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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


„Und Hochverräther! Natürlich, das pflegt sich meistentheils zu ergänzen.“

Der Assessor stand völlig starr ob dieser Verwegenheit. „Ich fordere Sie zum letzten Male auf, mir Ihre Namen zu nennen und Ihre Papiere zu zeigen,“ rief er. „Sie verweigern mir Beides?“

Der Fremde setzte sich in sehr ungenirter Weise auf die Seitenlehne des Armstuhls und kreuzte die Arme.

„Ganz recht! Das ist ja eben die Verschwörung.“

„Herr, ich glaube, Sie wollen Ihren Spott mit mir treiben,“ schrie der Assessor, kirschroth vor Zorn. „Wissen Sie, daß das Ihren Fall ganz außerordentlich erschwert? Das Polizeidepartement in L. –“

„Muß sich in einer sehr traurigen Verfassung befinden, da es Sie zum Vertreter hat,“ vollendete der junge Mann mit unerschütterlicher Gemüthsruhe.

Das war zu viel; der Beleidigte fuhr wie besessen in die Höhe.

„Unerhört! Also so weit ist es schon gekommen, daß man es wagt, den Behörden offen Hohn zu sprechen, aber das soll Ihnen theuer zu stehen kommen. Sie haben die Regierung in meiner Person beleidigt und angegriffen. Ich verhafte Sie; ich lasse Sie geschlossen nach L. transportiren.“

Er schoß wie ein Kampfhahn auf seinen Gegner los, der ihn ruhig herankommen ließ und ihn dann ohne Weiteres zurückschob. Es war nur eine einzige Bewegung des kraftvollen Armes, aber der Herr Assessor flog wie ein Ball auf das nahestehende Sopha, das ihn zum Glück auffing.

„Gewalt!“ rief er außer sich. „Ein Attentat auf meine Person! Fräulein Margarethe, holen Sie Ihren Vater –“

„Mein Fräulein, holen Sie lieber ein Glas Wasser und gießen Sie es diesem Herrn über den Kopf!“ sagte der Fremde. „Er hat es nöthig.“

Das junge Mädchen fand keine Zeit, den beiden so verschiedenartigen Aufforderungen nachzukommen, denn man vernahm eilige Schritte im Nebenzimmer, und der Administrator, der schon mit äußerstem Befremden die an der Hausthür getroffenen Vorsichtsmaßregeln gesehen und die lauten Stimmen gehört hatte, trat rasch ein.

Der Assessor lag noch im Sopha und zappelte mit Händen und Füßen, um wieder auf die Beine zu kommen, was ihm bei der Kürze derselben und der Höhe des Sophas nicht sogleich gelingen wollte.

„Herr Frank,“ rief er, „wahren Sie den Eingang! Rufen Sie die Knechte herbei! Sie haben die Polizeiverwaltung von Wilicza. Sie müssen mir beistehen. Ich verhafte diese beiden Subjecte im Namen –“ hier schlug ihm die Stimme über; er focht, verzweiflungsvoll mit den Händen in der Luft herum, kam aber nun vermittelst eines gewaltigen Ruckes zum Sitzen.

Der junge Fremde hatte sich erhoben und ging auf den Administrator zu. „Herr Frank, Sie führen in meinem Namen die Polizeiverwaltung von Wilicza, und da werden Sie sich hoffentlich bedenken, Ihren eigenen Gutsherrn auszuliefern.“

„Wen?“ rief der Administrator zurückprallend.

Der Fremde zog ein Papier aus der Brusttasche und reichte es ihm. „Ich komme ganz unerwartet, und Sie werden mich nach zehn Jahren kaum wiedererkennen. So mag mir denn dieser Brief zur Legitimation dienen; Sie richteten ihn vor einigen Wochen an mich.“

Frank warf einen raschen Blick auf das Blatt, dann einen zweiten auf die Züge des vor ihm Stehenden. „Herr Nordeck?“

„Waldemar Nordeck!“ bestätigte dieser. „Der gleich in der ersten Stunde, wo er seine Güter betritt, als ‚Subject‘ verhaftet werden sollte. In der That ein angenehmes Willkommen!“

Er blickte nach dem Sopha hinüber; dort saß der Assessor starr und steif wie eine Bildsäule. Der Mund stand ihm weit offen; seine Arme waren schlaff am Körper niedergesunken, und er starrte den jungen Gutsherrn wie geistesabwesend an.

