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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Die Marine giebt dem Beschauer ein Bild der verschiedenartigen Schiffsausrüstungen in den verschiedenen Phasen ihrer Entwickelung. Das größte Interesse erwecken hier die Revolverkanonen und Torpedos verschiedenster Construction. Unter den Letzteren dürfte der Lay’sche als der gefährlichste bezeichnet werden; derselbe hat die Gestalt eines Fisches, ist von bedeutender Größe und bewegt sich, vom Strande aus mit Dampf versorgt, vermittelst einer Schiffsschraube fort, bleibt jedoch mit einer elektrischen Batterie in Verbindung, welche ihn im geeigneten Moment explodiren macht.

Von der Piazza vor dem Regierungsgebäude blickt drohend der Thurm eines Monitors herab, der mit zwei gewaltigen Geschützen armirt ist. Möge die hundertjährige Republik, welche ihr rasches Emporblühen allein der friedlichen Arbeit dankt, ihre Monitors, Torpedos und Revolverkanonen nie zu anderen Zwecken verwenden, als um den Frieden und die Freiheit ihrer Staaten zu beschützen!


Blätter und Blüthen.

Ein deutscher Sonntag im brasilianischen Urwald. Auf einer längeren beschwerlichen Expedition im Innern der Provinz Matto-Grosso hörte ich von einigen uns begegnenden Eingeborenen, daß wir uns einer kleinen deutschen Colonie näherten, was mir um so angenehmer war, als ich schon seit Monden die süßen Klänge der heimathlichen Sprache entbehrt hatte. Wir beschleunigten nun unsern Marsch so sehr, wie es eben die schlechten Wege durch die Wälder erlaubten, und langten endlich am dritten Tage (einem Sonntage) am ersehnten Ziele an. Zu unsern Füßen dehnte sich ein schönes fruchtbares, in voller Blüthe stehendes Thal aus, in dessen Mitte ungefähr sechs bis zehn nach den hiesigen Verhältnissen erbaute Häuschen standen, die von kleinen Gärtchen und Feldern umgeben waren. Ein klarer Bach, der das Thal durchrieselte, gab dem Ganzen einen noch anmuthigeren Anblick. Papageien und andere Vögel der Tropen schaukelten sich auf den leise im Winde wehenden Palmen oder flogen schreiend dem Walde zu. Sonst war Alles still, und tiefer Friede schien über diesem schönen Stückchen Erde zu herrschen.

Ich zügelte mein treues Thier und hielt einige Augenblicke, in den freundlichen Anblick versunken, still. Da trat ein anderes Thal, weit, weit über dem Meere, ein anderes Dörfchen in den Bergen des lieben Schlesierlandes vor mein inneres Auge. Jetzt eben mochten die Glocken des Gotteshauses zur Andacht rufen, die Bewohner dem Kirchlein zuströmen. Ich wurde aus meinen Gedanken aufgeschreckt. Plötzlich schallten aus dem Thale, zuerst leise, dann immer voller und voller anschwellend, wie von unsichtbaren Stimmen gesungen, die Töne des schönen Gerhardt’schen Chorals „Befiehl Du Deine Wege“ zu uns herauf. Welchen Eindruck dieser einfache deutsche Gesang hier mitten im Urwalde, viele hundert Meilen von der Heimath, auf mich machte, kann ich nicht beschreiben.

