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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Canal des Kalg durchstechen läßt, um das Nilwasser durch die Stadt zu leiten.

Die Muneddis erfahren den Wasserstand vom Scheich des Nilometers, zu dem sie sich jeden Morgen begeben, bevor sie ihre Wanderungen durch die Stadt beginnen. Selbstverständlich erhaltet sie für ihre Mittheilung ein kleines Trinkgeld; doch von den mittleren und niedrigen Classen bekommen sie meistens nur ein Stück Brod.

Der Nilmesser, auf arabisch Mikjas, der schon auf hieroglyphischen Denkmälern häufig in den Händen der Gottheiten als Symbol naturgemäßer Eintheilung und Abstufung erscheint, ist für Aegypten das wichtigste Maß, weil derselbe die fetten und mageren Jahre verkündet. Er steht auf Rodha, jener Insel des Nil, die gleich nach der Eroberung Aegyptens durch die Araber die Aufmerksamkeit der Statthalter der Khalifen durch den Reiz ihrer Fruchtbarkeit und schönen Lage auf sich zog. Schon im vierundfünfzigsten Jahre der Hedschra ward hier ein Arsenal für Schiffe gebaut, das älteste aller Arsenale, die von demselben ihren Namen empfangen haben. Hier erbauten die Khalifen Paläste für ihre Lieblingsweiber; hier legten sie die herrlichsten Gärten an, deren Ruhm nicht nur in Aegypten, sondern bis Irak erscholl. Berühmter als durch Paläste, Moscheen und Gärten ward Rodha durch die von Melek Saleh, dem siebenten und vorletzten Fürsten des Hauses Cjub, hier angelegte Festung, deren Bewachung seinen Mameluken anvertraut wurde. – Von diesen Merkwürdigkeiten ist heute keine Spur mehr vorhanden, aber noch besteht aus der Mitte des neunten Jahrhunderts die Säule, welche den Nil mißt, von Sultan Selim dem Ersten neu überwölbt. Wenn der Nilmesser unter Vierzehn zeigt, das ist wenn die Fluth nicht vierzehn Ellen hoch steigt, so plagt Hunger das Land; fünfzehn Ellen und zehn Zoll sind das Maß, bei dessen Erreichung die Eröffnung des Canals des Nil, welcher Kairo durchschneidet, als ein öffentliches Dankfest mit Jubel gefeiert wird; gewöhnlich erreicht der Nil die Höhe von sechszehn Ellen; die größte Höhe, deren die Geschichte erwähnt, war achtzehn Ellen und zehn Zoll, die kleinste zwölf Ellen und neun Zoll, jene das Jahr des größten Ueberflusses, diese der schrecklichsten Hungersnoth Aegyptens.

Gegenwärtig gehört der den Nilmesser umgebende Grund Hassan Pascha, dessen Palast an der äußersten Spitze der Insel steht. Touristen bleibt der Eingang in diesen reizenden Erdenfleck nicht verschlossen. Ich bin oft auf Rodha gewesen, wo man die schönste Aussicht der Welt genießt. Indeß war ich noch nie im Sommer, das heißt bei hohem Wasserstande dort gewesen, und da ich auch diesen sehen wollte, begab ich mich am Tage vor der Fülle des Nil nach Alt-Kairo, mit der Absicht, dem Nilometer einen Besuch abzustatten.

Es wird heute just ein Jahr, als mich ein schöner arabischer Knabe in seinem alterthümlichen Boote übersetzte. Ich traf auf der Insel mehrere mir bekannte Damen. Vereint schritten wir nach dem Palaste. Als wir vor demselben standen, sprangen zwei schreckliche Eunuchen hervor, wie aus dem Erdboden kommend und gleich Besessenen schreiend: „Fih Harem guwa (es ist ein Harem drinnen).“ Dabei bedeuteten sie uns, daß ich, der einzige Mann unter den Damen, nicht eintreten dürfe.

„Herr der Schöpfung!“ spottete eine meiner Begleiterinnen. „Diesmal gilt es zu gehorchen, diesmal sind die Götter dem armen maltraitirten schwachen Geschlechte günstig. Auf Wiedersehen!“

Damit wollte sie fortgehen.

„Mit nichten!“ rief ich. „Ich lasse Sie nur mit der Bedingung durch, daß Sie mir morgen genauen Bericht über das Gesehene erstatten. Fügen Sie sich der Bedingung, sonst sage ich dem Eunuchen, daß Sie ein verkleideter Herr sind.“

„Ich füge mich; ich füge mich,“ rief mir die Dame zu und verschwand dann mit ihren Gefährtinnen hinter dem festen Haremsthore. Wäre ich kein so gewissenhafter Berichterstatter, ich thäte, was schon so viele Correspondenten gethan, die ihre Unwissenheit orientalischer Verhältnisse durch die Behauptung documentiren, daß man ganz leicht in die Harems kommen könne, und ich erzählte ein pikantes Haremsabenteuer, doch ich bin gewissenhaft und bleibe daher bei der Wahrheit.

