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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Veränderung zu bemerken; die Züge der noch immer schönen Frau waren genau so kalt und stolz, die Haltung ebenso unnahbar wie früher. Obgleich sie schon nach Jahresfrist die tiefe Trauer um den verstorbenen Gemahl abgelegt hatte, trug sie doch stets noch schwarze Kleidung, und der dunkle, aber äußerst reiche Anzug kleidete die hohe Gestalt sehr vortheilhaft. Sie war in lebhaftem Gespräche mit ihrem Bruder begriffen.

„Ich begreife nicht, wie Dich diese Nachricht so überraschen kann,“ sagte sie. „Wir mußten längst darauf gefaßt sein. Mich wenigstens hat es stets befremdet, daß Waldemar seinen Gütern so lange und so consequent fern blieb.“

„Eben deshalb!“ fiel der Graf ein. „Er hat Wilicza bisher in beinahe auffallender Weise vermieden; weshalb kommt er jetzt auf einmal so plötzlich, ohne jede vorherige Andeutung? Was kann er hier wollen?“

(Fortsetzung folgt.)




Neue Indianerkämpfe.
1. Das Blutbad am Kleinen „Big-Horn“-Flusse.

Seit den wildromantischen Kämpfen gegen die Modocs in ihrer unzugänglichen Felsenburg inmitten der Bergwildnisse Oregons, die mit der völligen Vernichtung des Stammes und der Gefangennehmung ihres Häuptlings, Capitain Jack, endeten, schien sich die Lust zu größeren, organisirten Aufständen gegen die Regierung der Republik bei den Rothhäuten einigermaßen gelegt zu haben. Wenngleich einige Male ein Indianerkrieg drohte, so genügte doch die Entfaltung einer mäßigen Militärmacht, jedesmal das Feuer zu ersticken, ehe es weiter um sich greifen konnte; es blieb bei den alten Ruhestörungen, bei Ueberfällen einsamer Grenzbewohner, Ermordung schwacher Reisegesellschaften und gelegentlichen Scharmützeln mit kleinen Truppendetachements, alles Vorfälle, die, obwohl entsetzlich genug für die Betreffenden, dennoch zu alltägliche Ereignisse waren, als daß sie die Sympathie des großen Publicums tiefgehend zu erregen vermocht hätten. Erst im Laufe dieses Jahres zeigten sich, in Folge des Blackhill-Goldfiebers, schwerere Kriegswolken am westlichen Himmel, so daß im Frühjahr ein Feldzug gegen die Siouxstämme von Montana und Dakota vorbereitet und vor etwa einem Monate begonnen wurde. Das Alles absorbirende Interesse indessen, welches der Osten mit seiner Weltausstellung forderte, ließ es die Meisten fast vergessen, daß in den Wildnissen des fernen Westens eine brave, todesmuthige Schaar im grausamsten aller Kriege ihr Leben für die Civilisation und für den Frieden ihrer Mitbürger in die Schanze schlagen mußte, und als am vergangenen hundertjährigen Geburtstage der Republik froher Jubel das ganze Land erfüllte, da ahnte es wohl Niemand, daß unmittelbar nach dem Nationalfesttage die Kunde von einer Blutthat das Land erschüttern würde, welche in der langen Geschichte der Indianerkämpfe ihres Gleichen nicht gehabt hatte. Am 6. Juli blitzte der Telegraph die grause Nachricht nach allen Theilen der Republik, daß General Custer mit seinem ganzen Commando, über dreihundert Mann stark, in einem blutigen Treffen von den Sioux niedergemetzelt sei. Nicht ein Mann war entronnen, um die Nachricht von dieser Schreckensthat zu überbringen; erst die nachrückenden Truppen fanden die Leichen der Gemordeten, beraubt, scalpirt und scheußlich verstümmelt; nur aus der Beschaffenheit des Schlachtfeldes, der Gruppirung der Todten und aus ergänzenden Muthmaßungen vermochten sie die Geschichte der grausigen Tragödie zusammenzustellen, deren genauere Details kein Lebendiger jemals verrathen wird. Ein düsterer, häßlicher Schlagschatten auf den hellen Jubel des 4. Juli!