Lange hätte ich gelauscht, wäre nicht mein Thier ungeduldig geworden. Ich zerdrückte eine verstohlene Thräne und gab Befehl, den Ansiedelungen zuzureiten. Bald hatten wir dieselben erreicht, doch gewahrten wir immer noch keinen Menschen. Da der Gesang von jenseits der Häuser zu kommen schien, stieg ich vom Pferde, hieß meine Begleiter warten und schritt, durch die Sträucher der Gärten gedeckt, der anderen Seite zu. Doch wie wurde ich da überrascht! Im Schatten einer dichten Gruppe Bäume saßen und standen ungefähr dreißig bis vierzig Männer und Frauen, während eine Anzahl Kinder fröhlich im Sande mit bunten Blumen und Steinen spielte. – Der Choral war nun beendet und Alles lauschte dem Vortrage eines freundlichen alten Mannes, der auf etwas erhöhtem Standpunkte in einer Laube saß. Ich wurde von den milden, erbaulichen Worten des Alten über den Vers David’s „Und ob ich schon wanderte im finstern Thal“ tief ergriffen. Nachdem er das Amen gesprochen, las er noch einige vor ihm liegende Blätter vor (wie ich später erfuhr, waren es die Uhlich’schen Sonntagsblätter), worauf wiederum ein Choral folgte. Bis jetzt war ich noch unbemerkt geblieben, da verrieth mich aber das Klirren der Sporen, und Alles eilte nun auf mich zu, mich zu bewillkommnen. Die Freude wurde noch größer, als ich meine Heimath nannte, und wie im Triumph ward ich in das Haus des Alten geführt, während meine Begleiter anderweitig untergebracht wurden. Das Stübchen, in welchem ich mich nun befand, war so traulich und mit so vielen Erinnerungen aus Deutschland geschmückt, daß ich mich wirklich in die Heimath versetzt glaubte. Mein Gastgeber erzählte mir unter Anderm auch seine Lebensgeschichte. Als ehemaliger Rector in einer Stadt Thüringens war er wegen seiner freisinnigen Ansichten öfters bekämpft worden und später hatte er sogar aus ähnlichem Grunde seinen Abschied erhalten. Zufälliger Weise erbte er in jener Zeit etwas Vermögen und beschloß, mit seiner zahlreichen Familie und einigen Verwandten und Bekannten nach Brasilien auszuwandern. Das Glück war ihm günstig gewesen. Hier, fern von der Welt, in einer schönen Gegend, in der Mitte seiner Lieben, konnte er frei und nach seiner Weise seinen Schöpfer bekennen und predigen. Sein einziger Sohn war in Deutschland zurückgeblieben und versorgte ihn mit Nachrichten aus der Heimath; ebenso sandte er die Uhlich’schen Sonntagsblätter, die stets mit großer Freude begrüßt wurden.

Es war ein ordentlicher Festtag für die kleine Colonie. Ich blieb noch bis zum Morgen des andern Tages bei den lieben Leuten und schied dann in der Hoffnung auf Wiedersehn in Villabella.H. Robert.     


Fritz Reuter’s Charakterbild. Fritz Reuter hatte bekanntlich seine Erfolge nicht der Kritik und nicht der Mithülfe einer befreundeten Presse zu danken. Er war ein einsam stehender Mann, als er von obscurer Kleinstadt aus seine ersten Bücher in die Welt sandte, die schon von einem überaus zahlreichen Publicum mit Jubel begrüßt und mit bewunderungsvollem Entzücken gelesen wurden, ehe noch die Kritik sich um sie gekümmert hatte.

Nach langer Zeit hatten dichterische Schöpfungen einmal wieder einen durchgreifenden Sieg allein durch die Macht ihres eigenen Zaubers errungen, und es mußte wohl nun in Unzähligen der lebhafte Drang erwachen, Näheres über die Persönlichkeit des unbekannten Zeitgenossen zu erfahren, von dem ein solches Wunder bewirkt worden. Diesem Verlangen des Publicums ist damals Otto Glagau mit einem Lebens- und Charakterbilde Reuter’s entgegengekommen, das einer sehr dankbaren Aufnahme sich erfreute und jedenfalls auch zu besserem Verständnisse, zu rechter Würdigung und weiterer Verbreitung des Dichters unter den Hochdeutschen beigetragen hat. Seitdem aber hatte Reuter noch neun Jahre gelebt; es hat gerade in diesem Zeitraume seine große Bedeutung im allgemeinen Urtheile zweifellos sich festgestellt, es konnten inzwischen auch über seine Vergangenheit, seine Person und sein Schaffen neue Aufschlüsse gewonnen werden. Außerdem waren durch seinen Tod Rücksichten geschwunden, die früher Manches nicht zu sagen erlaubten, und es trat nach seinem Ableben auch die Pflicht und der Wunsch hinzu, dem Verklärten ein seinen Verdiensten entsprechendes literarisches Denkmal zu errichten. Nach allen diesen Seiten hin hat daher Glagau seine frühere Darstellung einer vollständigen Umarbeitung unterworfen, die bereits im Laufe des verflossenen Jahres unter dem Titel „Fritz Reuter und seine Dichtungen“ (Berlin, bei Grote) in eleganter, mit hübschen Illustrationen versehener Ausstattung erschienen ist.

