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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Pfund schwerer, mit glühendheißem Hirsebrei gefüllter Topf wurde als Ehrengeschenk für die Straßburger Freunde in eine sandumgossene Tonne gestellt. Die ehrsamen Hausfrauen brachten dreihundert Semmelringe herbei, den Kindern Straßburgs zur willkommenen Gabe. Mit dem Glockenschlage Eins, bei funkelndem Sternenhimmel, setzte sich das Schiff in Bewegung, und von der Brücke flossen Grüße und Segenswünsche wie Thautropfen herab.

Ein Straßburger Augenzeuge, Fischart, hat die romantische Fahrt unter folgendem Titel beschrieben: „Das Glückhafft Schiff vonn Zürich, Ein Lobspruch, vonn der Glücklichen und Wolfertigen Schiffart einer Bürgerlichen Geselschafft auß Zürich auff das außgeschriben Schiessen gehn Straßburg den 20. Junij des 76 jahrs, nicht vil erhörter weiß vollbracht, darzu eines Neidigen Verunglimpfers schantlicher Schmachspruch von gedachtem Glückschiff, durch Vlrich Mannsehr von Treübach.“ In diesem schleppenden Tone beginnt das Heldengedicht. Sobald aber das Schifflein vom Lande stößt, erhebt sich Fischart’s Geist von der Erde. Der Strom der Rede fließt in geregelten Wellen dahin, wie in dem Verse:

„Die Ruder giengen auff und ab.“

Alles athmet Luft und Leben; die Berge winken; die Sonne lächelt freundlich den Schiffern entgegen, und mit vollen Weinkrügen eilen die Anwohner des Rheins herbei:

          „– die zu beschauen,
Die große Flüsse zu zwingen trauen.“

Freundlich erwidert Fischart die Grüße der Stammesgenossen. Mit kecker Laune und aristophanischen Wortschöpfungen verwandelt er Rhätien in Rheinzierland, Breisgau in Preisgau, Mühlhausen in Mildhausen, Straßburg in Treuesburg, Trier in Treuehr. Er leitet die Namen Helveter von Heldväter, Elsassen von Heldsassen ab und wird nicht müde, den politisch getrennten Bruderstämmen zuzurufen: „Ihr seid ein Volk und einig sollt ihr handeln.“

Als die Sonne die Thurmspitze des Straßburger Münsters vergoldete, da schwebte langsamer das Schiff dahin und die erprobten Helden rüsteten sich zum Empfange der Siegeskränze. Mit fröhlicher Hast warfen sie die schwarzen Mäntel um, ordneten die wallenden Federbüsche und fuhren mit kriegerischer Musik und wehendem blauweißem Fähnlein den jubelnden Straßburgern entgegen. Gegen sieben Uhr Abends fuhren sie aus dem Rhein in die Ill und sprangen bei der Kaufhausbrücke an’s Land, wo die Straßburger Rathsherren mit Trommlern und Pfeifern und einer unabsehbaren Menge Volkes zum Empfange bereit standen. Hier ergriff der Sprecher Kaspar Thomann das Wort:

„Ihr lieben Eidgenossen, heut’ zeigten wir Euch gern,
Daß Euch in Noth und Fährde die Zürcher nie zu fern.
Wenn Ihr – was Gott verhüte! – je Feindesobmacht fühlt,
So kommen wir gefahren, eh’ sich ein Brei verkühlt.“

Und nun begann der Triumphzug der Glücklichen. Ringsum pries man die wackeren Züricherknaben, die mit starkem Ruderschlage aus vier Tagereisen eine gemacht. Voran die Musik beider Städte, trug man durch gedrängte Volksreihen die bedeutungsvolle Tonne in feierlichem Zuge auf die Zunftstube der Maurer, wo den Ankömmlingen eine reichbesetzte Tafel entgegendampfte. Als Vorgericht stellte man auf jeden Tisch eine Platte voll Hirsebrei,

„Dessen sich Mancher g’wundert hat,
Wenn er jn an Mund prennen that.“

Man erquickte sich am fröhlichen Gastmahle, das der Straßburger Dichter Adolf Stöber mit folgenden Worten beschreibt:

„Elsässerweine fließen; hell klingt es hier und dort,
Man wechselt traute Rede, manch freies deutsches Wort.
Man spricht von alten Tagen, wie beider Städte Bund
Schon zu der Väter Zeiten so kräftiglich bestund.“

Die Stunden kamen und flohen und mit lieblichen Sprüchen, die uns Fischart aufgezeichnet hat, wurde der Schlaftrunk gewürzt:

