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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


mit den namhaftesten Großhändlern der alten Meß- und Handelsstadt, in dem liebenswürdigen, bald von der ganzen Handelswelt Leipzigs dankbar erkannten Streben des jungen Beamten, die Plackereien und Schwierigkeiten der Verzollung und Versteuerung im Interesse des freien Handels- und Meßverkehrs möglichst zu erleichtern, reifte in Koch der Gedanke zu einem der segensreichsten und fruchtbarsten Pläne seines Lebens, zur Einrichtung von Lagerhäusern in Leipzig, in denen die zum bloßen Durchgangsverkehr bestimmten Güter unter Zollverschluß friedlich lagern konnten, ohne den zeitraubenden und kostspieligen Verzollungsformalitäten beim Ein- und Ausgang aus dem Zollvereinsgebiet ein- bis zweimal unterworfen zu werden. Auch dankt speciell die Stadt Leipzig, ja Sachsen und ganz Deutschland den Erfahrungen, welche der junge Steuerbeamte in den ersten Jahren seines praktischen Wirkens sammelte, das tiefe Verständniß und das hohe Interesse, welches der spätere Bürgermeister und Abgeordnete der Ersten sächsischen Kammer, Dr. Koch, in allen wichtigen Handels- und Zollfragen zum Segen unserer ganzen Wirthschaft bekundete und, unbekümmert um den Zorn des allmächtigen Beust, vor dem ganzen Lande oder an Allerhöchster Stelle freimüthig zur Geltung brachte. Die großen Freihandelserrungenschaften, die unter dem Schutze Preußens sich zu Anfang der sechsziger Jahre vom Westen Europas her auch im deutschen Zollverein Bahn brachen, haben an Koch stets ihren beredtesten und unerschrockensten Anwalt gefunden.

Vermuthlich um die volle Unabhängigkeit zu gewinnen, welche die Beamtencarrière dem selbstständigen Feuerkopf auf ihren unteren Staffeln nie gewähren kann, verließ Koch zu Anfang der vierziger Jahre den Staatsdienst und wurde Advocat in Leipzig. Er hatte zuvor mit den Spitzen des Leipziger, ja deutschen und ausländischen Handelsstandes werthvolle Verbindungen angeknüpft. Sein wunderbar praktisches Geschick, seine rasch entschlossene sichere Behandlung und Ausführung schwierigster Fälle und die selbstverständlich über jeden Zweifel erhabene Solidität und Ehrenhaftigkeit seiner Person und Handlungsweise machten ihn rasch zu einem der geachtetsten und beschäftigtsten Sachwalter seiner Vaterstadt, mit einer ebenso einträglichen wie auch sachlich interessanten und bedeutenden Praxis. Bis nach Krakau, Kopenhagen etc. führte ihn die Vertretung seiner Clienten.

Damit war die Basis geschaffen für eine freundliche deutsche Häuslichkeit, nach der sein Herz sich sehnte. Im Jahre 1842, wenige Woche nach seinem Schwager Biedermann, führte auch er die Braut zum Altar, die zweite Tochter des berühmten Theologen und Superintendenten Tzschirner, Bertha, ein durch Geist, Gemüth und Erziehung gleich ausgezeichnetes Mädchen, die ihm in seinem vielbewegten Leben, in guten wie bösen Tagen, die würdigste, treueste Gattin gewesen ist und mit ihm leider auch den tiefsten Schmerz des Elternherzens, hoffnungsvolle Kinder durch den Tod zu verlieren, wiederholt durchleben mußte. Mit seinem reichbegabten Sohne Ernst trug ich einst dasselbe Burschenband der „Wartburg“. Wir mußten den treuen Gesellen schon 1861 wegen vorgeschrittener Symptome von Tuberkulose nach dem milden Meran ziehen lassen. Als wir ihm das große Geleite zum Bahnhofe gaben, meinte er selbst, es sei wohl der letzte Abschied. Er kehrte nach langer Zeit zurück, scheinbar geheilt, doch rasch erneuerte das rauhe Klima der Vaterstadt das alte tückische Leiden, und an seinem einundzwanzigsten Geburtstage, 1864, entschlief er. Eine blühende Tochter Koch’s wurde in noch kindlichem Alter, während des Aufenthaltes der Familie in Meran, plötzlich von einer Adergeschwulst am Halse befallen, an der sie starb. Auch die jüngste Tochter kränkelte lange und schwer. Wer Koch in solchen Tagen schweren häuslichen Kummers sein tiefstes Herz in den weichsten und wahrsten Tönen menschlichen Leides ausklagen hörte, der konnte wohl an dem reichen Gemüthsleben dieser nach außen mit so tapferer Herzenshärtigkeit gekehrten Natur nicht zweifeln. Er mußte aber auch um so höher schätzen die rücksichtslose Selbstüberwindung, die trotz dieser häuslichen Sorgen nimmer erlahmte im Dienste öffentlicher Pflicht.

