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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Außer Lessing, Goethe und Schiller war ihm kaum ein bedeutender Name geläufig. Von neueren Autoren kannte er nur Gutzkow aus dem „Urbild des Tartuffe“ und Hackländer. Von den dramaturgischen Zuständen Deutschlands und seiner ganzen geistigen Strömung überhaupt hatte er die sonderbarsten Begriffe. Wolff hielt es für zweckmäßig, die irrigen Anschauungen des berühmten Romanciers[WS 1] durch eingestreute Bemerkungen zu berichtigen, bis sich ein Zwiegespräch und schließlich ein Vortrag daraus entspann, in welchem der Deutsche den Franzosen nach allen Richtungen hin belehrte und aufklärte.

Dumas lauschte mit wachsender Verwunderung. Albert Wolff sprach das Französische zwar nicht ganz correct, aber doch ziemlich geläufig. Der Hauch von Fremdartigkeit, der über seiner Darlegung schwebte, mochte den literarischen Feinschmecker Dumas besonders fesseln. Wohl eine halbe Stunde lang stand er da, die Hände in den Hosentaschen, die wulstige Unterlippe im wechselnden Spiel der Empfindungen auf- und abziehend, bis er endlich in die charakteristischen Worte ausbrach: „Vous n’êtes pas bête – Sie sind kein Esel.“

Albert Wolff dankte ihm für die gute Meinung und kam auf seine ursprüngliche Bitte wegen des Uebersetzungsrechtes zurück.

Dumas blickte sinnend zu Boden.

„Wissen Sie was,“ sagte er nach einer Weile, „Sie könnten mein Secretär werden und mir die wichtigsten Erscheinungen der deutschen Literatur für meinen Privatgebrauch übersetzen. Es scheint mir fast, als würde ich da hin und wieder Etwas aufstöbern, was ich brauchen könnte. Ich offerire Ihnen dreihundert Franken monatlich, einen Platz an meinem Tisch, und wenn Sie wollen und die Sache sich macht, einen Platz in meinem Herzen.“

Wer war glücklicher als unser Wolff! Mit beiden Händen zugleich griff er zu, und schon nach wenigen Wochen erfreute er sich unter der Bezeichnung „L’Allemand de Mr. Dumas – der Deutsche des Herrn Dumas“ einer gewissen Geltung: die erste Sprosse auf der Leiter des Erfolges war erklommen.

Von den zahlreichen Lesern, die sich allwöchentlich zweimal an Albert Wolff’s geistreichen Feuilletons erquicken, wissen wahrscheinlich nur sehr wenige, daß dieser scheinbar so durch und durch französische Autor seine ersten literarischen Erfolge in Deutschland erzielt hat. Im Jahre 1835 zu Cöln geboren, ging Albert Wolff mit achtzehn Jahren als Kaufmann nach Paris, wo er in der Glasmalerei eines Verwandten Cartons zeichnete. Wieder nach Cöln zurückgekehrt, lernte er den Verleger des „Kladderadatsch“, A. Hoffmann, kennen, und machte in dessen Gesellschaft eine Rheinreise. Diese Rheinreise war die Wiege der nachmals so stark ausgebeuteten und breitgetretenen Schulze- und Müller-Literatur. Allerlei kleine Abenteuer und humoristische Erlebnisse brachten den jungen Kaufmann auf die Idee, die beiden schon damals in Flor stehenden „Kladderadatsch“-Figuren in touristische Kleider zu stecken. Er schrieb „Schulze und Müller am Rhein“, ein Scherz, der neben mancher kalauernden Banalität eine Fülle wirklichen Humors enthielt.

Kalisch wurde von Hoffmann beauftragt, das Wolff’sche Manuscript zu berlinisiren; und in dieser Gestalt hat das Buch eine beträchtliche Reihe von Auflagen erlebt. Wolff zeichnete auch die Illustrationen. Wenn wir nicht irren, geht noch die neueste Auflage im Schmucke der Zeichnungen einher, die der gelesenste französische Feuilletonist entworfen hat. Der Erfolg dieser „Rheinreise“ veranlaßte den Verleger Hoffmann, noch in demselben Jahre mit Kalisch nach dem Harze zu reisen, und so das Ei des Columbus zum zweiten Mal auf die Spitze zu stellen. Trotz dieses glänzenden Resultates erhoben sich zwischen Wolff und seinem Verleger allerlei Mißhelligkeiten, die damit endigten, daß Wolff der preußischen Hauptstadt den Rücken kehrte und nach Düsseldorf ging. Schon von Berlin aus hatte er für die Düsseldorfer Monatshefte gearbeitet. Jetzt trat er als Redacteur an die Spitze des Unternehmens. Die Jahrgänge aus jener Zeit enthalten eine große Anzahl von Beiträgen aus seiner gewandten Feder. Komisches veröffentliche er unter seinem vollen Namen, Ernstes unter dem Pseudonym W. Albert. Auch für Ernst Keil’s „Illustrirten Dorfbarbier“ und für das von Robert Prutz redigirte „Museum“ war er von Düsseldorf aus thätig. Schon hatte es den Anschein, als sollte es ihm gelingen, sich durch die chinesische Mauer der deutschen Schriftstellermisère Bahn zu brechen in das Land einer gesicherten Existenz, als ein Ereigniß eintrat, das ihn mit einem Male aus der kaum betretenen Laufbahn hinausschleuderte.