Ohne Bedenken zählen wir dieses neue Buch zu den besten Dichter-Biographien, welche unserem Volke bisher geboten wurden. Die Schilderung ist gehaltreich und voll warmen Lebens, die Gestaltung ungekünstelt und lichtvoll, das Urtheil ein sicheres, der Styl fesselnd durch die Schlichtheit seines frischen und kernhaften Glanzes. Um sich Aufklärungen zu verschaffen, hat der Biograph Correspondenzen geführt und Reisen unternommen, sodaß er durch die eingezogenen persönlichen Erkundigungen sein Material mit interessanten Zügen und bisher noch ungedruckten werthvollen Mittheilungen bereichern konnte. Ob er recht gethan, die vielbesprochenen Schwächen im Privatleben seines Helden mit so viel Schärfe und Eifer zu betonen, und ob er mit den in dieser Hinsicht von ihm erzählten Thatsachen wirklich überzeugend die zartere und pietätsvollere, auf ärztlichen Aussprüchen beruhende Deutung Wilbrandt’s widerlegt hat, daß jene periodisch wiederkehrende Unmäßigkeit auf eine unter den Gefängnißleiden Reuter’s entstandene Krankheit der Magennerven zurückzuführen sei, das lassen wir hier dahingestellt, weil diese Frage einer weitläufigen Erörterung bedarf. „Mit Ausnahme dieses einen Punktes aber ist uns in dem schönen Ganzen des Glagau’schen Buches, in dem biographischen wie in dem gleichfalls neu bearbeiteten kritischen Theile desselben, ein Anlaß zum Widerspruche nirgends aufgestoßen. Indem es uns die liebenswerthe Gestalt und die denkwürdigen Schicksale eines großen und allseitig verehrten Todten lebendig vor die Seele stellt, bietet es zugleich ein vielseitig bewegendes und ergreifendes Zeitgemälde, ist es durch Inhalt, Sprache und Ton ein vortreffliches und eindrucksreiches Volksbuch im edlen Sinne des Wortes. Möchte es namentlich in den Familien des deutschen Volkes eine recht weite Verbreitung finden!A. Fr.     


Berichtigungen. In dem Artikel „Der Verleger der deutschen Classiker“ hat sich in eine der Druckformen auf S. 454, zweite Spalte, am Schlusse des vorletzten Absatzes die irrige Angabe „die einunddreißigste“ statt „die dritte Auflage“ eingeschlichen, was wir die betreffenden Leser zu entschuldigen bitten. – Die auf S. 468 genannte baierische Stadt Haßfurt ist als ober- anstatt als unterfränkisch bezeichnet, was ebenfalls für eine Anzahl Abdrücke eine zu späte Correctur fand.



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Um die Nummernbezeichnung unserer Zeitschrift, deren Nr. 1 bereits Ende December vergangenen Jahres ausgegeben worden ist, wieder in genauen Einklang mit der Wochenzahl des laufenden Jahres zu bringen, sind wir genöthigt, das Erscheinen der Gartenlaube in der nächsten Woche ausfallen zu lassen. Nr. 31 wird am 4. August hier expedirt werden.Die Verlagshandlung. 



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 512. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_512.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2023)