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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


daß er sich genöthigt sah, das Nipptischtheater zur Verpachtung auszubieten.

Nur Wenige hätten wohl den außerordentlichen Muth gehabt, in einer derartigen Stadtgegend, auf einem so ungemein beschränkten Raume die Erbschaft eines so verrufenen Instituts anzutreten, dem die Feuilletonisten der Hauptstadt bereits von einem dicht nebenanliegenden Vergnügungslocale sehr ungezwungener Art den Spottnamen „Die grüne Neune“ gegeben hatten. Wallner besaß diesen Muth, weil in ihm ein energischer Thätigkeitsdrang und ein begründetes Selbstvertrauen lebte. Im Uebrigen brachte er aus Posen einen schon geschulten Stamm tüchtiger Schauspieler mit, unter denen sich als eine zugkräftige Künstlerin ersten Ranges auch seine Gattin befand, Frau Agnes Wallner. Er selber spielte nur noch äußerst selten, seitdem er Director geworden, sondern widmete sich mit hingebendem Eifer der Leitung des Ganzen. Man spricht jetzt viel von dem Erfordernisse eines guten Ensemble und rühmt das treffliche Zusammenspiel der Meininger. Mit einem fein und künstlerisch durchgeführten, von anmuthigem Leben durchhauchten Ensemble hatte aber Wallner schon vor fünfundzwanzig Jahren durchschlagende Wirkungen erzielt, und es war das eine Frucht seines ausdauernden Mühens, seiner umsichtigen Fachkenntniß und guten Geschmacksbildung. So zeigten sich seine Leute nun auch in Berlin, aber vor äußerst dünn und von einem untergeordneten Zufallspublicum besetzten Bänken. Seit einer Reihe von Jahren war er in der jetzt politisch erregten Hauptstadt verschollen; seine alten journalistischen Freunde waren entweder gestorben oder durch das Revolutionsjahr in alle Winde zerstreut – er stand ganz allein, ohne jede kräftige Förderung in einem obscuren oder als unfashionable verpönten Winkel der Hauptstadt. Es waren das schwere und schmerzliche, oft bis zur Trostlosigkeit bange Wochen und Monate. Aber mit der Zeit kam doch hier und da ein müßiger Durchwanderer der Vorstädte herein, oder es folgte ein alter Bekannter den wiederholten Einladungen, sodaß endlich in den Gesellschaften und in der Presse Bemerkungen laut wurden, es habe in der That da draußen ein neues Kunstwunder von überraschendem Eindrucke sich aufgethan. Zuerst kam nun die spott- und zweifelsüchtige Neugier, aber sie kam doch und schied mit Gefühlen des Respect; das Haus füllte sich mehr und mehr, und binnen Kurzem sah allabendlich die öde Blumenstraße ein bisher niemals von ihr erlebtes Schauspiel in den wimmelnden Schaaren, den zahlreich daherbrausenden Equipagen und Droschken, deren Ziel das winzige Theater neben der „Grünen Neune“ war. Durch Beharrlichkeit war der Sieg über alle Widerwärtigkeiten mißlicher Verhältnisse mit einem Male errungen. Es ging bergauf mit täglich sich steigerndem Erfolge, der zu einem in der Theatergeschichte wohl beispiellos dastehenden Glanze, einer wahrhaften Elektrisirung der gesammten Bevölkerung sich gestaltete, als der anregende Schöpfer des jungen Instituts für die jahrelang in ihm lebende Idee einer echten Berliner Volksposse in David Kalisch den rechten Dichter, in seinen berühmt gewordenen Komikern Helmerding, Reusche und Anna Schramm Darsteller von durchschlagendster Wirkung gefunden hatte. Nur ungern verließ er die bescheidene Stätte seines Glückes. Aber die Verhältnisse drängten ihn bald schon hinweg und zwangen ihn zur Erbauung des großartigen Wallner-Theaters, das sich noch heute im Besitze seiner Familie befindet und nach welchem die Straße, in welcher es steht, den Namen Wallner-Theater-Straße führt.

In verhältnißmäßig sehr kurzer Zeit war also der fahrende Wiener Komiker von ehemals ein seßhaft-behäbiger Bürger der norddeutschen Hauptstadt und ein sehr reicher Mann geworden; er erhielt den Titel eines königlichen Commissionsrathes, und es trieb nun die Sorglosigkeit seiner Lage auch manche unschädliche kleine Schwäche in ihm hervor, wie es z. B. die harmlose Freude an einem auszeichnenden Schmuck seiner Knopflöcher war. Im Ganzen aber blieb er unverändert der alte bescheidene, gut- und warmherzige Gesell, Freund eines geschmackvollen Comfort und eines gastlichen und heiteren Lebensgenusses, aber abhold aller unhäuslichen Wüstheit, nüchtern und mäßig, wie er es immer gewesen war. Seine Neigungen waren edleren Gebieten zugewendet und durchaus origineller Art. Noch immer lag er in seinen Mußestunden einer bunten, nicht immer sorgfältig gewählten Lectüre, sowie einer fleißigen schriftstellerischen Thätigkeit ob, die er mit bewunderungswürdig schnellfertiger Leichtigkeit übte. Der „Gartenlaube“ war er gerade in diesen Jahren ein besonders geschätzter Mitarbeiter, der durch seine frischen, immer unterhaltenden und aus dem Leben gegriffenen Artikel sehr viele Freunde im Publicum erwarb. Seine Aufsätze gab er mitunter gesammelt in Buchform heraus, und bezeichnend auch war es für ihn, daß ihm die einlaufenden Journalhonorare eine wahrhaft kindliche Freude, und zwar eine viel größere bereiteten, als die reichen Einnahmen seines Theaters. Er verwendete dieses Geld häufig zur Unterstützung Hülfsbedürftiger, vielfach aber auch zum Ankauf neuer Romanliteratur, von der sich große Massen in seinem Nachlaß gefunden haben müssen.

