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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Hier, hinter der letzten gefallenen Compagnie des Obersten Yates, hatte der brave General mit den letzten übrig gebliebenen Officieren seines Regiments noch einmal Stand gemacht, bis einer nach dem andern unter den Händen der wüthenden Wilden verblutet war.

Nicht eine Seele war entronnen, um die Geschichte dieser Blutthat zu erzählen, aber deutlicher und glühender, als es mit Menschenhand beschrieben werden kann, stand es auf den kahlen, felsigen Uferhöhen zu lesen, welch neues Opfer die nimmersatte Mordgier der rothen Teufel gefordert hatte, und beredter, als Menschenworte es aussprechen können, schrie das Blut der Gemordeten, das den Boden röthete, nach Rache. Zweihunderteinundsechszig Leichen wurden gefunden und am blutgetränkten Ufer des Kleinen Big-Horn begraben; die einundfünfzig Schwerverwundeten von Reno’s Commando schaffte man auf Tragbahren bis zur Mündung des Flusses, wo sie von einem zur Expedition gehörenden Dampfer aufgenonnnen und nach Fort Lincoln geschafft wurden.

Obwohl die Hauptmasse der Indianer, welche nach der Schätzung der Officiere sich auf drei- bis viertausend belaufen hatte, südwestlich nach den Big-Horn-Bergen gezogen war, schwärmte doch die ganze Gegend von Banden, welche die Bewegungen der Truppen beobachteten, um bei der geringsten Nachlässigkeit derselben den Angriff zu erneuern. Gibbons’ Cavallerie folgte den Wilden eine Strecke von zehn Meilen, bis sie sich von ihrem einstweiligen Abzuge überzeugt hatte. Die Zahl der todten Rothhäute war schwer zu ermitteln, da sie, wenn irgend möglich, ihre Gefallenen stets mitschleppen; doch dürfte ihr Verlust kaum geringer als derjenige der Truppen gewesen sein. Nur wenige Todte wurden in den Schluchten versteckt gefunden, unter diesen mehrere Arapahoes und Cheyennes, ein Beweis, daß auch weiter südlich wohnende Stämme sich Sitting Bull und seinen Sioux angeschlossen hatten.

Was die eigentliche Ursache dieser grauenvollen Katastrophe war, wird wahrscheinlich nie völlig aufgeklärt werden. Daß der Angriff Custer’s mit seinen fünf- bis sechshundert Mann gegen einen sechsfach überlegenen Feind verfrüht war, steht fest, denn die Ordre Terry’s lautete, bis zur Vereinigung mit Gibbons, die frühestens am 27. erfolgen konnte, zu warten. Vielleicht fürchtete Custer, die Indianer würden ihm entschlüpfen, wenn er wartete, vielleicht waren Umstände vorhanden, die ihm einen Angriff nothwendig erscheinen ließen. Seine bekannte Kühnheit ließ ihn dabei wohl die Kriegstüchtigkeit der Sioux unterschätzen, und gewiß war die Hoffnung, durch einen entscheidenden glorreichen Sieg dem wilden Kriege ein schnelles Ende zu machen, für einen Mann, dem kriegerischer Ruhm und Ehre das Höchste war, eine starke Versuchung. Sei dem wie ihm wolle: sein Mund ist stumm wie der seiner tapferen Genossen. Hat er einen Fehler begangen, so hat er ihn schwer gebüßt und mit seinem Herzblute gesühnt; das Volk der Republik, dem er so treu gedient, wird seiner nur gedenken als des braven Soldaten und Patrioten; ihm so wie seinen gefallenen Kampfgenossen wird willig und dankbar ein Platz unter den Helden der Republik eingeräumt werden.

In Washington verursachte die Kunde eine große Sensation. Eine Conferenz des Präsidenten mit dem Kriegsminister und dem General der Armee Sherman wurde augenblicklich berufen, da ein allgemeiner Indianerkrieg fast unausbleiblich scheint. Zu gleicher Zeit wurde eine Bill im Senat eingebracht, welche den Präsidenten autorisirt, fünf Regimenter Freiwillige aus den Grenzern der westlichen Staaten und Territorien auszuheben, um die regulären Truppen zu verstärken. Einstweilen wird General Terry’s Truppenmacht durch verschiedene Detachements auf zweitausend Mann gebracht werden, mit welchen er für’s Erste im Stande sein dürfte den Feind zu verfolgen oder wenigstens im Schach zu halten. Die Aufregung und Erbitterung namentlich im Westen ist selbstverständlich groß, und das Verlangen allgemein und dringend, daß die Regierung doch endlich einmal ihre gefährliche, verderbenbringende Indianerpolitik aufgeben und diejenigen Stämme wenigstens, welche sich der Cultur und den Gesetzen durchaus nicht beugen wollen, der Controlle des unseligen Indianerbureaus entziehen und dem Kriegsdepartement zur Züchtigung übergeben möge. Dies Letztere dürfte gleichbedeutend mit Ausrottung sein; die Truppen werden wenig Umstände mit den Mördern ihrer Cameraden machen, wenn ihnen nur freie Hand gelassen wird. Und wehe den Rothhäuten, die in die Hände der ergrimmten Grenzregimenter fallen! Es wird dann heißen: Auge um Auge und Zahn um Zahn; die Abrechnung wird eine blutige werden.

