augenschein zu nehmen, die er soeben erst verlassen, und wir können wohl die Feder noch naß finden, mit der er gearbeitet hat. Das Leben des Kaisers liegt hier vor uns, wie ein aufgeschlagenes Buch. Dieselbe Einfachheit, welche uns im Parke anheimelte, herrscht auch hier. Es sind weniger Gegenstände von Kunstwerth, als solche von militärischem Interesse oder liebe Andenken die den Schmuck der bewohnten Zimmer bilden. Hier sehen wir die Marmorbüsten der Eltern des Kaisers, König Friedrich Wilhelm’s des Dritten und der Königin Louise von Rauch, dort ein Sophakissen von der Königin Louise eigenhändig gestickt, und auf dem Kamin eine von der Frau Kronprinzessin modellirte Büste der Kaiserin Augusta. Jenes weiße gehäkelte Deckchen auf dem Sopha ist die erste Handarbeit der Frau Großherzogin Louise von Baden, Tochter des Kaisers, und dieser kunstvoll gedrechselte Gartenstuhl das Meisterstück des Kronprinzen – denn bekanntlich müssen die königlichen Prinzen in der Jugend auch ein Handwerk lernen. Deutet so Alles in diesen Zimmern auf Arbeit und auf die gesegneten Früchte der Thätigkeit hin, so haben edler Frauen Hände durch anmuthige Stickereien dafür Sorge getragen, daß in dem Kranze der goldenen Aehren das holde Blau der Cyanen nicht fehlt, auf dem der Kaiser die angestrengten Augen gern ruhen läßt. Die kleine Bibliothek auf dem Arbeitstische enthält größtentheils Werke militärischen Inhalts, Karten und Manöverpläne.

Von besonderer Einfachheit ist auch hier das Lager des Kaisers, mehr einem Feldbett, als einem Ruhelager ähnlich, – eine Matratze, ein Kopfkissen, mit Leder überzogen, und eine Friesdecke. Wenn der Kaiser zur Ruhe geht, fällt sein Blick auf ein am Fußende des Bettes angebrachtes Kreuz mit dem Heilande, das sich in einem geschnitzten Holzgehäuse befindet; am Kopfende sehen wir ein sinniges Aquarellbild von der Hand der Kaiserin Augusta, die Lebensreise darstellend, mit dem Genius am Steuerruder, ein Geschenk, mit welchem die damalige Prinzessin von Preußen ihren Gemahl bei der silbernen Hochzeitsfeier erfreute (11. Juni 1854).

Nur wenige Stunden überläßt der Kaiser sich der Ruhe. So wie man in Berlin oft noch spät in der Nacht durch das erleuchtete Fenster des Eckzimmers im kaiserlichen Palais seine hohe Gestalt am Arbeitstische erblickt, so sieht man auch hier vom Parke aus noch lange das Licht in seinem Arbeitszimmer. Und schon früh am Morgen beginnen wieder die Vorträge, deren Reihe an bestimmten Tagen der Geheime Hofrath Schneider durch Mittheilungen aus den Zeitungen und der Tagesliteratur eröffnet. Das Hausreglement wird stets mit der größten Pünktlichkeit gehandhabt; die Zeiten der Ausfahrten werden, wenn keine besondere Verhinderung eintritt, auf das Genaueste innegehalten, und es dürfte wohl schwerlich der Fall vorgekommen sein, daß der Kaiser zu einer Parade oder Truppenbesichtigung nur eine Minute nach der angesetzten Zeit auf dem Platze erschienen wäre.

Trotz der militärischen Strenge in der Hausordnung sieht man in der Umgebung des Schlosses überall nur freundliche Gesichter. Es ist, als ob man Jedem – von dem Gärtner, der den Rasen pflegt, bis zu dem Küchenjungen, der sein Eselsgespann durch die Seitenwege des Parkes zur königlichen Küche leitet – im Gesichte läse, wie gern und freudig er seinen Dienst thut, und es fiel uns nicht auf, als wir beim Spaziergange durch den Park aus einem Oekonomiegebäude neben dem Cavalierhause den harmlos frohen Chorgesang der Mägde weithin durch den Garten schallen hörten, obgleich der Kaiser im nahen Schlosse anwesend war. Ich glaube, sie sangen: „Wer will unter die Soldaten, der muß haben ein Gewehr etc.“

Auch Babelsberg hat den Wandel der Zeiten erlebt. Im Jahre 1848 hatte das Schloß soeben einige bauliche Erweiterungen und Verschönerungen erfahren, als die Ereignisse eintraten, welche den Besitzer mehrere Monate hindurch von seinem Lieblingssitze fern hielten. Wie dem Prinzen von Preußen zu Muthe war, als er in jener Zeit der Noth, fern von seinem Vaterlande, die Gastfreundschaft eines fremden Hofes genoß, darauf können wir aus einer kurzen Notiz von seiner Hand in dem Gesangbuche schließen, welches einer der Besuchenden in Babelsberg auf seinem Arbeitstische aufschlug. Es fand sich darin bei dem Liede Nr. 399 (des Hannoverschen Gesangbuches) der dritte Vers angestrichen und von der Hand des Prinzen daneben geschrieben: „Bei meinem ersten Besuche des Gottesdienstes in der Savoykirche zu London am 2. April gesungen.“

Der bezeichnete Vers lautet:

„Da siehst Du, Gottes Herz,
Das kann Dir nichts versagen;
Sein Mund, sein theures Wort
Vertreibt ja alles Zagen.
Was Dir unmöglich dünkt,
Kann seine Vaterhand
Noch geben, die von Dir
Schon vieles Leid gewandt.“

Gegen Ende des Mai verließ der Prinz auf den Ruf des Königs London, um in die Heimath zurückzukehren, und am 7. Juni, dem Todestage Friedrich Wilhelm’s des Dritten, traf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 669. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_669.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)