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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


„Leo schmollt noch mit mir wegen unseres vorgestrigen Streites,“ unterbrach sie Waldemar. „Er ging bei meiner Ankunft sehr demonstrativ nach dem Strande hinunter, ohne mich sehen zu wollen.“

Die Fürstin runzelte die Stirn. Leo hatte gemessenen Befehl erhalten, dem Bruder freundlich zu begegnen, und dennoch zeigte er diesen Trotz, welcher der Mutter gerade jetzt äußerst ungelegen kam.

„Leo ist oft heftig und unbedacht,“ entgegnete sie. „Ich werde dafür sorgen, daß er Dir zuerst die Hand zur Versöhnung bietet.“

„Nicht doch,“ lehnte Waldemar kühl ab. „Wir machen das besser unter uns allein aus. Sei unbesorgt!“

Sie traten wieder in den Salon, wo Wanda sich inzwischen damit unterhalten hatte, den Doctor Fabian von einer Verlegenheit in die andere zu treiben. Die Fürstin erlöste ihn jetzt davon; sie wünschte den Studienplan ihres Sohnes eingehend mit ihm zu besprechen, und er mußte sie auf ihre Aufforderung in ihr eigenes Zimmer begleiten.

„Der arme Doctor!“ sagte Wanda, ihm nachblickend. „Mir scheint, Waldemar, Sie haben das Verhältniß geradezu umgekehrt. Sie hegen nicht den mindesten Respect vor Ihrem Lehrer, aber er hat eine grenzenlose Furcht vor Ihnen.“

Waldemar widersprach nicht dieser nur allzu richtigen Bemerkung; er erwiderte nur: „Finden Sie, daß Doctor Fabian eine Persönlichkeit ist, die Respect einflößt?“

„Das nicht, aber er scheint sehr gutmüthig und geduldig zu sein.“

Der junge Mann nahm eine verächtliche Miene an. „Mag sein! Aber das sind Eigenschaften, die gerade ich am wenigsten zu schätzen verstehe.“

„Man muß Sie wohl tyrannisiren, wenn man Ihnen Respect einflößen will?“ fragte Wanda mit einem schelmischen Aufblicke.

Waldemar zog einen Sessel heran und nahm an ihrer Seite Platz. „Es kommt darauf an, von wem die Tyrannei ausgeht. In Altenhof möchte ich sie Keinem rathen, auch meinem Onkel Witold nicht, und hier dulde ich sie auch nur von einer Seite.“

„Wer weiß!“ warf Wanda leicht hin. „Ich möchte es nicht versuchen, Sie ernstlich zu reizen.“

Er gab keine Antwort; er war augenscheinlich nur halb bei dem Gespräche und schien einen ganz anderen Gedankengang zu verfolgen.

„Fanden Sie es vorgestern nicht wunderschön auf dem Buchenholm?“ fragte er plötzlich, ohne jeden Uebergang.

Eine leichte Röthe stieg in dem Antlitze der jungen Gräfin auf, aber sie erwiderte in dem vorigen übermüthigen Tone: „Ich finde, daß der Ort etwas Unheimliches hat, trotz all seiner Schönheit, und was nun vollends Ihre Meeressagen betrifft – ich lasse sie mir sicherlich nicht zum zweiten Male bei Sonnenuntergang erzählen. Man kommt schließlich dahin, an die alten Märchen zu glauben.“

„Jawohl, man kommt dahin,“ sagte Waldemar leise. „Sie warfen es mir ja vor, daß ich die Poesie in der Sage nicht begreifen konnte – jetzt habe ich sie auch verstehen gelernt.“

Wanda schwieg. Sie kämpfte wieder mit jener Befangenheit, die sie erst seit vorgestern kannte. Schon vorhin, beim Eintritte des jungen Nordeck hatte sich dieses Gefühl ihrer bemächtigt; sie hatte versucht, es wegzulachen und wegzuspotten, und das war auch gelungen in Gegenwart der Anderen, aber sobald sie sich Beide allein befanden, kam es mit neuer Macht zurück; sie konnte den unbefangenen Ton von früher nicht wiederfinden. Dieser seltsame Abend auf dem Buchenholm! Er hatte einen eigenthümlichen Ernst in die Sache gebracht, die ja doch nur ein Scherz sein und bleiben sollte und nichts weiter.

Waldemar harrte vergebens auf eine Antwort; es schien ihn fast zu kränken, daß sie ausblieb. „Ich habe vorhin der Mutter mitgetheilt, daß ich nicht sogleich mit nach Wilicza kann,“ nahm er von Neuem das Wort. „Ich werde erst in drei oder vier Wochen nachkommen.“

„Nun, das ist ja nur eine kurze Zeit,“ meinte Wanda.

