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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


„Bestimme Du das ganz nach eigenem Gefallen! Ich bin damit einverstanden. Ich gehe zwar noch nicht dauernd nach Wilicza, aber ich begleite Euch jedenfalls dorthin, und die Universität hat ja auch in jedem Jahre längere Ferien.“

Die Fürstin reichte ihm die Hand. „Ich danke Dir, Waldemar, in meinem und Leo’s Namen.“

Der Dank war wohl aufrichtig gemeint, aber es lag doch keine rechte Wärme darin, und ebenso kühl klang die Erwiderung Waldemar’s:

„Ich bitte Dich, Mutter – Du beschämst mich. Die Sache ist ja abgemacht – und jetzt darf ich doch wohl endlich nach dem Strande?“

Er schien um jeden Preis einer längeren Unterhaltung entfliehen zu wollen, und die Mutter hielt ihn nicht mehr zurück; sie wußte zu gut, wem sie den soeben erfochtenen Sieg verdankte. Am Fenster stehend, sah sie, wie der junge Mann in stürmischer Eile durch die Gartenanlagen nach dem Strande schritt, und kehrte dann wieder zum Schreibtische zurück, um den vorhin begonnenen Brief an ihren Bruder zu vollenden. –

Der Brief war soeben beendigt und die Fürstin stand im Begriff, ihn zu siegeln, als Leo bei ihr eintrat. Er sah fast ebenso erhitzt aus, wie vorhin sein Bruder, aber bei ihm war es augenscheinlich innere Aufregung, die ihm das Blut in die Schläfe trieb. Mit finsterer Stirn und fest zusammengepreßten Lippen näherte er sich der Mutter, die befremdet aufsah.

„Was ist Dir, Leo? Weshalb kommst Du allein? Hat Waldemar Dich und Wanda nicht gefunden?“

„O gewiß!“ versetzte Leo in erregtem Tone. „Er kam schon vor einer Viertelstunde zu uns.“

„Und wo ist er jetzt?“

„Er macht mit Wanda eine Fahrt in das Meer hinaus.“

„Allein?“

„Jawohl. Ganz allein!“

„Du weißt doch, daß ich dergleichen nicht liebe,“ sagte die Fürstin unwillig. „Wenn ich Dir Wanda bei solchen Gelegenheiten anvertraue, so ist das etwas Anderes. Ihr seid wie Geschwister zusammen aufgewachsen und daher zu der Vertraulichkeit von Geschwistern berechtigt. Waldemar steht ihr in jeder Beziehung ferner, und überhaupt – ich wünsche kein so ausschließliches Zusammensein der Beiden. Die Segelfahrt war ja von Euch gemeinsam verabredet worden. Weshalb bist Du nicht bei ihnen geblieben?“

„Weil ich nicht immer die Rolle des Ueberflüssigen spielen will!“ brach Leo aus. „Weil es mir kein Vergnügen macht, zuzusehen, wie Waldemar fortwährend an Wanda’s Blicken hängt, wie er thut, als ob es nichts auf der Welt gäbe, als sie allein.“

Die Fürstin drückte ihr Petschaft auf den Brief. „Ich habe Dir schon einmal gesagt, Leo, was ich von diesen Eifersüchteleien halte. Fängst Du schon wieder damit an?“

„Mama,“ der junge Fürst trat mit sprühenden Augen dicht an den Schreibtisch, „siehst Du denn nicht, oder willst Du nicht sehen, daß Waldemar Deine Nichte liebt, daß er sie anbetet?“

„Und was thust Du denn?“ fragte die Mutter sich ruhig in ihren Sessel zurücklehnend. „Doch wohl genau dasselbe, wenigstens bildest Du es Dir ein. Ihr werdet doch nicht etwa verlangen, daß ich diese Knabenschwärmereien ernst nehmen soll? Du und Waldemar, Ihr seid gerade in dem Alter, wo man nothwendig ein Ideal haben muß, und Wanda ist bis jetzt das einzige junge Mädchen, dem ihr vertraulicher nahen dürft. Zum Glück ist sie noch Kind genug, das Ganze als ein Spiel anzusehen, und deshalb allein gestatte ich es. Würde sie jemals Ernst daraus machen, dann wäre ich genöthigt, einzuschreiten und Eurem Verkehr engere Grenzen zu ziehen. Das wird aber, wie ich Wanda kenne, nicht geschehen; sie spielt mit Euch beiden und lacht über Euch beide. Also schwärmt immerhin für sie! Deinem Bruder zumal kann diese Uebung in der Ritterlichkeit nicht schaden; sie fehlt ihm leider noch gar zu sehr.“

Das Lächeln, das diese Worte begleitete, war nun freilich tief verletzend für eine jugendliche Leidenschaft; es wies sie vollständig in den Bereich der Kinderspiele. Leo schien nur mit Mühe an sich zu halten.

