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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


machen wollen, ihn aber nicht angetroffen, und da war es denn der Doctor gewesen, der, obwohl der Mitbeleidigte, sich doch großmüthig zeigte. Er empfing den ganz zerknirschten Hubert, tröstete ihn nach Kräften und übernahm es, die Entschuldigung zu vermitteln. Nun war aber die Zerknirschung des Assessors weder von allzu großer Tiefe noch von allzu langer Dauer; er besaß eine viel zu große Dosis Selbstbewußtsein, um zur Selbsterkenntniß zu gelangen, und schnellte wie eine Stahlfeder, die man gebogen, sofort wieder in seine frühere Haltung zurück, wenn der Druck nachließ. Der allgemeine Spott ärgerte und kränkte ihn, aber sein Vertrauen zu sich selber war nicht im Mindesten erschüttert. Jeder Andere hätte sich nach einem solchen Vorfalle möglichst ruhig verhalten, um die Sache erst in Vergessenheit zu bringen, und sich vorläufig nicht zu ähnlicher Aufträgen gedrängt, aber gerade das that Hubert mit einem wahrhaft fieberhaften Eifer. Es hatte sich bei ihm die fixe Idee festgesetzt, er müsse das Fiasco um jeden Preis wieder gut machen und den Collegen, dem Präsidenten und ganz L. zeigen, daß seine Intelligenz trotzalledem über jeden Zweifel erhaben sei. Jetzt mußte er nothgedrungen ein paar Verschwörer aufgreifen oder eine Verschwörung entdecken, gleichviel wo oder wie – das wurde zu einer Art Lebensfrage für ihn, und er war fortwährend auf der Jagd nach diesen beiden Objecten.

Wilicza blieb dabei nach wie vor sein Hauptaugenmerk, dieses Wilicza, dessen Gefährlichkeit man in L. sehr gut kannte und dem man doch niemals beikommen konnte, jetzt weniger als je, seit es sich zeigte, daß man so gar keine Hoffnungen auf die Anwesenheit des jungen Gutsherrn setzen durfte. Er war, obwohl ein Deutscher, doch gänzlich in den Händen seiner polnischen Verwandten und entweder mit ihrem Thun und Treiben einverstanden oder er kümmerte sich nicht darum, wie er sich denn überhaupt um nichts kümmerte, was auf seinen Gütern geschah. Dieses Benehmen, das in L. sehr hart beurtheilt wurde, fand gerade an dem Assessor seinen strengsten Richter. Hubert hätte in einer solchen Stellung natürlich weit energischer gehandelt und all die geheimen Umtriebe sofort niederschlagen und vernichtet; er wäre der ganzen Provinz ein leuchtendes Beispiel von Loyalität gewesen, hätte sich den Staat zum Danke verpflichtet und überhaupt alle Welt in Erstaunen gesetzt. Da er aber leider nicht Herr von Wilicza, ja nicht einmal Regierungsrath war, so blieb ihm nichts übrig, als die zweifellos existirende Verschwörung vorläufig erst zu entdecken, und darauf richtete sich denn auch sein ganzes Sinnen und Trachten.

Von all diesen Dingen war freilich nicht die Rede in dem Gespräche der beiden Herren. Man durfte es dem gutmüthigen Doctor Fabian doch nicht merken lassen, daß der Besuch bei ihm eigentlich nur dem brennenden Wunsche entsprang, endlich einmal Eingang in das Schloß zu finden, und so mußte denn ein Vorwand herhalten, der allerdings für den Assessor von Interesse war, den er aber füglich bei dem Administrator hätte zur Sprache bringen können, wo er und Fabian bisweilen zusammentrafen.

„Ich habe eine Bitte an Sie, Herr Doctor,“ begann er nach den ersten Einleitungs- und Begrüßungsreden, „einen kleinen Anspruch an Ihre Gefälligkeit. Es handelt sich dabei allerdings nicht um mich, sondern um die Frank’sche Familie, deren Haus Sie ja öfter besuchen. Sie sind als ehemaliger Lehrer des Herrn Nordeck jedenfalls des Französischen mächtig?“

„Ich spreche es allerdings,“ antwortete der Doctor, „bin aber in den letzten Jahren etwas aus der Uebung gekommen. Herr Nordeck liebt die Sprache nicht, und hier in Wilicza erweist man ihm und mir die Rücksicht, ausschließlich Deutsch mit uns zu reden.“

„Ja, ja, die Uebung!“ fiel der Assessor ein, „die ist es eben, die dem Fräulein Margaretha fehlt. Sie sprach ganz allerliebst Französisch, als sie vor einigen Jahren aus der Pension zurückkam, aber hier auf dem Lande mangelt ihr jede Gelegenheit dazu. Da wollte ich Sie denn ersuchen, bisweilen mit der jungen Dame französisch zu lesen oder zu sprechen; es fehlt Ihnen ja nicht an Zeit, und mich würden Sie dadurch ganz außerordentlich verbinden.“

„Sie, Herr Assessor?“ fragte Fabian betreten. „Ich muß gestehen, es befremdet mich einigermaßen, daß ein solcher Vorschlag von Ihnen ausgeht, und nicht von Herrn Frank oder dem Fräulein selbst.“

„Das hat seine Gründe,“ sagte Hubert in würdevollem Tone. „Sie werden vielleicht schon bemerkt haben – und ich mache ja auch durchaus kein Geheimniß daraus – daß ich gewisse Wünsche und Absichten hege, die sich in nicht allzuferner Zeit verwirklichen dürften. Mit einem Worte – ich betrachte das Fräulein als meine künftige Braut.“

Der Doctor bückte sich schnell nieder, um ein Blatt Papier aufzuheben, das am Boden lag, und das er angelegentlich betrachtete, obwohl es unbeschrieben war. „Ich gratulire Ihnen,“ entgegnete er einsilbig.

