Seite:Die Gartenlaube (1876) 547.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


kurz und flüchtig, und ich sagte es Ihnen ja vorher, daß ich“ – er lächelte wehmüthig – „weder Geschick noch Glück zum Diplomaten habe.“

„Sie meinen das Loch in Ihrem Kopfe?“ fragte der Gutsherr. „Nun, das hing doch eigentlich mit der Geschichte gar nicht zusammen, aber ich will Sie künftig doch nicht mehr mit solchen Aufträgen plagen. Also Sie haben nichts herausbekommen, schade! Und wie steht es mit Waldemar? Haben Sie ihm einen tüchtigen Sermon gehalten?“

„Er hat mir versprochen, sich das Geschehene aus dem Sinne zu schlagen.“

„Gott sei Dank! Ich sage es ja, Sie können jetzt Alles mit ihm ausrichten. Uebrigens, Doctor, haben wir dem Jungen Beide Unrecht gethan, wenn wir meinten, er hätte überhaupt kein Gefühl. Ich dachte nie, daß ihm die Geschichte so zu Herzen gehen würde.“

„Ich auch nicht,“ sagte der Doctor mit einem Seufzer und mit einer Beziehung, die Herrn Witold natürlich ganz entging. –

Waldemar fand beim Eintritte in das Eckzimmer den Bruder seiner harrend. Der junge Fürst, dem schon bei seiner Ankunft das alterthümliche, etwas niedrige Wohnhaus und die entsprechenden Hofgebäude aufgefallen waren, musterte jetzt mit äußerstem Befremden die einfache Einrichtung des Gemaches, in das man ihn gewiesen. Er war seit frühester Jugend an vornehme und elegante Umgebungen gewöhnt und begriff nicht, wie sein Bruder, dessen Reichthum er ja kannte, hier überhaupt ausdauern konnte. Der Salon der Miethwohnung in C., der ihm und der Fürstin erbärmlich schien, war ja prachtvoll zu nennen gegen dieses Empfangszimmer von Altenhof.

Doch all diese Erwägungen verschwanden beim Erscheinen Waldemar’s. Leo ging ihm entgegen und sagte hastig, als wolle er sich so rasch wie möglich einer unangenehmen Nothwendigkeit entledigen: „Mein Kommen befremdet Dich? Du hast aber seit acht Tagen unser Haus nicht betreten und nicht einmal den Brief der Mama beantwortet; da blieb mir wohl nichts Anderes übrig, als Dich aufzusuchen.“

Es war nicht schwer, zu sehen, daß der junge Mann bei diesem Besuche nicht aus eigenem Antriebe handelte; sein Gruß und seine Haltung hatten etwas entschieden Gezwungenes; er schien dem Bruder die Hand reichen zu wollen, aber so weit konnte er sich offenbar nicht überwinden; es blieb bei dem bloßen Versuche dazu.

Waldemar bemerkte das nicht oder wollte es nicht bemerken. „Du kommst auf Befehl der Mutter?“ fragte er.

Leo erröthete. Er wußte am besten, welchen Kampf es der Fürstin gekostet hatte, ehe sie diesen Besuch erzwang, für den sie schließlich ihre ganze Autorität einsetzen mußte.

„Ja,“ entgegnete er endlich.

„Es thut mir leid, Leo, daß Du zu etwas veranlaßt worden bist, was Du nothwendig als eine Demüthigung empfinden mußt. Ich hätte es Dir unbedingt erspart, wenn ich davon gewußt hätte.“

Leo blickte überrascht auf; der Ton war ihm so neu wie die Rücksichtnahme auf seine Empfindungen von dieser Seite.

„Die Mama behauptet, Du seist in unserm Hause beleidigt worden,“ nahm er wieder das Wort. „Durch mich beleidigt, und deshalb müßte ich den ersten Schritt zur Versöhnung thun. Ich habe eingesehen, daß sie Recht hat. Du glaubst mir doch, Waldemar“ – seine Stimme nahm einen erregten Ton an – „daß ich ohne diese Ueberzeugung den Schritt nie gethan hätte, niemals?“

„Ich glaube Dir,“ war die kurze, aber bestimmte Antwort.

„Nun, so mache mir die Abbitte auch nicht so schwer!“ rief Leo, indem er jetzt wirklich die Hand ausstreckte, doch der Bruder wies sie zurück.

„Ich kann Deine Abbitte nicht annehmen. Weder die Mutter noch Du bist schuld an der Beleidigung, die mir in Eurem Hause widerfuhr. Sie ist übrigens bereits vergessen worden. Sprechen wir nicht mehr davon!“

Leo’s Erstaunen wuchs mit jeder Minute; er konnte sich in diese kühle Ruhe nicht finden, die er so gar nicht erwartet hatte. War er doch selbst Zeuge der furchtbaren Aufregung Waldemar’s gewesen, und jetzt lagen kaum acht Tage dazwischen.

„Ich glaubte nicht, daß Du so schnell vergessen könntest,“ erwiderte er mit unverstellter Betroffenheit.

