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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


und links und vor sich auf dem sanft ansteigenden Wege Stücke von Feldern und Wiesen, von Gärten und Weinbergen, was allerdings für einen Oekonomen recht hübsch und lohnend ist, wenn man eben nicht mit der Prätension käme, einen schönen fürstlichen Landsitz zu sehen, einen großartigen Ueberblick über den See zu haben.

Allerdings sollte ich beschämt werden.

Durch einen gewölbten Thorweg trat ich im Verfolgen meines Weges auf ein weites Plateau, das von drei Seiten von prachtvollen Gartenanlagen umgeben ist; nach Osten hin schließt es ein imposanter Schloßbau ab, der aus einem Mittelbau und zwei Seitenflügeln besteht; daneben ist die Kirche gelegen. Die Gebäude sind von röthlichem Sandstein in jenem Magnificenzstyle aufgeführt, den die Jahreszahl 1746 andeutet. Ueber dem Erdgeschosse bauen sich zwei Etagen auf; im zweiten Stocke befindet sich ein Balcon, und oberhalb desselben begrüßen wir die Wappen der Bauherren, des Hochmeisters des deutschen Ordens, des Herzogs Clemens August von Bayern, Kurfürsten von Köln, des Landcomthurs Grafen von Froberg und des Comthurs in der Mainau, des Freiherrn von Baden; das ist die nach dem Schloßhofe gehende Seite. Man ist mit dem Schlosse indeß bald fertig; der Blick geht auf die entzückenden Blumenbosquets zurück, die sich um das Schloß gruppiren. Das Grün und die Blumen erscheinen hier in erhöhter Farbenpracht; vielleicht ist es die Seeluft – die Luftwelle rings ist Duft und Aroma. Als ich mit meinem Begleiter den Schloßhof betrat, war im Schlosse eine gewisse Bewegung; die Lakaien rannten von einem Schloßflügel zum andern. Vor dem Eingange des Südflügels war ein Teppich die Stufen hinab bis auf den Boden gelegt, und ab und zu erschien ein Bediensteter des Hofes, den Blick forschend nach dem Thorwege richtend. Ein Herr von kräftiger Statur, wenn auch nicht sehr groß, mit blondem Vollbart, in schwarzem Frack und hellen Beinkleidern, erschien in der Thür und sprach mit einem ältern Herrn von hagerer Gestalt, der eine Brille trug.

„Der mit dem Vollbart ist unser Großherzog,“ flüsterte mir mein Begleiter, der mich auf kurze Zeit verlassen hatte, zu, „und der andere, das ist der Gemmingen, der Hofmarschall. Ich hab’ mich bei einem Lakaien erkundigt. Wissen Sie, was los ist? Die französische Kaiserin, die Eugenie, kommt von Arenenberg, drüben vom thurgauischen Ufer, zum Besuch.“

„Ah, das ist ja sehr interessant.“

„Sehen Sie, und die Dame, die jetzt zu unserem Großherzog tritt, das ist unsere Großherzogin.“

Er fragte mich, ob das nicht noch „ä schee Frauche“ wäre?

Ich kannte die hohe, edle Gestalt der Großherzogin mit dem milden anmuthigen Gesichte von Berlin her. Sie trug ein schwarzseidenes Kleid, das mit gelblichen Spitzen garnirt war. In demselben Augenblicke rollte eine Equipage durch den Thorweg auf den Schloßhof, auf den Eingang zum Schlosse zu. Der Hofmarschall trat auf die unterste Stufe; das großherzogliche Paar stand vor dem Eingange, die beiden Kinder, Prinzessin Victoria und Prinz Victor, zur Seite. Im Vestibule sah man Herren und Damen des Hofes. Die Equipage war dunkelgrau; Kutscher und Diener auf dem Bocke waren ganz in Schwarz gekleidet. Aus dem Wagen stieg eine Dame, von Kopf bis zu Fuß in schwarze Wolle und schwarzen Krepp gehüllt. Der Großherzog und die Großherzogin gingen ihr entgegen und begrüßten sie. Es war die Wittwe Napoleon’s des Dritten; sie trug um den Gatten noch die tiefe Trauer, ebenso wie ihre Begleitung, eine Hofdame und jener bekannte Corsicaner Pietri, erst Cabinetschef, dann Polizeipräfect unter dem Kaiserreiche und nun dienstthuender Kämmerer der Wittwe seines früheren Herrn. Ich hatte vorher die Kaiserin nie gesehen; ich hatte mir in ihr eine imposante Erscheinung vorgestellt und sah nun vor mir eine kleine Frau, aber sie war von einer unendlichen Grazie in den Bewegungen. Ich hatte so sehr gewünscht, ihr Gesicht zu sehen, aber leider schlug sie den Schleier nicht zurück.