„Nur eine kurze Zeit?“ rief der junge Mann heftig. „Eine Ewigkeit ist es. Sie haben wohl gar keine Ahnung davon, was es mich kostet, hier zurückzubleiben und Sie allein reisen zu lassen?“

„Waldemar, ich bitte Sie,“ fiel Wanda mit sichtbarer Beklommenheit ein, aber er hörte nicht darauf; er fuhr mit der gleichen Heftigkeit fort:

„Ich habe Ihnen versprochen, zu warten, bis wir in Wilicza sind, aber damals hoffte ich noch, Sie zu begleiten. Jetzt liegt vielleicht ein Monat zwischen unserem Wiedersehen und so lange kann ich nicht schweigen, so lange kann ich Sie nicht fortwährend in Leo’s Nähe wissen, ohne die Ueberzeugung, daß Sie mir gehören, mir allein.“

Das Geständniß kam so plötzlich, so stürmisch, daß die junge Gräfin gar keine Zeit hatte, es abzuwehren, und es wäre dieser ausbrechenden Leidenschaft gegenüber auch umsonst gewesen. Er hatte wieder ihre Hand ergriffen und hielt sie so fest wie damals auf dem Buchenholm.

„Weichen Sie nicht so vor mir zurück, Wanda! Sie müssen es ja längst wissen, was mich allein hier festhielt; ich konnte es ja nie verbergen, und Sie haben es geduldet, haben mich nicht zurückgewiesen, da darf ich endlich doch einmal das Schweigen brechen. Ich weiß, daß ich nicht bin wie die Anderen, daß mir viel, vielleicht Alles fehlt, um Ihnen zu gefallen, aber ich kann und will es lernen. Es ist ja einzig und allein um Ihretwillen, daß ich mir diese Universitätsjahre auferlege. Was frage ich nach dem Studium, was nach dem Leben da draußen? Mich kümmert das Alles nichts, aber ich habe es gesehen, daß Sie oft vor mir zurückschrecken, daß Sie bisweilen über mich spotten, und – das sollen Sie nicht mehr. Nur die Gewißheit, daß Sie mein sind, daß ich Sie wiederfinde! Wanda, ich bin allein gewesen seit meiner Kindheit, oft recht allein. Wenn ich Ihnen roh und wild erschienen bin – Sie wissen es ja, mir hat die Mutter, mir hat die Liebe gefehlt. Ich konnte nicht so werden wie Leo, dem das Alles zu Theil ward, aber lieben kann ich, vielleicht heißer und besser als er; Sie sind das einzige Wesen, das ich je geliebt habe, und ein einziges Wort von Ihnen wiegt die ganze Vergangenheit auf. – Sage mir dieses Wort, Wanda, gieb mir wenigstens die Hoffnung, daß ich es einst von Dir hören werde, aber sage nur nicht Nein, denn das ertrage ich nicht!“

Er lag wirklich auf den Knieen vor ihr, aber die junge Gräfin dachte jetzt nicht mehr daran, sich des Triumphes zu freuen, den sie einst im kindischen Uebermuthe herbeigewünscht. Es war ihr wohl hin und wieder eine dunkle Ahnung gekommen, daß das Spiel ernsthafter werden könne, als sie gedacht, daß es sich nicht mit einem bloßen Scherze werde beendigen lassen, aber mit dem ganzen Leichtsinne ihrer sechszehn Jahre hatte sie den Gedanken von sich gewiesen. Jetzt war die Entscheidung da; sie mußte ihr Stand halten, mußte einer offenen leidenschaftlichen Werbung Stand halten, die unerbittlich ein Ja oder Nein verlangte. Freilich, bestrickend war diese Werbung nicht; sie hatte nichts Zärtliches, Schwärmerisches, wie es die Empfindungsweise eines jungen Mädchens verlangte, selbst durch das Geständniß seiner Liebe wehte etwas von jenem herben Zuge, der von dem Wesen Waldemar’s nun einmal nicht zu trennen war, aber aus jedem Worte sprach ein stürmisches, lang zurückgehaltenes Gefühl, sprach die volle Gluth der Leidenschaft; zum ersten Male sah Wanda klar, wie ernst er es mit seiner Liebe meinte, und wie mit brennendem Vorwurfe überkam sie der Gedanke: Was hast du gethan!

„Stehen Sie auf, Waldemar!“ – in ihrer Stimme bebte die verhaltene Angst. „Ich bitte Sie darum.“

„Wenn ich ein Ja von Deinen Lippen höre – sonst nicht!“

„Ich kann nicht – jetzt nicht – stehen Sie doch auf!“

Er gehorchte nicht; er lag noch auf den Knieen, als die Thür, welche in das Vorzimmer führte, unvermuthet geöffnet wurde und Leo eintrat. Einen Moment lang stand er wie angewurzelt, dann aber entfuhr ein Ausruf der Entrüstung seinen Lippen. „Also doch!“

Waldemar war aufgesprungen; seine Augen sprühten im wildesten Zorne. „Was willst Du hier?“ herrschte er den Bruder an.

Leo war blaß vor innerer Aufregung, aber der Ton der Frage jagte ihm das Blut in’s Gesicht. Mit einigen raschen Schritten stand er vor Waldemar.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 530. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_530.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2019)