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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


mit Personen gemacht haben, die zu der zahlreichen und widerwärtigen Classe der Aufdringlichen gehören und die für berühmte Leute eine wahre Plage sind. Die nachstehende kleine Anekdote gehört zu dem Culturbilde der Festtage in Bayreuth. Ein Herr So und So, Banquier seines Glaubens und ostensibler Kunstmäcen, hatte sich dermaßen an- und aufgedrängt, daß er Zutritt in die „Villa Wahnfried“ (Wagner’s bekanntes Haus) erhielt. Gleich am ersten Empfangsabende glaubte er mit dem Meister musikalische Conversation pflegen zu müssen und – sprach über Meyerbeer. Meister Richard quälte sich, den essigsauren Ausdruck seines Gesichtes zu verbergen. Der „Mäcen“ aber ließ nicht nach und schloß mit den „Donnerworten“ für Wagner:

„Gott! wenn Meyerbeer noch lebte und Sie, Meister Wagner, hätten mit ihm zusammen gearbeitet, was hätten Sie Beide mit vereinten Kräften Großes leisten können!!“

Seit jener Zeit ist man in Villa Wahnfried menschenscheuer geworden und fürchtet vielleicht gar den Vorschlag einer Compagnieschaft mit Jakob Offenbach.

Jeder Eisenbahnzug bringt neue „Völker“, um Theil zu nehmen an dem „großen Ereignisse“ und ein herrliches Künstlerleben in dem freundlichen Städtchen zu führen. Das ist ein zwangloses Begrüßen und Händeschütteln, frei von jedem Ceremoniell, wie es sonst wohl auf Sänger- und Schützenfesten herrscht. Wirklich, außer im unvergeßlichen Italien, habe ich unter Künstlern und Schriftstellern nie einen so frohen, humanen Ton gefunden, wie hier in Bayreuth.

Eine „unvermeidliche“ Kneipe, eine Art Kunstbörse für Alle, bildete sich auch hier. Angermann’s Bierlocal ist etwas besser als eine Anzahl Spelunken, aber nicht viel. In zerstreut liegenden niedrigen Zimmern, auf primitiven Stühlen und bei wunderbar saumseliger Bedienung herrscht ein fröhlicher Meinungsaustausch, und das summt durcheinander wie in einem Bienenkorbe. Damen und Herren, nirgends ein individuelles Hervordrängen, Touristentoiletten und – sehr viel Tabaksrauch, vor dem die Sänger und Sängerinnen natürlich sich scheuen müssen, ebenso die „Mannen“ und „Manninnen“. (Meinen verehrten Leserinnen klingen diese Ausdrücke etwas fremd. Aber sie gehören zur Sprachtechnik der Tage, und der Humor acceptirt sie. „Mannen“ heißen nämlich die Inhaber der männlichen Nebenrollen „Manninnen“ die der weiblichen, und ich rede ein paar talentirte junge Sängerinnen, Töchter eines alten Freundes in Hamburg Namens Kalmann, nie anders an als: Mannin „Ida“ und Mannin „Meta“.) Für die Musiker sind die Tage bis zum 13. wirkliche Erholungstage, und sie haben Recht, Theil zu nehmen an der glücklich situirten Majorität der Fremden, denn es stehen ihnen saure Tage bevor.


11. August.     

Ein artistischer Calvarienberg! Ich konnte mit dem besten Willen diesen Ausruf nicht unterdrücken, als ich heute bei zweiundzwanzig Grad Réaumur schon um zehn Uhr Morgens nach einer Fußtour von einer halben Stunde die Anhöhe erreicht, auf welcher das Wagner-Theater erbaut ist.

Ich kann mir nicht helfen und muß es, so sehr ich mit Wagner sympathisire, aussprechen: die Wahl der Stelle des Theaters ist ein Fehlgriff. Die Aussicht von dem Hügelplateau ist reizend. Das Plateau selbst ist kahl und schattenlos wie die Felsen von Brunhilde. Droschken giebt es in Bayreuth etwa vierzig, und die Herren Kutscher verweisen den Tarif in die Zeit der Götterdämmerung. Diesen Spaziergang muß Jeder in voller Sonnengluth machen, denn die Vorstellungen beginnen um fünf Uhr Nachmittags, und in Schweiß gebadet erreicht er die Anhöhe. – Aber man denke sich jetzt einen solennen Platzregen oder einen soliden Landregen! Durchnäßt bis auf die Haut – das ist alsdann die Kehrseite der Medaille. Das thut nichts. O nein, gewiß nicht, aber ich möchte doch behaupten, es übt einen sehr bedenklichen Einfluß auf die Stimmung der Zuschauer aus. Zwei große schöne Restaurationslocale sind vorhanden, aber es sitzt der Mensch bei schönem Wetter doch gern im Freien, zumal die Zwischenpausen über eine Stunde dauern sollen, und es ist nicht angenehm, mit nassen Kleidern in der Restauration oder im Theater zu sitzen. Die Idee, das Theater contemplativ und fern vom Geräusche der Straße zu bauen, ist wohl schön, aber ohne Rücksicht auf den Stand des Barometers ausgeführt. Es stempelt das Theater selber zu einem Privilegium für Equipagenbesitzer. So wird man also gezwungen sein, auf dem „Kunstcalvarienberge“ gleichsam zu bivouakiren, um von den Extremen der Witterung nicht niedergedrückt zu werden.