Welche Hindernisse der Armee bisher von der Regierung selbst in den Weg gelegt worden sind, zeigt eine Aeußerung General Sherman’s, welche er bei Gelegenheit dieser letzten Metzelei machte: „Ich habe,“ sagte er, „jeden Mann, den ich entbehren konnte, nach Montana geschickt; die Regierung aber beurtheilt die Verhältnisse in jenen Gegenden nach ihrer eigenen Weisheit. Sie befiehlt eine Expedition, und wir thun das Aeußerste mit dem Material, das sie uns giebt. Wir sind nicht in der Lage, mit demselben das auszuführen, was von uns gefordert wird.“ Hätte General Sherman statt des „Hofkriegsraths“ in Washington unumschränkte Vollmacht, Freiwillige auszuheben und auszurüsten, dann würde mit Sitting Bull und seinen Banden ein schnelles Ende gemacht werden. Und mit ihm würde die Gefahr eines allgemeinen Indianerkriegs beseitigt sein, denn wie er seit Jahren die Seele und der Mittelpunkt aller Indianerunruhen und -Aufstände gewesen ist, so ist er auch jetzt der Leiter der weitverzweigten Verschwörung gegen den Frieden der westlichen Territorien. Sein Tod oder seine Gefangennehmung würde der ganzen Bewegung die Einheit und den Zusammenhalt nehmen und eine schleunige Unterwerfung der einzelnen Stämme wahrscheinlich zur Folge haben.

Das erste Jahrhundert der Republik hat mit einer Katastrophe geschlossen, wie sie die Jahrbücher dieser blutigen Kämpfe bisher nicht aufzuweisen gehabt haben. Möchte es doch eine der ersten Arbeiten der Republik im zweiten Jahrhundert ihrer Existenz sein, das Land von der Indianerpest zu reinigen, die schon so viele Millionen verschlungen und so viele Tausende kostbarer Menschenleben zum Opfer gefordert hat! Denn erst wenn dies geschehen, wird es dem Pionier des Westens möglich sein, in Ruhe und Sicherheit unter dem Schutze der Gesetze der Republik zu leben.




Kaisertage der Mainau.
Von Georg Horn.

„Die Welt ist vollkommen überall, wohin der Engländer und Amerikaner nicht kommt mit seiner Qual,“ rief ich parodirend aus, als ich mich nach einer kurzen Tour in der Schweiz wieder auf deutschem Boden fühlte. Die Angehörigen der zwei genannten Nationen hatten mich aus dem Paradiese vertrieben. Ich athmete wieder auf, als die langen Füße der Engländerinnen, die schlechten kleineren der Amerikaner mein ästhetisches Gefühl nicht mehr beleidigten, das „O Yes – very nice!“ mich nicht mehr in convulsivische Aufregung versetzte. Ich suchte im „Hecht“ in Constanz ein Plätzchen zum Ausruhen, mit vieler Mühe. Die Reise-Saison war im Schwunge – das alte wohlbekannte Gasthaus gefüllt. Man hörte kein Englisch, aber dafür desto mehr Französisch, und an der Table d’hôte sowohl wie vor dem Hause sah man Gestalten, wie man sie sonst nur auf den Boulevards in Paris zu sehen gewohnt ist, Herren mit dem üblichen Napoleonischen Schnurr- und Knebelbarte, mit dem rothen Bouton der Ehrenlegion im Rocke von Gayteuil oder Dufantry – das Fremdenbuch war mit Namen von französischen Vicomtes, Barons und Generalen gefüllt.

„Wie kommt es, daß so viele Franzosen hier sind?“ fragte ich den Wirth.

„Die Kaiserin Eugenie ist in Arenenberg,“ wurde mir zur Antwort. „Die Herren sind Bonapartisten, die hierher kommen, um ihr die Huldigungen ihrer Treue und Ergebenheit darzubringen. Die Herren kommen jedes Jahr um diese Zeit.“

So gingen die Anhänger der Stuarts von England einst

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 552. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_552.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)