An Kampf, Sorge und Verdruß hatte es natürlich, trotz Allem, seiner Directionsführung nicht gefehlt. Schon wenige Jahre nach der Erbauung des neuen Theaters ergriff ein starkes Gefühl des Ermattens den strebsamen Mann. „Wie der Schauspieler,“ sagt er, „so hat auch der Director genau darauf zu achten, daß er im rechten Augenblicke aufzuhören sucht. Ehe es ein Anderer merkt, muß er selber wissen, daß er die Zeit nicht mehr versteht und nahe daran ist, aus der Mode zu kommen.“ Im Jahre 1868 entsagte also Wallner plötzlich der Führung seines glänzend situirten Theaters und verpachtete dasselbe an den verdienten Schauspieler und Theaterdirector Lebrun. Nun war für den Reichgesegneten die Zeit gekommen, wo er hätte ausruhen, wo er seines Glückes in ungetrübtestem Behagen sich hätte freuen können. Für solch’ ein Dasein aber war seine Natur nicht geschaffen. In demselben Augenblicke, wo er sich geschäftslos und nicht mehr durch Pflichten an den Ort gebunden sah, erwachte auch mit voller Gewalt der unruhige Trieb seiner Jugend in ihm; es brannte ihm der Boden unter den Füßen, und der unbezwingliche Durst nach dem Wechsel neuer Eindrücke ließ ihn nicht mehr Rast finden bei dem traulichen Leuchten des heimischen Herdes. Dazu kam, daß auch ein ernsthaft sich meldendes Krankheitsleiden den Aufenthalt in südlichen Klimaten räthlich erscheinen ließ. Franz Wallner wurde in vorgerücktem Lebensalter wiederum der alte Tourist, nur daß der Tummelplatz seiner Reiseleidenschaft nicht mehr durch den Umkreis der deutschen Bühne begrenzt war.

Beinahe acht Jahre hindurch hat er einsam, ohne jede Begleitung, dem Zauber dieser Ungebundenheit sich hingegeben; die Welt war seine Heimath, das Hôtel seine Wohnung geworden. Nur im Sommer, wenn er alljährlich die Cur in Karlsbad gebraucht hatte, kehrte er auf eine Reihe von Wochen bei den Seinigen ein, an denen er mit aller Liebe eines zärtlichen Gatten und Vaters hing. Mit dem Herbste aber zog er wieder hinaus, und um sich einen Begriff von der Buntheit seiner Fahrten und von den großen Entfernungen zu machen, die der kränkelnde und oft unterwegs schwer erkrankende Mann durchmessen hat, braucht man nur ein paar Jahrgänge seiner immer anmuthigen Briefe, und nur einen Theil der zahlreichen Reiseschilderungen zu überblicken, die er in dieser Zeit für die „Gartenlaube“ und die verschiedensten Journale geschrieben hat. Bald sind sie aus Paris oder aus Rom, aus Neapel und von den Höhen des Vesuvs, bald von den Ufern des Nils oder aus der Sahara, bald aus dem südlichen Frankreich oder aus Nizza, aus Spanien oder aus den scandinavischen Ländern etc. datirt. In allen diesen Gegenden oder Städten hat er sich meist lange und wiederholt aufgehalten und überall zeigt er, wenn auch nicht von gelehrter Bildung unterstützt, eine angestrengte Wißbegierde, einen offenen Blick für Land und Leute und für alles Merkwürdige der Natur wie der Cultur und Geschichte.

Auf seinen Aus- und Rückfahrten sprach er auch alljährlich ein paar Mal bei uns in Leipzig vor. Wir fanden ihn alsdann zwar gealtert und leidend in seinem Aussehen, in seinem Wesen und Bewegen aber immer frisch, ungebrochen und aufrecht. So hatte er sich auch im Herbste 1875 wieder auf die Tour begeben, aber um Weihnachten schrieb er aus Nizza, es habe ihn ein namenloses Heimweh so gewaltig ergriffen, daß er zurückkehren werde. Aus solcher Anwandlung konnte bei ihm nur das Gefühl tiefster Erschöpfung sprechen; der unerschrockene Wanderer konnte sich nicht mehr verhehlen, daß er müde geworden, und es wurde ihm bange in seiner freiwilligen Vereinsamung. Leider war die Sehnsucht zu spät erwacht. Schon nach wenigen Tagen warf ihn in Nizza ein schwerer Krankheitsanfall nieder und nach einigen Wochen schmerzenreichen Leidens ist er auf fremdem Boden, etwa fünfundsechszig Jahre alt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 567. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_567.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)