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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


der Unionsregierung sowie in mehr als hundert Privatwerkstätten eingeführt.

Derselbe erfindungsreiche Kopf hat eine Maschine zum Drechseln der Stahlfederhalter patentiren lassen, die sich in der ganzen Union und in vielen Staaten Europas Eingang verschafft hat; er fertigte ferner für die Faber’schen Bleistiftfabriken ein Maschinchen zum Spitzen und Abschneiden der Bleiftifte an. Albin Warth, dessen Maschinen zum Theil auf verschiedenen Ausstellungen prämiirt wurden, hat in Washington nicht weniger als siebenzig Erfindungen patentiren lassen, ein Erfolg, der selbst dem erfindungsreichsten Yankee imponiren muß.

Eine der bedeutendsten Gruppen bilden in der Maschinenhalle die Näh- und Stickmaschinen, obgleich die berühmte New-Yorker Firma Singer gar nicht hier ausstellte, sondern für ihre Producte einen eigenen Pavillon baute. Die Gruppe bietet ein äußerst anziehendes Bild, denn fast jeder Fabrikant war bestrebt, seiner Ausstellung einen möglichst eleganten Rahmen zu verleihen. Man glaubt da eher in eine Reihe glänzend ausgestatteter Salons als in eine Abtheilung der Maschinenhalle zu treten. Der Raum ist mit kostbaren Teppichen belegt; weiche Fauteuils laden zum Sitzen ein. Unter Glas und Rahmen sehen wir allerliebste Puppengesichter, welche die mit den Maschinen angefertigten Prachtstoffe zur Schau tragen. Während die Nähmaschinen surren, singt ein Kanarienvogel im goldenen Bauer sein Lied, und plötzlich hören wir sogar die rauschenden Accorde einer Beethoven’schen Sonate zu uns herübertönen. Die Firma Steinway in New-York hat nämlich einer Ausstellung ihrer Clavier-Rahmen und Clavier-Theile einen ihrer prächtigen Flügel beigesellt, auf welchem jeden Mittag concertirt wird.

Man hat in dieser Gruppe Gelegenheit, mehrere Nähmaschinen zu sehen, welche durch elektrische Batterien getrieben werden, und damit wäre scheinbar ein wichtiges Problem gelöst, denn bekanntlich untergraben durch das Treten der Maschine hunderte von Frauen ihre Gesundheit. Leider ist mit der elektrischen Batterie als Motor nichts gewonnen, denn der Verbrauch an Zink und Schwefelsäure für die Batterie kommt dem Werthe nach gerade dem Lohne der Arbeiterin gleich.

Eine der sinnreichsten Erfindungen der Neuzeit ist die Strickmaschine, welche Strümpfe in wenigen Minuten fix und fertig strickt, sodaß der Nadel nichts zu thun übrig bleibt, als mit netto sechs Stichen vorn die Spitze an der großen Zehe einzunähen. Welch ein Jubel wird da unter den kleinen Schulmädchen ausbrechen, wenn sie erfahren, daß ihnen als künftigen Müttern und Hausfrauen die Last des Strumpfstrickens erspart bleibt! Aber da ist immer noch das Stopfen der zerrissenen Strümpfe übrig, und wie lästig ist gerade diese Arbeit! Auch dafür ist bereits Abhülfe geschafft. Für zehn Thaler erwirbt jede Hausfrau sich jetzt eine Stopfmaschine, welche an „Fixigkeit“ die Hand um das Zehnfache übertrifft. Diesen Maschinen reiht sich auch eine Novität an, welche dem Manne seine Hosenträger, der Frau ihre Strumpfbänder liefert.

Von dieser Gruppe weiterschreitend, begegnen wir einer ganzen Reihe von Automatenmaschinen, deren Leistungen in Wahrheit überraschend sind. Da steht beispielsweise ein Maschinchen, dem von Zeit zu Zeit ein Kind eine Schippe voll Stecknadeln in den Schlund wirft, und das fleißige Maschinchen verschlingt diese Masse Stecknadeln, ordnet sie und steckt sie mit wunderbarer Genauigkeit auf eine Rolle Papier auf und giebt diese besteckten Papierstreifen, zu einem Knäuel aufgerollt, wieder von sich. Weiterhin ist eine Maschine da, welche Papierkragen ausschneidet, faltet und mit Knopflöchern versieht. Eine der schönsten Automatenmaschinen ist aber die, welche Broschüren faltet, sie mit einem Umschlage versieht und vollkommen gut gebunden zu einem Paquet von fünfundzwanzig Stück ordnet. Dieser Maschine führt ein Mädchen den Druckbogen, ein anderes den Umschlag zu, und so rasch die Beiden das Papier nur immer auflegen können, ist die gebundene und aufgeschnittene Broschüre fertig.

