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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

nur noch dem fest an die Erde gedrückten Ohr vernehmbar blieben, denn nur noch aus unterster Tiefe des Baues drang das jetzt zu Standlaut gewordene Bellen der kleinen Angreifer herauf; sie hatten also den Belagerten im Kessel festgemacht. Nach dieser Gewißheit ward nun sofort „eingeschlagen“ und mit energisch geführter Arbeit dem Ziele zugestrebt, wozu uns die fest vorliegenden Hunde nicht wenig anfeuerten. Aber immer tiefer mußten wir schaffen, so daß wir zuletzt nur noch abwechselnd arbeiten konnten, da in dem für die Tiefe von vornherein nicht weit genug gehaltenen Einschlag zu Zweien zu graben nicht möglich war. Trotz solcher Schwierigkeit ward mit unablässiger Hast rüstig vorwärts gedrungen, schon um der Hunde willen, die zwar vor dem sich scharf wehrenden Dachs tapfer Stand hielten, aber baldiger Hülfe von außen sicher bedurften; denn schon war Waldine, wie dies bei solchen Fällen ihre Art war, einige Male herauf aus dem Bau zu ihrem Herrn gekommen, gleichsam um Beschleunigung mahnend, dann aber sogleich wieder zum Beistand ihres Gemahls zum Kampfplatz geeilt. Aber obgleich wir schon über Mannestiefe hinab waren, hatten wir damit doch noch immer nicht das Ziel erreicht, das noch weiter zu verfolgen nun bald gefährlich ward, indem das lockere Erdreich der ziemlich steil gehaltenen, ja stellenweise unterhöhlten Grubenwände leicht einbrechen und den darin Arbeitenden verschütten konnte. Und dabei durften wir, dem Laute der Hunde nach, noch immer nicht auf ein sehr baldiges Erschließen der unterirdischen Arena hoffen, da wir, um dieses zu erreichen, nothwendig erst noch das ganze bereits gegrabene Loch einigermaßen erweitern mußten, damit wir darin wenigstens noch nothdürftig die Schaufel führen konnten. Unter solchen Umständen war bereits Stunde auf Stunde vergangen, wobei das böse Gewissen, wenigstens bei mir, auch noch das Seinige that, die Arbeit peinlich werden zu lassen, denn wie oft horchte ich bei derselben hoch auf, wenn sich irgend etwas, etwa von einem flüchtig werdenden Stück Wild oder ziehenden Vogel herrührend, vernehmen ließ, gleich dabei an einen Ueberfall von verletzter Seite her denkend. Aber wir ließen deshalb doch nicht ab von unserem ruchlosen Werke, und welch’ eine Freude, als endlich der Lärm unter der Erde so deutlich wurde, daß wir jeden Augenblick auf die Kämpfenden stoßen konnten!

Vorsichtig, um im hitzigen Eifer nicht etwa die braven Däckel durch einen scharfen Spatenstich zu verletzen, gruben wir nunmehr nur noch mit den Händen weiter, und auch dies nur abwechselnd, indem der Andere mit der dazu angezündeten Laterne leuchten mußte. Plötzlich wurde Luft im Keller, und zwar genau an der Stelle, wo der dicht vor dem Dachs liegende Bergmann Stand hielt, sodaß dieser von seinem Herrn sofort abgehoben werden konnte, um ihn mir, der ich oben die niederhängende Laterne hielt, herauf zu reichen. Schnell ward auch die nachfahrende Waldine erfaßt und desselben Weges befördert. Kaum war dies aber geschehen, so brachten auch einige schnell, nicht gerade rücksichtsvoll geführte Spatenstiche das Vordertheil des kühnen Burgherrn in Sicht. Rasch reichte ich darauf die Gabel hinab, und im nächsten Augenblicke schon war der wüthende Gefangene damit im Genick zu Boden gedrückt. Ohne Besinnen sprang auch ich nun hinunter in die enge Grube, um helfend mit einzuschreiten, und faßte zu diesem Zwecke den Gefangenen an einer seiner Vorderbranten fest, um ihn wenigstens nicht zurückfahren zu lassen, da er sich dann leicht noch hätte verklüften können. Das hätte uns noch eine Höllenarbeit bereitet. So hatten wir in dem grabähnlichen, unheimlichen Loche, ich in gebückter Stellung und die Laterne am Bügel im Munde, das Thier wohl fest, aber auch keinen Finger mehr frei, ihm den Garaus zu machen, denn es stemmte sich ja mit der Kraft wenigstens eines Doppelponys so gewaltig gegen uns, daß ich es an der fettigen Patsche kaum noch festzuhalten vermochte, zumal auch schon die Gabel zu weichen begann. Dazu bröckelte es fortwährend so stark von der Wandung unseres Schachtes hernieder, daß man jeden Augenblick gewärtig sein konnte, der leichte Boden werde völlig zusammenbrechen, besonders da die Dächsel oben am Rande herabzuspringen strebten und nur das Machtwort ihres Herrn sie davon zurückhielt.