Es wird den Lesern der „Gartenlaube“ nicht entgangen sein, daß, seit im vorigen Jahre die Expedition der Regierung nach den Black Hills das Vorhandensein edler Metalle in jenen Bergen bestätigte, ein neues, unsinniges Goldfieber ausbrach, welches Tausende nach dieser von Indianern sehr unsicher gemachten Gegend trieb. Die „Schwarzen Berge“ waren uraltes Eigenthum der Rothhäute, der heilig gehaltene Begräbnißplatz mächtiger Stämme seit unvordenklichen Zeiten. Man erwartete folglich blutigen Widerstand gegen die Eindringlinge in ein Gebiet, das bis dahin noch nie von eines Weißen Fuß betreten worden war. Die Regierung beabsichtigte auch die Wilden in ihren Rechten zu schützen und verbot die Einwanderung von Goldgräbern, aber das Verbot wurde wenig beachtet. Die Folge waren blutige Schlächtereien, ein Guerillakrieg, in welchem die Weißen natürlich den Kürzeren zogen. Dies bewog die Regierung, Unterhandlungen mit den Häuptlingen der umwohnenden Stämme anzuknüpfen, indem die wachsende Aufregung derselben ernstere Conflicte befürchten ließ. Ein Vertrag mit „Sitting Bull“, dem großen Häuptling der mächtigen Siouxstämme, kam zu Stande, kraft dessen er sich verpflichtete, mit seinen Leuten nach der ihnen am oberen Missouri angewiesenen Reservation auszuwandern. Dies sollte bis bis spätestens Ende Januar dieses Jahres geschehen sein. Es geschah indeß nicht; im Gegentheil verband sich Sitting Bull mit mehreren Siouxstämmen, zog andere Indianer aus Wyoming und Colorado mit in das Bündniß und sammelte ein Heer wohlbewaffneter und gutberittener Krieger, dessen Stärke von Wohlunterrichteten auf mindestens viertausend Mann geschätzt wurde.

Zunächst um diesen Häuptling wegen Verletzung seines Vertrages zu züchtigen, wurde die Expedition dieses Frühjahr ausgerüstet. Sie war in drei Divisionen getheilt, deren eine von General Terry und unter ihm von den Generalen Custer und Gibbons befehligt wurde. Terry’s Operationsplan war in kurzem folgender: Das Lager der Indianer befand sich Ende Juni im südlichen Montana zwischen dem Big-Horn- und Rosebud-Flusse, die sich beide parallellaufend von Süden her in den Yellow-Stone-Fluß ergießen. Dieses sollte umzingelt und dann womöglich vernichtet werden. Gibbons’ Abtheilung, bei welcher Terry selbst sich befand, sollte an der Mündung des Big-Horn landen, dem Laufe desselben folgen und sich dann ostwärts gegen die Indianer wenden; Custer hatte Ordre, von der Mündung des Rosebud stromaufwärts zu marschiren, dann sich ostwärts gegen die Indianer zu wenden und nach seiner Vereinigung mit Gibbons, die am 27. Juni erfolgen sollte, das Lager mit der ganzen ungefähr tausend Mann starken Truppenmacht anzugreifen. Der Plan war derart, daß man diesmal mit Recht hoffen durfte, den Rothhäuten einen empfindlichen Schlag zu versetzen. Die Soldaten und ihre Führer ließen nichts zu wünschen übrig. In jahrelangem Grenzdienste hatten sie die Ränke und Schliche der Wilden gründlich kennen gelernt, und niemals marschirten bravere Männer gegen einen grausameren und heimtückischeren Feind.

In besonderem Maße galt dies von dem erst siebenunddreißig Jahre alten General Custer. Er hatte die Kriegsschule in Westpoint kaum absolvirt, als die Rebellion ausbrach, welche er von Anfang bis zum Ende durchmachte. In nicht weniger als sechszig Schlachten und Gefechten kämpfte er für die Union, stieg vom Range eines Secondelieutenants bis zu dem eines Generalmajors und war, als der Friede geschlossen wurde, einer der gefeiertsten Reiterführer der Armee, von seinen Soldaten vergöttert und wegen seiner todesverachtenden Kühnheit im ganzen Lande gefeiert.

Wie mit dem Schwerte, so war Custer auch mit der Feder ausgezeichnet. Seine Schilderungen des Kriegslebens auf den westlichen Prairien, das er im Grenzdienste gründlich kennen lernte, wurden stets mit Vergnügen von den Lesern der Magazine aufgenommen, deren Mitarbeiter er jahrelang war.

Am 22. Juni zu Mittag brach Custer mit seinem ganzen Regimente, aus zwölf erlesenen Veteranencompagnien bestehend, von der Mündung des Rosebud-Flusses auf, begleitet von einer Abtheilung indianischer Kundschafter. Er marschirte etwa zwanzig Meilen stromaufwvärts, das heißt südlich, bis er auf einen stark betretenen Indianerpfad traf, der genauer Recognoscirung zufolge westwärts nach dem Kleinen Big-Horn-Flusse führte, einem Nebenflüßchen des Big-Horn, der, von Südosten kommend, sich westwärts in denselben ergießt. Er schlug den Pfad ein und stieß nach einiger Zeit auf ein Indianerdorf oder Lager von ganz ungewöhnlicher Größe, das sich in einer Ausdehnung von drei Meilen am linken oder südlichen Ufer des Kleinen Big-Horn hinzog. Trotz der Größe des Lagers und der wahrscheinlichen bedeutenden Uebermacht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_550.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)