Es ist fürwahr ein Glück für solche Correspondenten, daß ihre Leser all die von Eunuchen und Dienern bewachten Vorhöfe, Vortreppen und Vorsäle nicht sehen können, durch welche man dringen müßte, um zu den Haremschönen zu kommen; sie würden sonst jedes Haremsabenteuer bezweifeln.

Am folgenden Tage erhielt ich von meiner Freundin einen Brief, den ich hier in seiner ganzen Damenhaftigkeit wiedergebe.

„Mein lieber Freund!

Obgleich ein unter der Spitze eines Messers gegebenes Versprechen – war die Drohung, mich vor den Eunuchen für einen verkleideten Herrn auszugeben, nicht schlimmer als tausend Messerspitzen? – obwohl ein solches Versprechen gar keinen Werth hat, will ich mich dennoch um das Himmelreich verdient machen und Ihnen erzählen, was uns gestern hinter jenem Thore passirte, auf das Sie so sehnsüchtige Blicke fallen ließen. Dieses Thor führt in den Garten des Palastes. Wir hatten noch keine zwei Schritte gethan, als uns eine Schaar hellgekleideter Frauen entgegensprang; hinter ihnen trabte ein kolossaler, häßlicher Eunuche her.

Ich erfuhr heute, daß besagte Damen dem Harem der Prinzen angehören. Die uns entgegenkommenden Frauen waren sämmtlich in Kattun gekleidet; nirgends eine Spur von Geschmeide, und bei mancher steckten die nackten kleinen Füße in rothen Pantoffeln. ‚Sclavinnen der abwesenden Herrin,‘ flüsterten wir einander zu, und gingen leicht grüßend an ihnen vorüber. Ich drückte den Wunsch aus, den Nilmesser zu sehen.

Die Damen lachten laut auf, wahrscheinlich ob meines unarabischen Accents, und stoben auseinander wie verscheuchte Vögel. Wir schritten durch jenen Laubgang, der zu dem Mikjas führt. Apropos, was wollten Sie denn dem Nilometer absehen? Der Nilometer ist noch immer ein achteckiger Pfeiler und steht noch immer inmitten des unter der Erdfläche ausgegrabenen Raumes, und das Wasser erreicht jetzt fast den auf dem Pfeiler ruhenden Querbalken; die kufische Schrift rings herum ist noch immer kufisch. Waren Sie vielleicht darüber im Zweifel?

Wir wurden nun von der Kalsa, das heißt der Gouvernante des Harems, eingeholt. Sie trug rothe Pantoffel, weite, sehr weite Beinkleider, die sie im Gehen zu hemmen schienen, darüber ein faltenreiches Kleid aus blauem Kattun. Sie war ziemlich hübsch, hatte aber einen lässigen Zug um dem Mund, als wäre sie über all dem Wachehalten versauert; ihren Kopf bedeckte ein schneeweißer Turban.

Sie ließ uns das Pförtchen öffnen, das die zu dem Nilmesser hinunterführende Treppe verschließt, und führte uns hernach in dem Garten herum. Dabei fragte sie uns recht gehörig über unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus. Sie kennen den Balcon, der um das Erdgeschoß des Palais herumläuft. Die Aussicht, die man von hier genießt, ist immer schön, doch gegenwärtig ist sie es über alle Maßen.

Die Wassermasse ist jetzt fürwahr imposant. Der Nil, von der Insel in zwei Arme getheilt, trennt sich hier zu Füßen des Palastes; er fluthet so mächtig gegen Norden, als wolle er die Insel mit fortschwemmen, und dennoch brechen sich seine Fluthen schäumend und gurgelnd an dem massiven Gesteine des Gebäudes. Links ragen die Pyramiden von Gizeh, Sakkarah und Abusir über den reizendsten Palmenhain empor, und rechts glüht der rothe Mokattam im Scheine der sinkenden Sonne, welche die nadelfeinen Minarets der Citadelle und auch die Segel eines einsamen auf der Fläche des Wassers hingleitenden Schiffleins goldig färbt.

‚Es ist sehr schön, nicht wahr?‘ fragte plötzlich eine Frauenstimme auf arabisch.

Die Sprechende war eine der Damen. Sie hatten sich Alle unbemerkt herangeschlichen, während wir im Anblicke der sinkenden Sonne versunken waren. Wahrlich, eine herrliche Erscheinung, dieses Mädchen aus dem Harem! Sie trug ein schneeweißes Gewand, ihr wunderschönes schwarzes Haar fiel in zwei langen Flechten vom stolz gebogenen Nacken herab und war vorn durch ein goldgelbes Atlasband nach hinten gebunden. Hände und Füße waren winzig, und das Gesicht war so schön und fein, daß ich in meinem Inneren die Harems segnete, die diese orientalischen Schönen verhüllen, denn wenn solche Schönheit in Eure Mitte träte, Ihr Männer, so müßten wir gar bald abdanken und den Orientalinnen das Scepter überlassen.

Die übrigen Damen waren ziemlich alt, einige Backfischchen ausgenommen, die reizende Mädchen zu werden versprachen. Alle standen um uns herum und beschauten unsere Toiletten mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_572.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)