Der bekannte Bau ist einfach, aber stylvoll gehalten. Die Einrichtungen des Zuschauerraumes sind eine Beschämung für der Bau unserer modernen Theater, und würden in den amphitheatralisch aufsteigenden Sitzreihen einige Ecksitze wegfallen, von denen aus man nur die Hälfte der Bühne sieht, so wäre ein vollendetes Meisterstück des Praktischen und Bequemen geschaffen. An jeder Seite führen von dem weiten Foyer sehr bequeme Eingänge zu den Prosceniumssitzen. In zehn Minuten kann der ganze Zuschauerraum sich leeren, und die Bauart ist ganz geeignet, uns einen Ruf der Bewunderung zu entlocken. Kein Kronleuchter! Kein störendes Licht sticht unsere Augen; keine Seitenlogen lenken unsere Blicke ab. Die „Fürstengallerie“ befindet sich ganz oben nach hinten. – Ueber die Bühne und das unsichtbare Orchester kann ich erst ein Urtheil abgeben, nachdem ich einer Vorstellung beigewohnt habe. Das Wenige, was ich in den Verwandlungsnummern gesehen, welche auf der Bühne probirt wurden, geschah ohne Beleuchtung und hatte mehr technische Uebungen zum Zweck.

Zurück zur Stadt bei noch zwei Grad mehr Wärme! Nachmittags nahm ich eine Einladung zu einer Fahrt nach Schloß „Fantaisie“ an und erfrischte meine Nerven an dem wundervollen landschaftlichen Stimmungsbild des herrlichen Waldparkes. Die Copien antiker Bildwerke übten auf mich keinen Reiz aus, desto mehr die trauliche Landschaft und der Rückweg im Waldthale, den wir zu Fuß machten.

Der Tag schloß mit einer freudigen Ueberraschung. Kaum betraten wir die Angermann’sche Unvermeidlichkeit, als ich von allen Seiten meinen Namen rufen hörte. Meine Speciallandsleute, Künstler und Collegen und einige mir befreundete Kaufleute, waren angelangt. In den andern Zimmern ging’s nicht minder laut her. Die Abendzüge hatten Neuangekommene aus allen Theilen Deutschlands herbeigeführt, aber auch aus England, der Schweiz, Italien und selbst Frankreich, und die Sprachen und Dialekte wirbelten durcheinander, wie ein conversationelles Charivari.

Der morgende Tag wird uns zwei Kaiser bringen. Deutschlands und Brasiliens Herrscher.

12. August.     

„Dieser Tag gehört dem Kaiser“ – das war die Parole, und selbst die „Beckmesser“ – verbalinjuriöse Schmeichelei, welche die Wagnerianer der äußersten Linken den Gegnern von der äußersten Rechten machen – also selbst die „Beckmesser“ machten ein Sonntagsgesicht und bildeten – aus „Patriotismus“ – Spalier, als Seine Majestät um fünf Uhr seinen Einzug in die Stadt hielt, die „vor Flaggen und Kränzen kaum zu sehen war“, wie ein patriotischer Berliner in einer Stimmung von + 30 Grad Réaumur sich ausdrückte.

Das übliche und längst sprüchwörtlich gewordene „Kaiserwetter“ that auch heute seine Schuldigkeit. Der Himmel lächelte große Gala, und die Menschen drängten sich auf den Straßen wie bei den respectiven Siegeseinzügen von 1871, als die Kanonen donnerten, welche die Ankunft des Zuges verkündeten, der den Kaiser brachte. Mit dem Kaiser trafen auch die „Civilisten“ ein, das heißt derjenige Theil des Publicums, welcher weder zu den Künstler- noch Schriftstellerkreisen gehört, und – – die Herren Taschendiebe. Einer Dame, welche leichtlebiger Weise ihre Baarschaft in einer sogenannten „Gretchentasche“ trug, wurde dieses allzu sichtbare Portemonnaie abgeschnitten, und neunhundert Mark empfahlen sich auf Nimmerwiedersehen. Dem Sänger Dr. Gunz aus Hannover wurde eine kostbare goldene Uhr nebst Kette unsichtbar. Dem Dichter Mosenthal gönnten die Pickpockets weder die Tantièmen, noch seine Patronatskarte. Diese und fünfhundert Mark trennten sich von ihrem Besitzer. Das geschah Alles auf dem Perron des Bahnhofes oder auf dem Wege zur Stadt.

Eine Stunde vor dem Kaiser war der Großherzog von Weimar eingetroffen. Diesem wurden die artistischen Empfangshonneurs durch Franz Liszt gemacht, der den großherzoglichen Zug in die Stadt, allein in seiner Equipage, wie ein Kunstfürst beschloß, nach rechts und links mit freundlicher Würde den Acclamationen des Publicums dankend. Der Kaiser wurde von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 569. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_569.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)