Der Zug setzte sich die Treppe hinauf, in die Gemächer des großherzoglichen Paares in Bewegung. Das Treppenhaus, die Corridore sind mit alten Gobelins aus dem neuen Schlosse von Meersburg, mit alten Schränken, Truhen, Gefäßen, Bildern in der reizvollsten Weise decorirt. Die Kaisern, in der Mitte des großherzoglichen Paares gehend, warf ab und zu einen Blick auf dieselben und machte anerkennende Bemerkungen in Französisch, das sie mit sehr hoher Stimme sprach. Dann schlossen sich hinter den drei hohen Persönlichkeiten die Thüren der Privatwohnung des großherzoglichen Paares. Nach etwa einer halben Stunde kamen die Herrschaften wieder zum Vorschein – die Kaiserin immer verschleiert –, um sich in den eine Treppe höher gelegenen Ordenssaal zu begeben. Dort, wo sie von ihrer Begleitung erwartet wurden, war ein Imbiß aus Wein, Früchten, Eis und Kuchen servirt. Die Kaiserin nahm davon Einiges, trat auf den Balcon, der einen Blick auf den See gewährt, bewunderte die Aussicht, den Saal, der eben restaurirt war, ließ sich mehrere Persönlichkeiten des badischen Hofes, die sie noch nicht kannte, vorstellen und gab sich unbefangen und lebhaft. Von dem tragischen Schicksale, das hinter ihr lag, sprachen nur diese schwarzen Gewänder und die wenn auch nur leisen Furchen ihres Gesichts.

Sie hatte hier im Saale den Schleier auf kurze Zeit zurückgeschlagen. Endlich! Das Gesicht hatte seine schönen Linien noch nicht verloren. Wenn mich im ersten Augenblicke etwas störte, so war es das in die Stirn hängende, abgeschnittene Haar, wie es unsere jungen Damen tragen. Aber diese haben es, wie mir später erklärt wurde, der Kaiserin nachgeahmt, diese trug es zuerst als Trauer, als Wittwentracht, unsere weibliche Jugend hat eine Coquetterie daraus gemacht. Nach eingenommenem Imbiß machten die Herrschaften mit ihrer Begleitung noch einen Spaziergang durch die Gärten am Schlosse, dann fuhr der Wagen wieder vor. Der Großherzog überreichte seinem Besuche ein Bouquet von Rosen, die Kaiserin umarmte die beiden Kinder des fürstlichen Paares, verneigte sich gegen den ganzen Hof mit einer Grazie, die nur einer Spanierin eigen ist, und nun rollte der Wagen wieder davon, dem Schweizerufer zu. Es war Napoleon’s Campagnewagen von Sedan.

Die Ostseite des Schlosses macht den Reiz dieses Patmos des Bodensees aus. Die Hauptfronte des Schlosses geht nach dem See hinaus; über dem hohen Balcon sieht man noch das schwarze weißgeränderte Kreuz der Deutschordensherren, dasselbe Kreuz, welches in den Jahren 1813 und 1870 in dem eisernen Kreuze wieder erstanden ist. Unmittelbar vor dem Schlosse fällt die Insel in einem schroffen, jähen Abhang in den See hinab. Auf wohlgepflegten Wegen, durch lauschige Gänge von Laubholz und Tannen steigt man bis hinab an den Rand der Insel, bis an den Hafen, in dem einst die Parade-Gondel des Comthurs mit dem schwarz-weißen Baldachine lag. Welch buntes Farbenspiel mag das einst gewesen sein, wenn die Pavillons und Baldachine aller der kleinen Seesouveräne auf Spazierfahrten sich begegneten! Es waren nicht wenige und meistens geistliche Fürsten, die wohl zu schätzen wußten, wo gut Wein und Korn wächst. An schönen, linden Sommerabenden, wenn die blaue Welle des Sees sich im leichten Spiele kräuselt und schmeichelnd an den Nachen sich drängt, fährt von hier nicht selten ebenfalls eine stattliche Barke hinaus in den See; die Wimpel flattern im Winde, die gelbrothen des Zähringer Stammes und von Baden, und über diesen, stolz in den Lüften sich blähend und bauschend, die deutsche Kaiserflagge. Das Schifflein, das auf ruhiger Bahn dahingleitet, trägt den Kaiser, und mit größerem Rechte als jener stolze Römer kann dieser sagen: du trägst den Cäsar und sein Glück. Denn das Glück, das hier auf dem engsten Raume, im trautesten Familienzusammensein sich vereint findet, hat jener Cäsar, von dem das Wort stammt, nicht gekannt. Wenn man eine Insel still verborgenen Glückes schildern, schaffen wollte, man müßte das Abbild von dieser nehmen. Welche wunderbaren, stillen, heimischen, von Laub umhegten, überwölbten, von Moos und Epheu überwucherten Plätzchen! Ueberall Feld, Wald, Wasser. Der äußerste Rand der Insel bildet einen Weg um dieselbe – der entzückendste Spaziergang, grünes Laubdunkel, die Welle, die den Fuß des Gehenden fast bespült, dann plötzlich ein Glitzern von Silberstreifen durch das grüne Gehege, eine Oeffnung, ein Bild auf Dörfer, Städte, Schlösser und Berge! Steigt man höher, wieder zum Schlosse zurück, dringt Einem der üppigste Blumenduft entgegen; die Terrassen um das Schloß sind in Blumenparterres, in Blüthengehege verwandelt, aus denen weiße Marmorstatuen und Vasen sich erheben; man glaubt sich nach Ischia, nach Isola Bella versetzt, und diese kennen zudem den deutschen Wald nicht – die Mainau ist weit schöner als diese. Nicht weit vom

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