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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Und nun zurück zu den Hauptgebäuden, die alle massiv aus Ziegeln erbaut und mit Häusler’schen Cementdächern gedeckt sind. In dem nahezu einundfünfzig Meter langen Stall- und Wirthschaftsgebäude befindet sich neben den Remisen der helle Pferdestall mit acht getrennten verschließbaren Ständen, aus denen in der Freizeit die Pferde des Vereins, meist Percherons, neugierig ihre Köpfe strecken, wenn ein fremdes eintritt, und neben diesem der Spirituslagerraum mit den Entfuselungsapparaten, während Heu- und Haferböden und vier Arbeiterwohnungen im ersten Stockwerk angebracht sind. Andere Wohnungen enthält der erste Stock des ungefähr siebenundvierzig Meter langen Mittelgebäudes, dessen links gelegene Räume die Essigfabrik und Böttcherei beherbergen und dessen übriges Parterre zum Bereich des Kellermeisters gehört.

Fast die ganze Länge des siebenunddreißig Meter langen Magazingebäudes hat an der Hoffront einen breiten Lagerperron, der durch zwei große Schiebethore mit dem Speicher in Verbindung steht. Von diesem Perron aus erfolgt die Verladung der den Betriebslägern und dem Engroslager in der Stadt zuzuführenden Waaren, welche aus den mächtigen dreifach über einander liegenden Speicherräumen hierher geschafft werden. Zwei Fahrstühle, mit Dampfkraft getrieben, vermitteln den Verkehr zwischen den über einander liegenden Räumen, deren imponirende Balken und Träger das Gefühl der größten Sicherheit gewähren. Die Mitte des untern Raums nimmt ein nach allen Seiten mit Glasfenstern versehener Comptoirraum für den Magazinverwalter ein.

Mit den Speicherräumen stehen die an der Hinterfront gelegenen Nebenräume in Verbindung: die Zuckerschneideanstalt, in der auf zwei Maschinen die Zuckerhüte in Würfel geschnitten werden und wo der gesammte für den Detailverkauf bestimmte Zucker abgewogen und in verklebte Papierbeutel verpackt wird, die Kaffeebrennerei und der Füllraum, in welchem nach den praktischsten Methoden Flüssigkeiten, als Mostrich, Speiseöl, Syrupe etc., in Gläser und Büchsen gefüllt werden. Am oberen Ende stößt der untere Speicher an den Laderaum am Lagerperron, von dem aus auch eine Oeffnung nach den Kellereien führt; am unteren steht er durch eine Glasthür mit dem Comptoir im Verbindung, aus dem man in das Zimmer des Geschäftsführers und das Sitzungszimmer der Verwaltungscommission und des Aufsichtsraths gelangt. Eine besondere Telegraphenleitung setzt diese Räume mit dem kaiserlichen Telegraphenamte in Verbindung und ermöglicht es, Anordnungen nach der inneren Stadt in wenigen Minuten zu ertheilen.

Das sind die oberirdischen Geschäftsräume des neuen Vereinshauses.

Aber auch unter der Erde lagern Schätze und herrscht ein reges Leben. „Vergiß das Beste nicht!“ ruft dem Besucher die Geisterstimme eines Gnomen von unten zu, und wahrlich, wer Sinn für einen trefflichen Weinkeller und eine Zunge zum Kosten hat, würde Mangel an Instinct zeigen, wenn er es versäumte, die Erlaubniß zum Besuche der Kellereien nachzusuchen, die sich in der vollen Länge des Mittelgebäudes, des Magazingebäudes und des Comptoirgebäudes, in den beiden letzteren sogar doppelt, hinziehen.

Man gelangt in dieses unterirdische Reich durch das Mittelgebäude, in dem Expeditionsraum, Gährstube, Kellermeisterstube, Waschküche und Flaschenlagerraum das Parterre einnehmen, auf breiten massiven Treppen zunächst zu dem Flaschenkeller, wo auf hölzernen Regalen hundertsechsunddreißigtausend Flaschen der verschiedenen Weine lagern, Weine aus Ungarn, Sicilien, Spanien, Frankreich und Deutschland, vom leichten Landweine bis zum feinen Cabinetsweine. Aber das ist nur ein Vorspiel. Von dem Vorraume aus führen zwei Thüren in die Lagerkeller. Dreischiffig mit hohen Bogen der eine, zweischiffig gewölbt der andere, liegen sie in scheinbar unergründlicher Tiefe da, und erst wenn man einen Begleiter mit dem Lichte bis an das andere Ende des großen Raumes geschickt hat, oder die Nummern der nebeneinander liegenden stattlichen Fässer zählt, bekommt man von der Größe der Keller und den im ihnen lagernden Quantitäten eine annährende Vorstellung. Zweimal im Jahre sollen die Räume den Mitgliedern bei voller Beleuchtung geöffnet werden; zum ersten Male geschah das bei der Anwesenheit des Anwalts der deutschen Genossenschaften, Dr. Schulze-Delitzsch, im Mai, wo die Keller mit ungefähr sechshundert Lichtern beleuchtet waren. Der Eindruck, den diese Beleuchtung machte, war großartig; namentlich imponirten die in dem großen Keller liegenden Faßriesen von mehr als siebentausend Liter Inhalt.