„Welch ein peinliches Mißverständniß!“ sagte der Administrator in äußerster Verlegenheit. „Es thut mir sehr leid, Herr Nordeck, daß es gerade in meinem Hause vorfallen mußte. Der Herr Assessor wird unendlich bedauern –“

Der arme Assessor! Er war so vernichtet, daß er nicht einmal mehr die Kraft hatte, sich zu entschuldigen. Der Herr und Gebieter von Wilicza, der mehrfache Millionär, der Mann, von dem der Präsident noch neulich gesagt hatte, daß man ihn im Falle eines Besuchs in Wilicza mit besonderer Rücksicht behandeln müsse – und den hatte der Untergebene geschlossen nach L. transportiren wollen! Zum Glück nahm Waldemar keine Notiz weiter von diesem letzteren; er stellte seinen Begleiter dem Administrator und dessen Tochter vor.

„Herr Doctor Fabian, mein Freund und Lehrer. – Wir sahen das Schloß erleuchtet und hörten, daß eine größere Festlichkeit dort stattfindet. Ich bin den Gästen meiner Mutter vollständig fremd, und da meine plötzliche Ankunft begreiflicher Weise eine Störung veranlassen würde, so zogen wir es vor, einstweilen hier einzusprechen, wenigstens bis zur Abfahrt der Gäste. Ich habe überdies noch mit Ihnen zu reden, Herr Frank, hinsichtlich Ihres Briefes, den ich erst vor einigen Tagen erhielt. Ich war auf Reisen, und da ist er mir von Ort zu Ort nachgeschickt worden. Können wir eine halbe Stunde lang ungestört sein?“

Frank öffnete die Thür zu seinem Arbeitszimmer. „Darf ich bitten, hier einzutreten?“

Waldemar, im Begriff zu gehen, wandte sich noch einmal um. „Bitte, erwarten Sie mich hier, Herr Doctor! Hoffentlich gerathen Sie jetzt nicht mehr in Gefahr, als Verschwörer und Hochverräther behandelt zu werden. Ich komme bald zurück.“ Er verneigte sich leicht gegen das junge Mädchen und verließ dann, von dem Administrator begleitet, das Zimmer. Der Assessor schien für ihn nicht mehr zu existiren.

„Herr Assessor,“ sagte Gretchen halblaut, indem sie sich dem unglücklichen Vertreter des Polizeidepartements in L. näherte. „Ich gratulire zum Regierungsrath!“

„Mein Fräulein!“ stöhnte der Assessor.

„Sie halten ja wohl Seiner Excellenz dem Herrn Präsidenten persönlich Vortrag über das Ergebniß Ihrer Recherchen?“

„Fräulein Margaretha!“

„Ja, ich habe nun einmal keinen Polizeiblick,“ fuhr das junge Mädchen unbarmherzig fort. „Wer konnte auch denken, daß unser junger Herr eine so echte und ausgeprägte Verschwörerphysiognomie haben würde!“

Der Assessor hatte bisher mühsam Stand gehalten; den Spott von diesen Lippen ertrug er nicht. Er erhob sich, stammelte, da die Hauptperson nicht mehr zugegen war, eine Entschuldigung gegen den Doctor und schützte dann Uebelbefinden vor, um sich so schnell wie möglich zurückzuziehen.

„Mein Fräulein,“ sagte Doctor Fabian in seiner schüchternen Weise, aber in mitleidigem Tone, „dieser Herr scheint etwas excentrischer Natur zu sein. Ist er vielleicht – –?“ – er griff mit bezeichnender Geberde an die Stirn.

Gretchen lachte. „Nein, Herr Doctor! Er will nur Carrière machen, aber dazu braucht er seiner Meinung nach ein paar Verschwörer, und die glaubte er in Ihnen und Herrn Nordeck gefunden zu haben.“

Der Doctor schüttelte bedenklich den Kopf. „Der arme Mann! Es liegt doch etwas Krankhaftes in seinem Wesen. Ich glaube nicht, daß er Carrière machen wird.“

„Ich auch nicht,“ sagte Gretchen mit aller Entschiedenheit. „Dazu ist unser Staat denn doch zu vernünftig.“

(Fortsetzung folgt.)




Album der Poesien.
Die Fischer auf Capri.

Hast Du Capri gesehn und des felsenumgürteten Eilands
Schroffes Gestad als Pilger besucht, dann weißt Du, wie selten
Dorten ein Landungsplatz für nahende Schiffe zu spähn ist:
Nur zwei Stellen erscheinen bequem. Manch mächtiges Fahrzeug
Mag der geräumige Hafen empfahn, der gegen Neapels
Lieblichen Golf hindeutet und gegen Salerns Meerbusen.
Aber die andere Stelle (sie nennen den kleineren Strand sie)
Kehrt sich gegen das ödere Meer, in die wogende Wildniß,
Wo kein Ufer Du siehst, als das, auf welchem Du selbst stehst.
Nur ein geringes Boot mag hier anlanden; es liegen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_580.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)