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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 34.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Vineta.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)

„Was sollte er hier anders wollen, als jagen?“ fuhr die Fürstin fort. „Du weißt, die Jagdleidenschaft hat er von seinem Vater geerbt. Ich bin überzeugt, er wählte nur deshalb die Universität von J., weil der Ort in waldiger Umgebung liegt, und ist, anstatt die Vorlesungen zu besuchen, den ganzen Tag lang mit Flinte und Jagdtasche umhergestreift. Auf seinen Reisen wird es wohl ähnlich gegangen sein. Er kennt und liebt ja nun einmal nichts Anderes, als die Jagd.“

„Er konnte aber zu keiner schlimmeren Zeit kommen,“ rief Morynski. „Gerade jetzt hängt alles davon ab, daß Du unumschränkte Herrin hier bleibst. Rakowicz liegt zu weit von der Grenze; wir sind dort überall beobachtet, überall von Rücksichten eingeengt. Wir müssen die Disposition über Wilicza behalten.“

„Das weiß ich,“ erklärte die Fürstin, „und ich werde dafür sorgen, daß sie uns bleibt. Du hast Recht, der Besuch kommt äußerst ungelegen, aber ich kann es meinem Sohne doch nicht verwehren, seine eigenen Güter zu betreten, wenn es ihm beliebt. Wir müssen eben größere Vorsicht beobachten.“

Der Graf machte eine Bewegung der Ungeduld. „Mit der Vorsicht allein ist es nicht gethan. Es handelt sich einfach darum, Alles aufzugeben, so lange Waldemar im Schlosse ist, und das können wir nicht.“

„Es ist auch nicht nöthig, denn er wird wenig genug im Schlosse sein, oder ich müßte den Reiz nicht kennen, den unsere Wälder auf solch eine Nimrodsnatur ausüben. Bei Nordeck wurde diese Jagdpassion schließlich zur Manie, die ihn unempfänglich für alles Andere machte, und sein Sohn gleicht ihm auch darin vollkommen. Wir werden ihn nur äußerst selten zu Gesichte bekommen; er steckt den ganzen Tag im Walde und hat sicher nicht die mindeste Aufmerksamkeit für das, was in Wilicza vorgeht. Das Einzige, was ihn hier möglicherweise interessirt, ist die große Gewehrsammlung seines Vaters, und die wollen wir ihm gern überlassen.“

Es lag eine Art von mitleidigem Spott in diesen Worten, die Stimme des Grafen dagegen verrieth einiges Bedenken, als er erwiderte: „Es sind vier Jahre her, daß Du Waldemar nicht gesehen hast. Freilich, Du wußtest ihn schon damals ganz nach Deinem Willen zu leiten, woran ich zuerst entschieden zweifelte. Hoffentlich gelingt Dir das auch jetzt.“

„Ich denke,“ versetzte die Fürstin mit ruhiger Zuversicht. „Uebrigens ist er durchaus nicht so schwer zu leiten, wie Du glaubst. Gerade sein störriger Eigenwille bildet die beste Handhabe dazu. Man muß seinem rohen Ungestüm für den Augenblick nur unbedingt nachgeben und ihn in dem Glauben erhalten, daß sein Wille unter allen Umständen respectirt wird, dann hat man ihn vollständig in der Hand. Wenn wir ihm täglich sagen, daß er unumschränkter Herr von Wilicza ist, so wird es ihm gar nicht einfallen, das auch sein zu wollen. Ich traue ihm überhaupt nicht so viel Intelligenz zu, sich um die Verhältnisse auf seinen Gütern eingehend zu kümmern. Wir können unbesorgt sein.“

„Ich muß mich darin ganz auf Dein Urtheil verlassen,“ sagte Morynski. „Ich selbst sah ihn ja nur zwei Mal – wann hast Du den Brief erhalten?“

„Heute Morgen, eine Stunde vor Deiner Ankunft. Danach können wir Waldemar jeden Tag erwarten; er war bereits auf der Reise hierher. Im Uebrigen schreibt er mit seiner gewöhnlichen lakonischen Kürze, ohne alle Details. Du weißt, unsere Correspondenz zeichnete sich nie durch Ausführlichkeit aus; wir haben uns stets nur das Nothwendige mitgetheilt.“

Der Graf sah nachdenkend vor sich nieder. „Kommt er allein?“

„Mit seinem ehemaligen Erzieher, der sein steter Begleiter ist. Ich glaubte anfangs, der Mann werde sich benutzen lassen, um uns Näheres über Waldemar’s Thun und Treiben auf der Universität erfahren zu lassen, täuschte mich aber darin. Ich mußte natürlich die Studien meines Sohnes zum Vorwand der Erkundigungen nehmen und erhielt nun nichts als gelehrte Abhandlungen über diese Studien selbst, nicht ein Wort von dem, was ich zu wissen wünschte; meine Fragen in dieser Hinsicht schienen gar nicht verstanden zu werden, so daß ich schließlich den unfruchtbaren Briefwechsel abbrach. Sonst ist dieser Doctor Fabian einer der harmlosesten Menschen, die existiren. Von seiner Gegenwart ist gar nichts zu besorgen und von seinem Einfluß auch nichts, denn er besitzt keinen.“

„Es handelt sich für uns auch hauptsächlich um Waldemar,“ erklärte der Graf. „Wenn Du also meinst, daß von seiner Seite keine störende Beobachtung zu fürchten ist –“

„Jedenfalls keine schärfere, als wir sie nun schon seit Monaten Tag für Tag erdulden,“ unterbrach ihn die Schwester. „Ich dächte, der Administrator hätte uns Vorsicht gelehrt.“

„Jawohl, dieser Frank und sein ganzes Haus legen sich förmlich auf’s Spioniren,“ rief Morynski heftig. „Ich begreife nicht, Jadwiga, daß es Dir immer noch nicht möglich ist, uns von dieser unbequemen Persönlichkeit zu befreien.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 561. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_561.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)