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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Aus dem Lande der Sarden.
Mit Abbildung.

Baron Maltzan, der vortreffliche Archäolog und bekannte Reisende, sagt in seinem Werke über Sardinien: „Daß das Land einige landschaftliche Schönheiten besitzt, daß es eine interessante Fauna aufzuweisen hat und daß sich daselbst große, geheimnißvolle Denkmäler, die Nurhagen, befinden, das wäre so ziemlich Alles, was man in unserem Vaterlande über Sardinien wissen dürfte.“

Und doch – welche landschaftliche Schönheiten bietet es dem Reisenden in seinen riesigen immergrünen Eichenwäldern, die dem Beschauer die wunderbaren Compositionen eines Claude und Poussin in’s Gedächtniß rufen! Wie großartig sind die weiten Steinflächen seiner wilden Gebirge! Da zieht der gigantische Geier noch ganz unscheu nahe beim einsamen Reisenden seine stillen Kreise. Und seine malerischen Bewohner haben sich in Tracht und Sitte noch urfrisch bewahrt. Alles dies giebt dem Griffel und dem Pinsel einen großen Stoff. Dem Eisenbahn-Touristen freilich, der an die Bequemlichkeiten des italienischen Festlandes, der Schweiz etc. gewohnt ist, der mit dem rothen Buche in der Hand gedankenlos von Stadt zu Stadt eilt und hier Galerie um Galerie, Kirche um Kirche, oft ohne das geringste Verständniß dafür zu besitzen, durchwandelt, ihm würden die Schönheiten des Landes, die er auch wohl in hundert Fällen gar nicht zu würdigen wüßte, die Beschwerden gar nicht aufwiegen, welche damit verbunden sind, das Innere der Insel Sardinien zu bereisen. Solche Touristen sollen aber auch gar nicht nach Sardinien kommen; sie sollen dieses schöne Land nicht verunzieren durch ihre langweiligen Gestalten.

Wie denke ich in stiller Wehmuth an dich zurück, du heiliger Wald am Monte Creria, an der Gebirgskette des Gennargento! Wie majestätisch durchzog die Flumentosa deine heiligen Hallen im stillen Thale! Wie ernst ruhig ragtet ihr Riesenbäume in dunkler Pracht gegen das tiefblaue Firmament! Armer Wald! In dem Augenblicke, wo ich diese Zeilen niederschreibe, steht von dir vielleicht nichts mehr. Der Herbstwind geht über die Stätte, wo noch vor kurzer Zeit unter deinem Schutze der wilde Eber und das stolze Rothwild gewandelt. – Auch du bist der Speculation, die in den fernsten Welt-Winkel dringt, zum Opfer gefallen.

Und doch dankten wir, mein Freund F. und ich, diesem Umstände den Aufenthalt, welchen wir acht Tage in diesem herrlichen Walde nehmen konnten. Wir lernten zufällig den Eigenthümer dieses Waldes kennen, der denselben an sich gebracht hatte, um ihn fällen zu lassen und die riesigen, gesunden Stämme zu Schiffsbauzwecken zu verwenden. Aus allen anderen sollte Soda bereitet werden. Um aber den Transport der Bäume nach Arizzo herunter zu ermöglichen, von wo aus sie weiter geschafft werden können, mußte eine eigene Straße nach dem Walde gebaut werden. Und diese Straße, an der hunderte von Arbeitern beschäftigt waren, ging eben jetzt ihrer Vollendung entgegen. Im Walde wohnten die Arbeiter in Baracken und Herr C. bot uns, nachdem er erfahren, daß wir behufs künstlerischer Studien die Wälder besuchen wollten, Wohnung in einer der Baracken an, welche nicht übel eingerichtet war.

Wenn wir dann des Abends am Kaminfeuer saßen und der riesige brennende Eichblock darin sein Licht bis in den fernsten Winkel schickte, während draußen, dicht am Hause, die tausendjährigen Eichen ihre Häupter schüttelten, dann überkam mich oft tiefe Wehmuth – ich gedachte des Schicksals all dieser Baumriesen. Als wir endlich Abschied nahmen und ich Eichendorff’s schönes Lied: „Lebe wohl, du schöner Wald!“, in deutschen Tönen sang, die vielleicht zum ersten Male hier oben erklangen, war es mir, als nähme ich Abschied von einem theuren Freunde auf immer; denn führt mich jemals mein Weg wieder dorthin, dich finde ich ja doch nicht wieder, herrlicher Wald am Monte Crecia! Die Straße braucht nur noch wenige Wochen bis zu ihrer Vollendung; dicht an deinem Rande arbeiten schon Hunderte an deiner Leichenstraße. Als wir schon weit, weit von dir entfernt waren, tönten noch ein paar dumpfe Donner uns nach. Man hatte Steinblöcke gesprengt. Ich aber nahm es als deinen Scheidegruß, du schöner Wald.