Die Firma Arnz und Comp., in deren Verlag die „Monatshefte“ erschienen, machte nämlich Bankerott. Der Redacteur verlor einen Theil seines rückständigen Gehaltes, und mit einem Male war er wieder brodlos. Da griff zum ersten Male jene wunderbare Hand des Zufalls, deren Bethätigung die Philosophie beinahe zum Fatalisten machen könnte, in seine zerrüttete Existenz ein. Der Düsseldorfer Maler Larson schickte um diese Zeit ein Bild in die Pariser Gemäldeausstellung und begab sich selbst nach der französischen Hauptstadt, um dort für die Besprechung seines Kunstwerkes in der Presse zu wirken. Da er selbst des Französischen nicht mächtig war, so forderte er Wolff auf, ihn als Dolmetscher zu begleiten und in Paris die nöthigen Verbindungen mit den Journalen und insbesondere mit den großen illustrirten Zeitungen herzustellen. Wolff ging bereitwillig auf diese Idee ein. Das Leben in der französischen Hauptstadt sagte ihm jetzt ungleich besser zu, als vor so und so viel Jahren. Er faßte den Entschluß, sich hier eine Existenz zu gründen, und nach langem Hin- und Hergrübeln kam er auf die Idee, sich in der oben mitgetheilten Absicht an Dumas zu wenden. So war gewissermaßen der Bankerott der Firma Arnz die erste Ursache seiner nachmaligen Erfolge.

Bei Dumas blieb Albert Wolff mehrere Jahre lang, stets guten Muthes, stets fleißig und lernbegierig, wenn auch der große Romancier[WS 2], der bekanntlich trotz seiner ungeheueren Einnahmen ewig in Geldnoth war, die versprochenen dreihundert Franken sehr unregelmäßig auszahlte. Wolff übersetzte ihm eine beträchtliche Anzahl deutscher Dramen – unter anderen „Die Jäger“, von Iffland. Dumas benutzte das Sujet zu einem Roman „Katharina Blum“, der in der Zeitung „Le Mousquétaire“ erschien. In ähnlicher Weise wurde das bekannte Lustspiel „Englisch“ von Görner zu einer reizenden Komödie „L’honneur est satisfait“ benutzt, die in jeder Beziehung weit über dem deutschen Originale steht. Auch eine große Anzahl von Novellen und Jugenderzählungen übersetzte Wolff für den unermüdlichen Autor. Dumas hat die meisten dieser Jugendschriften später unter dem Titel „Le Père Gicogne“ zusammengestellt.

Während dieser Thätigkeit arbeitete Wolff noch immer als deutscher Autor. Ganz im Anfange seines Aufenthaltes hatte er Kunstbriefe für die „Augsburger Allgemeine“ geschrieben. Später verfaßte er eine Reihe von Novellen, die sich zum Theil vielen Beifall und bei verschiedene Concurrenzen den Preis erwarben. Jetzt aber begann eine neue Periode. Die Redacteure des allen „Gaulois“ forderten ihn auf, gelegentlich einen Beitrag zu liefern. Er schrieb einen humoristischen Artikel, den er im Gefühle einer begreiflichen Unsicherheit Albert X. unterzeichnete. Tags darauf saß er in einem Kaffeehause, wo eine große Anzahl der bekanntesten Journalisten verkehrte, unter Anderen auch Villemessant, der Chefredacteur des „Figaro“. Das Gespräch verfiel auf den geheimnißvollen Artikel des „Gaulois“.

„Wenn ich diesen Albert X. kennte,“ rief Villemessant lebhaft, „er müßte sofort in den ‚Figaro‘.“

Dem jungen Deutschen stieg vor freudiger Ueberraschung das Blut in die Schläfe. Beim Aufbrechen bat er Herrn Villemessant um Gehör und entdeckte sich mit einem energischen „Ich bin’s!“ als den Autor.

„Das ist nicht wahr,“ erwiderte Villemessant brüsk.

Auch dieser Ausruf des routinirten Chefredacteurs war für den angehenden Feuilletonisten in hohem Grade schmeichelhaft.

„Gut!“ sagte Villemessant endlich. „Bringen Sie mir solche Artikel für meine Zeitung! Ich zahle Ihnen jedesmal hundert Franken.“

Tags darauf ereignete sich fast dieselbe Scene mit dem Chefredacteur des „Charivari“. So trat denn Albert Wolff gleichzeitig als Mitarbeiter in zwei der gelesensten Blätter Frankreichs.

Später übernahm er im „Figaro“ die sogenannten „Echos

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Romantikers, vergl. Berichtigung
  2. Vorlage: Romantiker, vergl. Berichtigung
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_506.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)