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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


äußerst verdienstvolle Aufgabe; wenn der heutige Culturkampf von einem wirklichen Erfolge gekrönt werden soll, so müssen Bildung und Wissenschaft sich in’s Vordertreffen stellen.

Unterdessen dauern die Wallfahrten in zunehmender Stärke fort; kaum vergeht ein Tag, ohne daß größere oder kleinere Processionen am Wunderorte im Triumphzuge der unseligsten Priesterherrschaft ihre Huldigungen darbringen. Unaufhörlich brennen die geweihten Kerzen vor dem Bilde der Madonna, der „unbefleckten Empfängniß“. Im schönen Frankreich wuchert von Tag zu Tag üppiger die verderbliche Saat des Pfaffenthums; der starke und wohlgerüstete Clerus führt mit bestem Erfolge seine bewährten Waffen in’s Feld. Im spöttelnden Indifferentismus der andern Seite findet er keine Gegner; die gegenwärtigen Staatszustände arbeiten seinem Bestreben wirksam in die Hände, und wo allein die Rettung gefunden werden könnte, in einer kräftigen, allseitigen Hebung der Schule, da herrschen fort und fort die alten, verrotteten, faulen Zustände – wozu auch Aufklärung für diese „crétins“? Armes Volk!

Wx.




Weltausstellungsskizzen.
Von R. Elcho.
4. Ein Gang durch’s Hauptgebäude bis zum Orient.


In einer Sonntagsschule wurde an die amerikanische Jugend die Frage gerichtet: „Wer war der erste Mann der Welt?“

Sofort meldet sich ein intelligenter Yankeeknabe zum Wort und antwortete kurz und bestimmt: „George Washington.“

Da sich die Schule gerade beim Bibelunterricht befand und George Washington ein Kind der Aufklärungsperiode war, so erklärte der Lehrer die Antwort für Unsinn und gab Adam die Ehre, welche die Bibel seit Jahrtausenden für ihn in Anspruch nimmt.

Etwas verstimmt setzte sich der Kleine und murmelte: „Freilich, wenn Sie von Ausländern reden –“

Wer nun durch die reichen Gruppen der Luxusindustrie wandelt, der muß sehr bald den Glauben des kleinen Yankeeknaben theilen, daß George Washington der erste, das heißt der größte Mann der Welt sei, denn in den Abtheilungen fast aller Völker finden wir sein Bild. Eine Washingtonbüste thront über der Bronzeausstellung der Franzosen, eine andere über den Fayencen von Limoges. Die Spitzenfabrikanten Belgiens brachten das Bild des großen Mannes in ihre Muster; die Engländer modellirten seine Büste in Biscuitmasse und Terracotta; die Italiener schnitzten Washingtonköpfe aus Holz, brachten sie auf Gemmen und Mosaikbildern an; kurz bei den Kunsthandwerkern fast aller Nationen scheint der Gedanke zum Durchbruch gekommen zu sein, daß sich in der Person Washington’s die Summe aller republikanischen Tugenden verkörpere, daß er der würdigste Repräsentant der hundertjährigen Republik sei. Dem Amerikaner thun diese Sympathien unendlich wohl; sie stimmen ihn zu einer Bescheidenheit, welche man sonst nicht an ihm gewohnt ist. Bei solchen internationalen Unternehmungen erwecken anscheinend geringfügige Dinge Freundschaft.

Von allen Nationen, welche die Producte ihrer Industrie in der Haupthalle untergebracht haben, nimmt die amerikanische den bedeutendsten Raum ein. Die amerikanische Abtheilung beansprucht etwa drei Viertel von der östlichen Hälfte des riesenhaften Gebäudes. Amerika am nächsten kommt England mit seinen staunenswerthen Reichthümern, zu denen alle überseeischen Colonien beitragen. Frankreich steht diesen beiden Nationen qualitativ vollkommen ebenbürtig zur Seite, wenn es auch der Masse nach imposanter hätte auftreten können. Deutschland und Oesterreich begnügten sich mit einem allzu bescheidenen Platz in der internationalen Gesellschaft, die scandinavischen Königreiche dagegen machten die tapfersten Anstrengungen, um ihre heimische Industrie auf amerikanischem Boden würdig zu repräsentiren, ebenso Italien und Spanien. Was die letztere Nation betrifft, so muß es geradezu Wunder nehmen, daß diese trotz all’ der blutigen Parteikämpfe, welche das Staatsgebäude zu zerrütten drohen und den Wohlstand längst untergraben haben, doch noch die Kraft fand, so wacker gerüstet in den internationalen Wettkampf einzutreten. Die reichhaltige spanische Abtheilung ist von einem prächtigen Holzbau umschlossen, dessen Façade an einen rothen Porphyrpalast aus der Renaissanceperiode erinnert. Auf den Wandflächen der Vorderseite prangen auf lichtem Goldgrund die Portraits von Columbus und seiner Gönnerin Isabella, und an der inneren Seite die von Cortes und Ponce de Leon, wobei die Thatsache mit goldenen Lettern verzeichnet steht, daß Christoval Colon am Tage des 8. October 1492 die neue Welt entdeckt habe. Hoch über dem breiten Thorweg prangt ein allegorisches Gemälde: Spanien zieht den Schleier von Amerika und enthüllt dies so den Blicken der alten Welt. – Stolz lieb’ ich den Spanier. – Ob der Stolz noch heute seine Berechtigung hat, wollen wir hier unerörtert lassen; die majestätische Palastfaçade hält wenigstens, was sie verspricht, eine relativ reiche und jedenfalls interessante Ausstellung. Auch das Kaiserreich Brasilien hat die Erzeugnisse seiner jungen Industrie in glänzender Weise durch eine buntfarbene maurische Säulenhalle umrahmt, und das unglückliche Mexico, bei dem der Wille gut, aber die Kraft schwach war, schloß seine kleine Ausstellung durch einen weißen Holzrahmen ein.