In solch mißlicher Lage – denn zum Ueberfluß brach nun wirklich noch die frisch geschnittene hainbuchene Gabel in ihren Schenkeln – blieb nichts weiter übrig, als den wüthend sich sträubenden Burschen in zwar wenig waidmännischer, aber hier einzig gebotener Art wenigstens vorerst zu betäuben. Dies bewerkstelligte denn endlich mein Nimrod mit recht gutem Erfolg durch seinen gewuchtigen, eisenbeschlagenen Stiefelabsatz. Dadurch ward aber nicht nur den Leiden des armen Thieres vorläufig ein Ziel gesetzt, sondern auch uns eine Erlösung von heftigster Anstrengung zu Theil. Behend zogen wir nun noch den für den Moment regungslos Gewordenen aus seiner Bresche hervor und tödteten ihn vollends durch ein paar sichere Schläge über die Nase.

Nun erst verschnauften wir wirklich ganz Erschöpften ein wenig, dann aber schleiften wir unsere Beute mit der Fangleine an und kletterten, sie nachziehend, aus der fatalen Grube herauf. Da standen wir denn endlich wieder auf festem, sicherem Grund und Boden und hatten nun nur noch die Arbeit vor uns, unsere Stiefelfährten, an denen man die Thäter hätte erkennen können, sorgfältig zu vertilgen, was wir auch bald und gründlich mittelst eines recht borstigen Kiefernwipfels ausgeführt hatten.

Hierauf aber wurden dem gewichtigen Todten die Läufte zusammengebunden und eine haltbare Kiefernstange hindurchgeschoben. Diese nahmen wir auf die Schultern, das Werkzeug in Arm und Hand – und fort ging’s. Die Hunde folgten uns nach. Die an und für sich nahe gelegene Reviergrenze nahmen wir absichtlich auf Umwegen, um auch hierbei etwaige Verfolger zu täuschen. Zu diesem Zwecke zogen wir uns sogar erst einem nahen Waldbache zu, in dessen Bette wir, gut bestiefelt, in entgegengesetzter Richtung von unserem eigentlichen Ziele hinschritten und nach längerem darin Fortwaten mit größter Vorsicht Ausstieg hielten. Aber auch noch von hier aus beschritten wir, uns dabei wieder rückwärts wendend, noch immer nur dergleichen Terrain, auf welchem ein Nachspüren mit Erfolg kaum denkbar erschien. Unter solcher nicht unangebrachter Achtsamkeit erreichten wir denn ungefährdet das heimische Revier, und endlich, als schon bleicher Dämmerschein den Osten zu lichten begann, auch die einsam gelegene Junggesellenwohnung des lecken Dachsräubers.

Daß der darauffolgende reifkalte, sonnenklar prächtige Morgen, ein Morgen, wie er zum Dachsgraben nicht schöner gedacht werden konnte, im feindlichen Lager nur Bestürzung und gerechten Unwillen fand, wird Jeder selbst ermessen können. In meines nächtlichen Spießgesellen Herzen hingegen war eitel Lust und Freude über seinen gelungenen Streich, welche ich, wenn auch nicht so ganz ohne jede vorwurfsbittere Regung, um so aufrichtiger mit ihm theilte, als ich wußte, wie der um sein allerdings gutes Recht geprellte Forstgehülfe nur allzu gern in großthuerischer Jägerrohheit sich hervorthat und sein ausersehenes Opfer sicherlich nach althergebrachter, leider auch heutigen Tages noch oft angewandter empörender Art behandelt hätte, von der schon der unvergeßliche kernfeste, biedere Altmeister Wildungen vor nun bereits achtzig Jahren ebenso trefflich als edelentrüstet spricht:

„Denn empörend ist’s wahrlich, wie unbarmherzig manche von Euch Waidmännern den unschuldigen Dachs zu mißhandeln gewohnt sind, wenn er das Unglück hat, ihren Tigerklauen zur Beute zu werden. Krätzen, zu diesem schrecklichen Endzwecke ausschließlich ersonnen, werden ihm tief in den Leib geschraubt, um ihn seiner bestürmten Wohnung damit zu entreißen, und in einem Sacke wird er dann oft stundenweit zum Kampfplatze geschleppt, wo ein wüthendes Heer von Hunden aller Gattungen mit mörderischem Zahne ihn zerfleischen muß. Dem Tode schon nahe, wird er von seinen Henkern ihm wieder entrissen, durch eine Wasserfluth der kleine Rest seines Lebens zu neuen Qualen angefrischt und die kannibalische Hatze so lange wieder erneuert, bis endlich sein wirklicher Tod dieses scheußlichste aller Schauspiele beschließt. Fluch und Schande dem Barbaren, den solche Jagdgräuel noch ergötzen können!“

Und, füge ich hinzu, noch giebt es deren.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_599.jpg&oldid=- (Version vom 5.12.2018)