Wir hatten uns in Ajaccio eingeschifft und liefen nach einer ziemlich stürmischen siebenstündigen Fahrt in den beinahe rings ummauerten kleinen Hafen von Porto Torres, dem Turris Libyssanis der alten Römer, ein, und ich betrat nun den Boden des Landes, mit dem sich meine Phantasie schon so lange beschäftigt. Der erste Anblick war ein ziemlich trostloser. Ein paar Straßen mit kleinen Häusern, eine alte Kathedrale und ein Haufen zerlumpter Kerle, die sich bei unserer Landung wie die Geier auf unser Gepäck stürzten – das war der erste allgemeine Eindruck.

Von Porto Torres nach Sassari führt eine Eisenbahn. Wir lenkten also unsere Schritte nach dem nahen Bahnhof. Es war ein eigenes Gefühl für mich, wieder eine Eisenbahn zu sehen, denn wir hatten uns schon einige Zeit in dem ein solches Beförderungsmittel nicht besitzenden Corsica herumgetrieben. Auf dem Bahnhof wurde mir zum ersten Male Gelegenheit geboten, sardinische Landleute zu sehen. Wild und verwegen sahen dieselben zwar aus, wir überzeugten uns jedoch später, daß hier der Schein trügt, denn wir haben die verrufensten Gegenden besucht, ohne daß uns ein Haar gekrümmt worden wäre. Zur Ehre der Sarden sei es gesagt: sie sind zu stolz zum Rauben. Wohl wallt ihr hitziges Blut leicht auf, und sie sind dann auch schnell mit der Waffe zur Hand, denn Morde aus Rache gehören gerade nicht zu den Seltenheiten.

Indeß, wie oben gesagt, verwegen schauten die Kerle auf der Station doch aus. Unter der schwarzen, auf der einen Seite über das Ohr herunterhängenden, in einem langen Sack endenden Mütze wogten wilde, rabenschwarze Haare bis auf die kräftigen Schultern herab und verloren sich da in den schwarzen zottigen Haaren des aus Ziegenfellen gearbeiteten, ärmellosen Rockes, Bestipede (Fellgewand) genannt. Wild blitzten die kleinen, schwarzen, feurigen Augen aus dem mit dunkelem Barte umrahmten verwetterten braunen Antlitz. Die Weste, Corpetto geheißen, war von rother Farbe und nach der Seite zu mit eng aneinandergereihten kleinen, runden, locker hängenden Knöpfen geschlossen. In manchen Gegenden ist die Weste ebenfalls schwarz und vermehrt so das Düstere des ganzen Anzuges. Nach oben weit, meist viereckig ausgeschnitten, ließ sie das weiße Hemd sehen, welches, ebenfalls weit ausgeschnitten, an dem braunen, sehnigen Halse durch zwei in der Regel von kostbarem Metall sorgfältig gearbeitete Knöpfe zusammengehalten wird. Der Kragen des Hemdes ist breit und geht über Weste und Rock. Die bauschigen weißen Hemdärmel bilden einen angenehmen Contrast zu dem dunklen Schwarzbraun des sardischen Fellgewandes. Ueber die weiten, weißen Beinkleider von Leinen (carzones) hängen die Sarden kurze, faltenreiche Röcke (ebenfalls carzones genannt) von schwarzer Farbe, die frauenartig bis zur Hälfte des Oberbeines reichen und an den Hüften durch einen breiten Ledergurt von derselben Farbe gehalten werden. In derselben stak der lange dolchartige Säbel. Die weißen Beinkleider verloren sich in bis über die Kniee reichende schwarze Stoffgamaschen, die auf schwere, nägelbeschlagene Schuhe fielen. Einige hatten kurze, dunkle, meist schwarze, ebenfalls mit kleinen silbernen Knöpfen versehene Capuzenröcke, welche in der Regel nur umgehängt getragen werden. Denke man sich nun dazu ein meist sehr langes, oft schwarzgeschäftetes Gewehr, so hat man das Bild eines sardischen Bauern, der, nach unseren Begriffen, allerdings eher einem Räuber, als einem Landmanne gleicht. Jedoch man wird gestehen müssen, daß der Eindruck eines so Gekleideten von ungeheuer malerischer Wirkung ist.

Von Porto Torres trug uns die eherne Bahn durch eine große, zum Theil durch Olivengärten unterbrochene, höchst malerische Ebene. Wunderbar rein war die Luft, nur einige langgezogene Silberwölkchen standen tief, tief am Horizont. Das auf den Weiden zerstreute kleine sardische Rindvieh und die Ziegenherden bildeten gar schöne Unterbrechungen der Landschaft, welche hier wahrhaft wunderbare elastische Linien zeigte. Leider ist das Fieber, dieser Tyrann Sardiniens, hier zu Hause. Was klimatische Verhältnisse anbelangt, ist das ganze schöne Land fast

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 486. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_486.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)