Von diesen Kellern aus, deren Inhalt die verschiedenen Weinländer Europas, vorzugsweise aber Frankreich, Ungarn und Deutschland liefern, gehen schon jetzt Sendungen nach allen Gegenden Deutschlands und über dessen Grenzen hinaus. Besonders starken Absatz finden außer den kleinen Würzweinen der Mosel, der Pfalz und der ungarischen Weingegenden, der Medoc- und ungarischen Rothweine zu billigen Preisen die süßen ungarischen Ausbrüche, als Tokayer, Ruster, Menescher, die in halben Literflaschen zu ein Mark zwanzig Pfennig bis ein Mark fünfzig Pfennig verkauft werden, und die gezehrten Ober-Ungarweine im Preise von fünfundsiebenzig Pfennig bis ein Mark. Der Umstand, daß der Verein von den Producenten kauft und mit geringem Aufschlage verkauft, erklärt diese Preise. Uebrigens hat der Verein in seinen Kellereien Weine, die er einzig führt, darunter einen Tokayer-Riesling, der mit dem Charakter des Tokayerweins die Blume des Riesling verbindet. Wenn die aufrichtigen und begeisterten Wünsche, welche bei diesen Weinen auf das Gedeihen des Vereins ausgebracht sind, in Erfüllung gehen, dann ist die Zukunft desselben für alle Zeiten gesichert.

F. B.




Zwei Tage in Lourdes.[1]


Ein heller Frühlingsmorgen lag über den reizenden Thälern und in blendendem Lichte schimmerten die schneeigen Gipfel der Berge in’s Land hinein, als ich mich in Ausführung eines lange gehegten Planes dem freundlichen Lourdes näherte, diesem durch die vielbesprochenen Wallfahrten in jüngster Zeit so bekannt gewordenen Städtchen in den französischen Oberpyrenäen. Freundlich umsonnt, hoch über der malerischen Felsgrotte, begrüßte uns die schmucke gothische Kirche bereits einige Minuten, bevor der Dampfwagen den Bahnhof erreichte. Die bedeutenden Neubauten, hervorgerufen durch den massenhaften Pilgerzudrang, contrastiren auffallend mit dem an sich so unscheinbaren Städtchen, dessen anmuthige Lage aber auf den Reisenden sofort den wohlthuendsten Eindruck ausübt. Eine kleine Festung, im Mittelalter als uneinnehmbar berühmt, beherrscht die geweihten Stätten. Die Gruppirung der ringsum sich erhebenden Hügel, die Romanik der kühn emporstrebenden Felskuppen, die klaren Wellen der das Thalgelände durchströmenden Gare, die so stolz zum Himmel emporragenden „montagnes“ – ein Fleckchen Erde breitet sich unsern Augen aus, wie es entschieden die heilige Jungfrau nicht

  1. Der Heilungsschwindel in Lourdes dauert lustig fort, und nach wie vor wirft die Pariser Presse Nachrichten in die Massen, welche geeignet sind, dem Wallfahrten-Unwesen immer mehr Vorschub zu leisten. Nur ein Beispiel statt vieler! „Der Pariser ‚Univers‘ erhält aus Lourdes vom 20. Aug. folgende zwei Depeschen: ‚Am Samstage kamen die Pilger der Notre-Dame de Salut glücklich in Lourdes an, wo sie viele Freunde fanden. Die 100 Kranken ertrugen die Reise sehr gut. Des Morgens fand die wunderbare Heilung der Marie Jaspierre aus Rheims statt, die mit unendlicher Mühe nach Lourdes gebracht worden war und welche ihr chronisches Leiden plötzlich verlor und ihre volle Gesundheit wiedergewann. Viele Zeugen für ihr langes Leiden befinden sich in Lourdes. Um 3 Uhr fand die Heilung Goudeman’s aus Lavallois statt, der von mehrern schweren Krankheiten befallen war, die von den Nonnen, welche seine Krankenwärterinnen gewesen, festgestellt waren. Er erhielt zu gleicher Zeit seine Gesundheit und seine Kräfte zurück.‘ Die zweite Depesche lautet: ‚Heute, Sonntag, celebrirte Msgre. Evington die Messe. Des Morgens plötzliche Heilung der Victorine Fournier aus Lille. Es ist die dritte Heilung. Eine Menge Kranker verspürt einen Beginn der Heilung.‘“ Angesichts dieses noch immer blühenden Humbugs dürfte der obige sehr ruhig gehaltene Artikel, welcher aus der Feder eines seit längeren Jahren in Frankreich heimischen Deutschen stammt und authentische Schilderungen über Lourdes und seine kirchlichen Possen bringt, ganz zeitgemäß kommen. Wie wir hören, hat übrigens auch das französische Ministerium die Frage in Erwägung gezogen, wie dem Treiben im Lourdes ein Ziel zu setzen sei.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_602.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)