„Das sei der Freuntschaft eigenschaft:
Zur fröud hertzhaft, zur not standhaft.“

Um Mitternacht geleitete man die Eidgenossen mit Fackelschein in die Herberge „zum güldenen Hirtzen“. Tag für Tag bemühten sich die Rathsherren, ihren Gästen alle mögliche Ehre und Freundschaft zu erweisen. Am 21. Juni führte man sie auf den Schützenrain und in das Zeughaus, das die Trophäen der gemeinschaftlich errungenen Siege enthielt. Am 22. bewirthete man sie auf der Plattform des Münsters und schenkte ihnen aus den wohlgefüllten Magazinen der Stadt hundertsiebenunddreißigjährigen Weizen, hundertsiebenundneunzigjähriges Salz und hundertvierjährigen Wein. Die Stunde des Abschieds kam, und man trennte sich mit dem Versprechen: „Unsere Freundschaft soll dauern, so lange unsere Ströme zusammenfließen. Wenn die Treue aus der Art schlagen würde, so wollen wir uns nicht mehr Deutsche nennen.“

Auf des Ammeisters Bitte überließen die Eidgenossen ihren Breitopf sammt dem Schiffe ihren Straßburger Freunden „den Kindern und Kindeskindern zur Gedechtnuß“. Als Gegengeschenk und zur Urkunde des bestandenen Abenteuers erhielten sie vierundfünfzig Fähnlein und ebenso viele Denkmünzen in damastenen Beuteln. Sorgfältig hatte der Magistrat sechs Rollwagen mit dreißig Pferden ausrüsten lassen und einigen Rathsherren den Auftrag ertheilt, die fröhliche Gesellschaft das Elsaß hinauf zu geleiten. Zwei Söldner wurden aus dem Stadtsäckel mit Geldmitteln ausgestattet, um alle Kosten der Rückreise bis Zürich zu bestreiten. Die Heimkehr glich einem Triumphzuge. Zu Benfeld, Schlettstadt, Ensisheim und Mühlhausen wetteiferten die Bürger, den Dank des Elsasses abzutragen, und bewillkommneten die gefeierten Gäste mit Böllerschüssen und Ehrenwein.

„Man wird nicht Rühmens müde; man wünscht einander Glück.
Die Zürcherfahrt däucht Allen der Freundschaft Meisterstück.“

Am Donnerstag, den 28. Juni, langten die Eidgenossen, die Straßburger Ehrenherolde an der Spitze, nach einer achttägigen Abwesenheit in ihrer Vaterstadt wieder an. Der Widerglanz der schönen Festtage verbreitete sich noch lange über die hereinbrechende düstere Zeit. Noch trägt ein Haus auf dem alten Weinmarkte zu Straßburg neben der Inschrift BAINS DE SPIRE den altdeutschen Denkspruch:

In der Zit war es volent,
Da die Schwitzer von Zirch gerennt.

Umsonst versuchte ein Römling, den Lobliedern und Erinnerungstafeln gegenüber die republikanischen „Kuhmäuer“ und ihren „Milachprei“ lächerlich zu machen. Mit flammenden Worten widerlegte Fischart in seinem geharnischten Gedichte „Kehrab“ den „neidigen Schwätzer und Ehrverletzer“. Wohl wußte Fischart, daß der oberdeutsche Bund nicht ohne das Reich und das Reich nicht ohne Einigkeit bestehen konnte. Darum erzählte er den Deutschen, was Straßburg und Zürich gethan, „ob’s ihnen möchte zur Witzung werden.“

„Nun, libs Wagschifflin, schiff hinein
In d’Welt; laß dir befohlen seyn
Das gantz Teutschland.“

Diese Warnung verhallte ungehört. Noch im Jahre 1676 kämpften Elsässer und Lothringer, unterstützt von ihren Züricher Bundesgenossen, an den Ufern des Rheins und der Saar gegen die französischen Eroberer. Die eilende oder elende Reichshülf blieb aus; ein Machtspruch Ludwig’s des Vierzehnten entfernte von Straßburg die kleine schweizerische Besatzung, und nun blieb der Meise, unserer berühmtesten Kanone, ihr republikanisches Trutzliedlein im Halse stecken. Aber hundert Jahre später erneuerten Pfeffel und Lavater den oberdeutschen Bund. Ein günstiges Gestirn hatte damals mehrere der tüchtigsten deutschen, schweizerischer und elsässischen Jünglinge zu Straßburg versammelt. Im Jahre 1776 ließen sie als ein noch immer fortdauerndes Denkmal ihres poetischen Zusammenlebens ihre Namen im Innern der Münsterpyramide in den Stein hauen. Ein anderes Denkmal ihres Wirkens war die „Gesellschaft zur Ausbildung der deutschen Sprache“, welcher wir Elsässer es zum Theil verdanken, daß die politische Abtrennung nicht in nationale Entfremdung ausarten durfte. Mit sorgsamer Hand hielt die Dichterfamilie Stöber das unter der Asche glimmende Feuer wach und verherrlichte in poetischen und prosaischen Erzählungen die Züricher Breifahrt. Oft hörte der Verfasser in seiner Knabenzeit die Straßburger sagen: „Das Rheinthal von Zürich bis zur Pfalz, mit Straßburg als Hauptstadt in der Mitte, das wäre ein Paradies auf Erden.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_526.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)