„Ich wollte, Du sprächest einmal mit Waldemar in diesem Tone von der ‚Knabenschwärmerei‘,“ erwiderte er mit unterdrückter Heftigkeit. „Er würde das nicht so ruhig hinnehmen.“

„Ich würde ihm so wenig wie Dir verhehlen, daß ich Euer Benehmen für eine Jugendthorheit halte. Wenn Du mir nach vier oder fünf Jahren von Deiner Liebe zu Wanda sprichst, oder Waldemar es thut, dann will ich Euren Empfindungen Werth beilegen: für jetzt könnt Ihr noch ohne alle Gefahr die Ritter Eurer Cousine spielen – vorausgesetzt, daß es dabei nicht zu Streitigkeiten zwischen Euch kommt.“

„Dahin ist es bereits gekommen,“ erklärte Leo. „Ich bin vorhin mit Waldemar sehr scharf zusammengerathen und habe mich eben deshalb freiwillig von der Fahrt ausgeschlossen. Ich dulde es nicht, daß er Wanda’s Gespräch und Gesellschaft so ausschließlich für sich in Anspruch nimmt; ich dulde überhaupt nicht länger seine herrische Art und Weise und werde ihm das von jetzt an bei jeder Gelegenheit zeigen.“

„Das wirst Du nicht thun,“ fiel ihm die Mutter in’s Wort. „Ich lege mehr als je Werth auf ein gutes Einvernehmen zwischen Euch, denn wir werden mit Waldemar nach Wilicza gehen.“

„Nach Wilicza?“ rief Leo außer sich. „Und ich soll dort sein Gast sein, soll mich ihm vielleicht unterordnen? Nun und nimmermehr thue ich das. Ich will Waldemar nichts verdanken. Und wenn es meine ganze Zukunft kosten sollte, von ihm will ich nichts annehmen.“

Die Fürstin bewahrte ihre überlegene Ruhe, aber ihre Stirn verfinsterte sich doch, als sie antwortete:

„Wenn Du einer bloßen Laune wegen Deine ganze Zukunft auf’s Spiel setzen willst, so bin ich noch da, sie zu vertreten. Uebrigens handelt es sich hier nicht um Dich und mich allein, es sind noch andere, höhere Rücksichten, die mir den Aufenthalt in Wilicza wünschenswerth machen, und ich bin nicht gesonnen, meine Pläne durch Deine kindische Eifersucht stören zu lassen. Du weißt, daß ich Dir nie etwas Erniedrigendes zumuthen werde, aber Du weißt auch, daß ich gewohnt bin, meinem Willen Geltung zu verschaffen. Ich sage Dir, wir gehen nach Wilicza, und Du wirst Deinen älteren Bruder mit der Rücksicht behandeln, die ich selbst ihm erweise. Ich fordere Gehorsam, Leo.“

Der junge Fürst kannte diesen Ton hinreichend. Er wußte, daß, wenn die Mutter ihn anschlug, sie ihren Willen um jeden Preis durchsetzen wollte, aber diesmal trieb ihn ein mächtiger Sporn zum Widerstande. Wenn er auch keine Erwiderung in Worten wagte, so zeigte sein Antlitz doch, daß er sehr geneigt war, der That nach zu rebelliren, und daß er sich schwerlich zu der geforderten Rücksicht für den Bruder herbeilassen werde.

„Uebrigens werde ich dafür sorgen, daß die Veranlassung zu solchen Streitigkeiten künftig wegfällt,“ fuhr die Fürstin fort. „Wir reisen in acht Tagen, und wenn Wanda erst bei ihrem Vater ist, werdet Ihr sie ohnehin seltener sehen. Diese einsame Meeresfahrt mit Waldemar aber, die ich überhaupt nicht billige, soll unter allen Umständen die letzte gewesen sein.“

Damit klingelte sie und befahl dem eintretenden Pawlick, den Brief fortzutragen. Er brachte dem Grafen Morynski die Nachricht der baldigen Abreise und bereitete ihn zugleich darauf vor, daß die Schwester seine Gastfreundschaft nicht in Anspruch nehmen, sondern daß die ehemalige Herrin von Wilicza in Kurzem wieder dort einziehen werde.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Schöpfer der großen Presse in Oesterreich.


Vor zweiundsiebenzig Jahren that der wackere Schlözer den bemerkenswerthen Ausspruch: „Zeitungen – mit einem Gefühle von Ehrfurcht schreibe ich dieses Wort nieder – Zeitungen sind eines der großen Culturmittel, durch die wir Europäer – Europäer geworden sind, werth, daß sich noch jetzt Franzosen und Deutsche um die Ehre der Erfindung streiten. Stumpf ist der Mensch, der keine Zeitung liest.“ Napoleon der Erste, der Zeitgenosse des deutschen Historikers und Publicisten, nannte die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_500.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2019)