Die Vereinigten Staaten zeigen in ihrer Ausstellung, welche hohe Bedeutung sie dem Unterrichtswesen beilegen. Die breite Galerie, welche in einer Höhe von etwa fünfzig Fuß an der ganzen Innenseite der Halle herumläuft, ist von den einzelnen Staaten als Ausstellungsplatz für Erziehungswesen mit Beschlag belegt. Nur der Staat Pennsylvanien hat zu diesem Zwecke einen besonderen Pavillon errichtet. Unter allen diesen Schulausstellungen erweist sich die des Erziehungs-Departements vom Staate Massachusetts als die glänzendste. Durch eine Masse ausgelegter Schularbeiten wird es dem Beschauer klar, wie segensreich hier die öffentlichen Unterrichtsanstalten wirken. Mehrere Räume nehmen die Leistungen der technologischen und landwirthschaftlichen Institute ein, welche auch jedem Schüler unentgeltlichen Unterricht ertheilen. Es drängt sich hier dem Besucher der stillen Räume eine solche Fülle von Maschinenconstructionen, Muster- und Kreidezeichnungen, physikalischen Apparaten, Abhandlungen über naturwissenschaftliche Themata und anderen Arbeiten der Zöglinge jener Anstalten entgegen (welche so gewissenhaft wie irgend möglich ausgeführt sind), daß man an der Leistungsfähigkeit jener Institute kaum zweifeln kann. Von den übrigen Staaten hat Schweden eine Lehrmittelausstellung in einem eigens dazu erbauten Schulhause veranstaltet, welches mit seinem säulengetragenen Vorbau, den schlanken Galerien und dem Schindeldache als ein Muster geschmackvoller Holz-Architektur gelten kann. Das Classenzimmer liegt zu ebener Erde und ist ungemein hell und luftig; Tische und Bänke sind zweckmäßig eingerichtet, und was die Lehrmittel betrifft, so giebt es da eine Fülle naturgeschichtlicher Abbildungen, geographischer Karten und Lehrbücher und schön gearbeiteter physikalischer Instrumente. In Schweden wie in Amerika sind in den Volksschulen militärische Exercitien eingeführt, um dem Körper des Schülers nach dem langen Stillsitzen auf den Schulbänken die so nothwendige Bewegung zu verschaffen; es sind zu dem Ende auch kleine Gewehre für die Schüler vorhanden. Noch einen verwandten Zug haben die amerikanische und schwedische Volksschule, daß nämlich beide reichhaltige Volksbibliotheken (auch für Erwachsene) besitzen, welche der Lehrer verwaltet. Belgien hat in seiner Abtheilung gleichfalls eine Volksschule eingerichtet, mit Vorzimmer, Schulstube und Lehrmittelausstellung, in welcher wir das amerikanische System weiter entwickelt finden. Das Classenzimmer ist luftig; die Bänke und Tische sind möglichst bequem eingerichtet, und für den Anschauungsunterricht ist das denkbar Mögliche gethan. Die Lesefibeln enthalten Abbildungen. Naturkörper sind in reicher Menge vorhanden, und besonderer Werth wird auf die Kenntniß der heimischen Industrie gelegt. So sind in der Schule Pappschachteln vorhanden, von denen jede irgend ein Rohproduct des Ackerbaues oder Bergbaues enthält, und zu diesem gesellen sich dann eine Reihe von Proben jener Fabrikate, die aus dem Rohproducte gewonnen werden. So enthält – um ein Beispiel anzuführen – eine Schachtel ein Stückchen Eisenerz, daneben findet der Schüler

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_606.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)