Beinahe wären wir an den Spulmaschinen vorübergegangen, und da stehen doch jene Maschinen zum Aufwickeln des Nähgarns, welche mit solch fabelhafter Geschwindigkeit die Spule rollen lassen, daß die meilenlangen Fäden sich so rasch aufrollen, wie nur die Arbeiterin zwei Fäden anlegen und abschneiden kann. Die Rotation der Spule ist eine so ungeheure, daß für unser Auge dieselbe vollkommen still zu stehen scheint. Und weiterhin reiht sich Maschinenwebstuhl an Maschinenwebstuhl, und wir sehen, wie aus dem Gewirre verschlungener Fäden ein Seidenband und der prächtigste Brocatstoff hervorgeht. Die Walthamfabrik für Taschenuhren zeigt uns, wie die Uhrtheile von der Maschine angefertigt und von der Menschenhand zusammengesetzt werden, Tapetenfabriken, wie sie ihre Papiere bedrucken, Ziegelfabriken, wie sie die Erde zerstampfen, mischen und zu Steinen auspressen, Glasfabriken, wie sie ihre Gläser anfertigen, und so geht es fort durch alle erdenklichen Fabrikationszweige.

Und nicht wenige Fabrikationszweige giebt es in Amerika, die wir Deutsche nur dem Namen nach kennen. So betreibt der Amerikaner die Eisindustrie in großartigem Maßstabe. Dutzende von Eisbereitungsmaschinen geben uns dafür Zeugniß, und weiterhin hat die Knickerbocker’sche Eiscompagnie eine Reihe von Eispflügen und Eisschlitten ausgestellt, um im Winter das Eis von den gewaltigen Strömen und Seen des Nordens mit Leichtigkeit ablösen zu können. Solch ein Eispflug hat zwölf hintereinander stehende sehr schmale Pflugscharen, greift tief ein und wird von einem Pferde gezogen. Die Knickerbocker’sche Eiscompagnie hat auch verticale Eisbohrer im Betriebe, welche kreisförmige Blöcke ausbohren, und eine Flotille von Eisschiffen, um die kühle Waare nach den Südstaaten zu verschiffen.

Damit der Leser diese Eisschiffe, welche nur Transportschiffe sind, nicht mit einem wirklichen Eisschiffe verwechsele, das vom Wind getrieben pfeilschnell auf der Eisdecke zugefrorener Gewässer dahinfliegt, will ich erwähnen, daß sich unter den schlankgebauten Ruderbooten und Seglern auch eine Eis-Yacht befindet, welche der Hudson-Eissegler-Club ausgestellt hat. Das Fahrzeug ist nach Art einer Schaluppe gebaut, soweit das Takelwerk in Betracht kommt, statt des Schiffsrumpfes aber hat es zwei Schlittenläufe, die weit von einander abstehen. Den Cours regulirt ein Eisruder, das sich nach Art eines scharfen Schlittschuhs in das Eis eingräbt. Ist die Eisfläche glatt und der Wind legt sich scharf in die Segel, so kann die geflügelte Eis-Yacht die englische Meile in einer Minute zurücklegen, eine Leistung, welche der unserer besten Courierzüge gleichkommt.

Eine sehr schätzenswerthe Erfindung ist jetzt seit zwei Tagen ausgestellt; es ist das ein Selbstkoppler. Ein halbrundes Oehr dringt beim Zusammenfahren der Wagen in eine Oeffnung, deren Mittelpunkt zwei aufeinanderstehende Zapfen bilden. Das Oehr stößt den untern Zapfen, der dem obern nur als Stütze diente, weg und der obere muß nun unfehlbar in das Oehr fallen und so die bewegliche Koppelung herstellen. Die Pennsylvania-Eisenbahn hat diesen Selbstkoppler bereits eingeführt, und wenn recht viele Bahngesellschaften dem guten Beispiele folgen, so wird mancher arme Eisenbahnbeamte vor dem Zerquetschtwerden behütet bleiben.

Vor der Maschinenhalle breitet sich ein blumenumkränzter See aus, und darüber hin tönt ein Schall, der die Luft zerreißt. Es ist ein helltönendes Nebelhorn, das die Leistungen der auf der Weltausstellung in Wien gehörten Nebelsignale tief in Schatten stellt. Der Erfinder des neuen Nebelhorns hat nämlich die vibrirende Zunge, welche der Dampf bewegte, leider aber auch bei zu starker Pression an die Seite legte, verworfen und eine rotirende Scheibe dafür eingeführt, welche den Dampf zerreißt. Der Ton des neuen Nebelhorns ist viel schriller und weittragender, und ein Witzbold meinte: „Diese Nebelsirene singt mit vierzigtausend Kuhkräften.“

Alles in Allem genommen, gewährt die Maschinenhalle ein interessantes Bild unserer modernen Industrie, und wir lernen erkennen, in welch hohem Maße Wissen und Erfindungsgabe die Menschenhand von den beschwerlichsten Arbeiten zu entlasten und gleichwohl die Productionsfähigkeit zu steigern vermögen. In dieser geistigen Strömung hat die Union allen anderen Culturvölkern einen Vorsprung abgewonnen.

Am 16. Juni hielt Professor Reuleaux, der General-Commissär der deutschen Ausstellung, im deutschen Regierungsgebäude eine kurze Ansprache an die Mitglieder aller Commissionen und erklärte, daß ihm der Kronprinz des deutschen Reiches aufgetragen habe, dem amerikanischen Volke seine Grüße zu überbringen und demselben zu sagen, daß er eine hohe Achtung habe vor der Industrie der Vereinigten Staaten und daß er hoffe und glaube, es würden fortan die Schlachten der Völker nur auf dem industriellen Gebiete geschlagen.

Laßt uns dazu von ganzem Herzen Amen sagen!



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_544.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)