„Wo ich verachten muß – allerdings!“

„Waldemar, das ist zu hart,“ fuhr Leo auf. „Du thust Wanda Unrecht; sie hat mir eigens aufgetragen, Dir –“

„Willst Du es mir nicht lieber ersparen, die Botschaft der Gräfin Morynska zu hören?“ schnitt ihm der Bruder das Wort ab. „Es handelt sich hier doch wohl um meine Auffassung der Sache, und die weicht durchaus von der Eurigen ab. Doch lassen wir das! – Die Mutter erwartet wohl nicht, daß ich ihr persönlich Lebewohl sage. Sie wird es begreifen, daß ich für jetzt noch ihr Haus meide und auch in diesem Herbste nicht nach Wilicza komme, wie wir ausgemacht hatten. Vielleicht im nächsten Jahre.“

Der junge Fürst trat mit finsterer Miene einen Schritt zurück. „Du wirst doch nicht etwa meinen, daß wir nach diesem Zerwürfnisse, nach dieser eiskalten Abweisung, die ich von Dir erfahren muß, noch Deine Gäste sein können?“ fragte er gereizt.

Waldemar kreuzte die Arme und lehnte sich an das Schreibpult. „Du irrst; von einem Zerwürfnisse zwischen uns ist keine Rede. Die Mutter hat jenen Vorfall in ihrem Briefe an mich auf das Entschiedenste mißbilligt. Du hast es durch Dein Einschreiten noch mehr gethan, und wenn mir noch eine formelle Genugthuung fehlte, so giebst Du sie mir jetzt durch Dein Kommen. Was hat denn überhaupt die ganze Sache mit Eurem Aufenthalt auf meinen Gütern zu thun? Du hast freilich dem Plane von jeher widerstrebt – ich weiß es. Weshalb?“

„Weil er mich demüthigt. Und was mir früher peinlich war, ist mir jetzt vollends unmöglich geworden. Mag die Mama beschließen, was sie für gut findet, ich setze keinen Fuß –“

Waldemar legte begütigend die Hand auf seinen Arm. „Sprich das nicht aus, Leo! Das übereilte Wort könnte Dir später einen Zwang auferlegen. Um Dich handelt es sich hier ganz und gar nicht. Ich habe meiner Mutter den Wohnsitz in Wilicza angeboten, und sie hat ihn angenommen. Es war das, wie die Verhältnisse nun einmal liegen, einfach meine Pflicht; ich kann und darf ihren dauernden Aufenthalt bei Fremden nicht zugeben, ohne mich selbst zu beschämen; es bleibt also bei dem Plane. Du gehst ja übrigens zur Universität und kommst höchstens in den Ferien nach Wilicza, um die Mutter zu sehen, und was sie mit ihrem Stolze vereinbar findet, wirst Du wohl auch ertragen können.“

„Aber ich weiß, daß es sich dabei um unsere ganze Existenz handelt,“ brach Leo aus. „Ich habe Dich beleidigt; ich sehe es jetzt ein, und da kannst Du doch nicht verlangen, daß ich alles aus Deiner Hand nehmen soll.“

„Du hast mich nicht beleidigt,“ sagte Waldemar ernst. „Im Gegentheil, Du allein bist wahr gegen mich gewesen, und wenn mich das im Augenblicke auch kränkte, jetzt danke ich es Dir. Du hättest nur früher sprechen sollen, aber freilich, ich konnte von Dir nicht fordern, den Denuncianten zu machen, und begreife, daß nur die Leidenschaft des Augenblicks Dich zu der Eröffnung fortreißen konnte. Dein Dazwischentreten hat ein Netz zerrissen, in welchem ich gefangen lag, und Du glaubst doch nicht, daß ich Schwächling genug bin, das zu beklagen? – Zwischen uns Beiden hat alle Feindschaft ein Ende.“

Leo kämpfte zwischen Trotz und Beschämung. Er wußte recht gut, daß nur seine eigene Eifersucht ihn angetrieben hatte, und fühlte seine Mitschuld um so tiefer, je mehr man ihn davon entlasten wollte. Er hatte sich auf eine heftige Scene mit dem Bruder gefaßt gemacht, dessen Ungestüm er hinlänglich kannte; jetzt stand er ihm völlig fassungslos gegenüber. Der junge Fürst war noch zu wenig Menschenkenner, um zu sehen oder auch nur zu ahnen, was sich hinter dieser unbegreiflichen Ruhe Waldemar’s barg und was sie diesem kostete; er nahm sie für Wahrheit. Was er aber klar empfand, war das Bemühen des Bruders, ihn und die Fürstin das Vorgefallene nicht büßen zu lassen, ihnen trotz alledem den Aufenthalt auf seinen Gütern zu ermöglichen. Leo wäre unter ähnlichen Umständen einer gleichen Großmuth vielleicht nicht fähig gewesen, aber eben deshalb fühlte er sie in ihrem ganzen Umfange.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_547.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)