„O, das muß ich vorläufig noch ablehnen,“ lächelte der Assessor mit unbeschreiblicher Selbstzufriedenheit. „Wir haben uns gegenseitig noch nicht ausgesprochen, wenn ich auch sicher auf ein Ja rechnen darf. Offen gestanden, ich möchte erst als Regierungsrath, der ich baldigst zu werden hoffe, mit meiner Werbung hervortreten; eine solche Stellung macht doch immer größeren Effect, und Sie müssen wissen, Fräulein Frank ist eine sehr gute Partie.“

„Wirklich?“

„Eine ausgezeichnete Partie! Der Administrator ist ohne Zweifel ein reicher Mann. Was hat er in den zwanzig Jahren hier allein an Gehalt und Tantiemen bezogen! Es ist ja auch ausgemacht, daß er seine Stellung nur verläßt, um selbst Gutsherr zu werden, und ich weiß, daß er zu diesem Zwecke ganz bedeutende Capitalien flüssig macht. Fräulein Margarethe und ihr Bruder, der gegenwärtig auf der landwirthschaftlichen Akademie studirt, sind die einzigen Kinder; ich kann auf eine hübsche Mitgift und dereinst auf ein gar nicht unbedeutendes Erbtheil rechnen. Nebenbei ist die junge Dame ja auch ein reizendes liebenswürdiges Mädchen, das ich anbete.“

„Nebenbei!“ sagte der Doctor ganz leise, aber mit einer bei ihm ungewöhnlichen Bitterkeit. Dem Assessor entging der leise Ausruf; er fuhr mit großer Wichtigkeit fort:

„Frank hat bei der Erziehung seiner Kinder nichts gespart; seine Tochter ist lange Zeit in einem der ersten Institute P.’s gewesen und hat dort alles Mögliche gelernt, zu meiner großen Befriedigung, denn Sie werden wohl begreifen, Herr Doctor, daß mir in meiner künftigen Stellung die höhere Bildung meiner Frau unerläßlich ist. Man muß doch nothgedrungen repräsentiren, und da halte ich mich verpflichtet, schon jetzt dafür zu sorgen, daß die gesellschaftlichen Erfordernisse, wie Clavierspiel und Französisch, nicht in Vergessenheit gerathen. Wenn Sie also in Bezug auf das letztere die Güte haben wollten –“

„Mit Vergnügen, wenn Herr Frank und seine Tochter es wünschen,“ sagte Fabian in gepreßtem Tone.

„Gewiß wünschen sie es, aber eigentlich war ich es, der darin auf Ihre Gefälligkeit rechnete,“ erklärte Hubert, der offenbar sehr stolz auf seine kluge Idee war. „Als Fräulein Margarethe neulich klagte, daß sie nahe daran sei, ihr Französisch ganz zu verlernen, gerieth der Administrator auf den Gedanken, ihr bisweilen den Sprachlehrer aus der Stadt kommen zu lassen. Ich bitte Sie! einen jungen Franzosen, der gleich in der ersten Lehrstunde seiner Schülerin die Cour machen würde. Frank hat immer nur seine Landwirthschaft im Kopfe und kümmert sich nicht um dergleichen, aber ich war vorsichtiger. Ich wollte um keinen Preis den galanten Franzosen so oft bei dem jungen Mädchen wissen, ein älterer Herr wie Sie dagegen –“

„Ich bin siebenunddreißig Jahre alt,“ unterbrach ihn der Doctor.

„O bitte, das hat gar nichts zu sagen,“ lächelte Hubert, „bei Ihnen hege ich durchaus keine Besorgnisse, aber ich hätte Sie wirklich für älter gehalten. Ja, das kommt von der Stubenluft und den Büchern. Sagen Sie, Herr Doctor, wozu haben Sie denn eigentlich diese Menge von Büchern mitgebracht, die hier überall herumstehen, und was studiren Sie denn? Pädagogik vermuthlich, darf man einmal zusehen?“

Er stand auf und wollte sich dem Schreibtisch nähern, aber Doctor Fabian war schneller als er. Mit einer beinahe angstvollen Bewegung warf er ein Zeitungsblatt über einige brochirte Bände, die auf dem Tische lagen, und stellte sich davor.

„Es ist nur Liebhaberei,“ versicherte er, während ihm eine helle Röthe in das Gesicht stieg, „historische Studien.“

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_630.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)