Zum ersten Male im politischen Leben hervorgetreten ist Koch im Jahre 1840, wo er sich durch seinen Schulfreund Raymund Härtel (den bekannten „Stadtältesten“ Leipzigs) zum Protocollführer des Comités gewinnen ließ, welches das große Buchdruckerjubiläum vorbereitete. Auch seine Häuslichkeit ward bald ein Brennpunkt für geistreiche und politische Strebungen. Hier verkehrten Härtel, Georg Wigand, Gustav Mayer und jüngere Männer, die der Schwager Biedermann als Docent dem Hause Koch’s zuführte: Cichorius (gestorben als Vicebürgermeister Leipzigs), Klemm (jetzt sächsischer Oberappellationsgerichts-Rath), beide Wencks (der Geschichtsprofessor und der Vicepräsident des Leipziger Appellationsgerichts), Stephani, Berthold Auerbach, Gustav Kühne, der Maler und Schriftsteller Pecht. Dieser weitere Bund hieß die „Maikäfergesellschaft“ und flog, seinem Namen getreu, im Wonnemond der Jugend und des Frohsinns hinaus in Garten, Flur und Wald, oder schwärmte bis tief in die Nacht, wie Maikäfer nur schwärmen können, aber – wie Schartenmeier singt – „sich des höhern Zwecks bewußt“. Ein engerer Bund aber, der sich hiervon abzweigte, hieß das „Landtagskränzchen“ und verfolgte rein politische Zwecke. Hier berieth Koch mit Biedermann, Cichorius, Stephani, G. Wigand, Klemm, Stadtrichter Steche, Dufour, dem alten wackern Pohlentz, vorübergehend auch mit – von der Pfordten (!), die Aufgaben und die Thätigkeit des sächsischen Landtags vor und nach der Session – eine vortreffliche und nachahmungswerthe Vorschule für parlamentarisches Wirken, die plötzlich für fast alle Theilnehmer die besten Früchte tragen sollte.

Denn mit dem Jahre 1845, der deutschkatholischen Bewegung, die unter Ronge und Robert Blum in das Land drang, und mit der tiefen Bewegung, welche sich in Folge der unglückseligen Leipziger Augustereignisse in der Leipziger Bürgerschaft festsetzte, brach plötzlich eine neue Aera in der städtischen Verwaltung Leipzigs herein. Die bis dahin kleine Zahl der Liberalen im Stadtverordneten-Collegium – zu welcher Koch schon gehörte – ward wesentlich verstärkt durch neugewählte liberale Männer (wie Hirzel, Reimer, G. Mayer, Biedermann, beide Wigands und eine noch weiter links gehende Gruppe (Robert Blum, Bertling, Rüder, Löwe etc.) und zwar so, daß das alte conservative Element in der Minorität blieb und durch die Wahlen des Jahres 1847 noch mehr in die Minorität gerieth. Bedeutsam für die neue Signatur dieses Collegs erscheint der Antrag Koch’s auf einen Protest des Collegs gegen die von einem Theile der orthodoxen Geistlichkeit versuchte Wiederherstellung des Athanasischen Glaubensbekenntnisses bei der Taufe. Als Mitglied und Vorsitzender des „Verfassungsausschusses“ der Stadtverordneten suchte Koch sein organisatorisches Talent vornehmlich zum Zwecke der Ausarbeitung eines Localstatuts für Leipzig (1846/47), welches aber vorerst noch an den zopfigen Vorstellungen scheiterte, die damals auf dem Leipziger Rathhause herrschten, zur Geltung zu bringen.

In fruchtbarster Weise war so der Boden vorbereitet, in welchen das Jahr 1848 Sturm säete. Schon seit den Februartagen gewann das Leipziger Stadtverordneten-Collegium beinahe die Bedeutung eines Landtages für Sachsen. Es nahm schon Anfang März eine Adresse an den König an – bei deren Abfassung und Zustandekommen Koch den wesentlichsten Antheil hatte – auf Gewährung von Preßfreiheit und Berufung eines deutschen Parlaments. Unverrichteter Sache kehrte die Deputation von Dresden zurück. Da gährte es in den Massen. Ohnmächtig und lendenlahm standen die überalten Menschen auf dem Rathhause dem Drange des großen „Völkerfrühlings“ gegenüber. „Nieder mit den Ministern!“ donnerte Robert Blum vom Balcon des Rathhauses. „Nieder mit dem System!“ rief zornig das Stadtverordnetencolleg, als es Koch mit der zweiten drängenderen und drohenderen Deputation nach Dresden an den König sandte. Und das „System“ brach elend zusammen. Zusammen brachen die alten Rathsherren zu Leipzig. Bürgermeister Groß, Vicebürgermeister Otto und der alte Stadtrath Demuth legten ihr Amt nieder, da es Männer forderte.[WS 1] Es war Platz vorhanden für Männer. Am 19. April 1848 wurde Koch mit zweiundvierzig von dreiundfünfzig Stimmen zum Vicebürgermeister gewählt, am 13. Mai erfolgte seine Einweisung in das Rathscolleg. Er entsagte einer finanziell weit glänzenderen Stellung als Anwalt, um jene Pflichten gegen seine Stadt zu üben, die nur Leipzigs beste Söhne vollbringen konnten. Von Anfang an drängte er den mit ihm gewählten neuen Bürgermeister Dr. Klinger bedeutend in den Hintergrund. Vorläufig aber war der Schauplatz seines Wirkens derjenige der Versammlung der Nation.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. vergl. dazu Berichtigung
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 633. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_633.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)