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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Weltausstellungsskizzen.[1]
Von R. Elcho.
1. Fairmountpark.


Soll ich gestehen, welches von allen Weltausstellungsgebäuden im Fairmountpark zu Philadelphia mir das größte Interesse eingeflößt hat? – Es ist das Aschenbrödel dieser märchenhaften Welt – ein armseliges Blockhaus. Ueber seiner Thür prangt die Inschrift: „Die alten Zeiten“.

Das Haus liegt am Rande der Schlucht, welche sich vom Frauenpavillon bis hinab zu den Ufern des Schuylkill zieht. Es ist ein echtes, rechtes Blockhaus, aufgebaut von rohen Fichtenstämmen, gedeckt mit Schindeln und umkränzt von einem Gärtchen, in welchem Gemüse gepflanzt wird. Wilde Reben klimmen an den Fensterchen des Hauses empor; Bäume rauschen über seiner Dachfirst und verbreiten etwas wie Waldesdunkel um sein Gehege. Und was mir an diesem bescheidenen Bau ein so lebhaftes Interesse einflößt? Nun, ich könnte sagen, es sei das allerliebste Mädchen, das unter der von einem Vordach beschirmten Thür steht und den Eintretenden willkommen heißt, denn das zarte Geschöpf hat die prächtigsten blauen Augen, die noch je ein Dichter besang, und wenn sie etwas erklärt, so bebt ihre Stimme und sie neigt den Kopf, um ihr Erröthen zu verbergen, wie die Waldhyacinthe, wenn der Morgenwind sie küßt. Allein die rosige Miß hat am allerwenigsten mit dem undefinirbaren Zauber zu schaffen, der über der ganzen Schöpfung ausgebreitet liegt; sie ist nur der Sonnenstrahl, der auf eine vergessene Welt fällt.

In dem kühlen Zimmer, welches der Besucher betritt, erblickt man derbe Tische und Stühle, wie sie der Ansiedler des vorigen Jahrhunderts mit seiner Axt zimmerte; in der Ecke am Fenster stehen Webstuhl und Spinnrad friedlich beisammen; die Decke und der Kamin sind mit goldfarbenen Welschkornähren behängt; rostige Gewehre mit Feuerschlössern hängen an derben Zapfen, und auf dem Schüsselbrett beim Feuerherd sind buntfarbene Delfter Geschirre aufgestellt, wie sie holländische Schmuggler den Colonien Amerikas zuführten. Jedes Stück dieser Einrichtung ist ein Kind des vorigen Jahrhunderts und – beim Himmel! – da steigt gar die Herrin des Hauses, eine ehrwürdige Matrone, in der Tracht jener Zeit die schmale Stiege herab, welche zum hochgelegenen Schlafzimmer führt.

Hier athmet alles die Luft einer längst dahingeschwundenen Zeit, und wenn das Haus statt auf dem Ausstellungsgrunde an den wildromantischen Ufern des Wissahickon läge, so könnte man sich zurückträumen in jene Tage, da der Ansiedler noch seine Pflugschar gegen Indianer und Engländer mit den Waffen in der Hand vertheidigte. In jener Zeit bildete das Eden von Amerika, der herrliche Park von Fairmount, noch eine fast ungebrochene Wildniß von der Independence Hall, woselbst der erste Congreß der Colonien tagte, bis zum Indianerfelsen, an dessen Fuß der Wigwam des Häuptlings Todyascuny stand.

Die Culturentwicklung der jungen Freistaaten Nordamerikas ging von dem einsamen Blockhaus der Ansiedler aus und nahm, dank der stählernen Energie und Arbeitskraft seiner Bewohner, einen so rüstigen Fortgang, daß heute die vierzig Millionen Amerikaner ein ebenso großes Schienennetz haben, wie die Staaten von ganz Europa, und daß sie das hundertjährige Geburtsfest der Republik durch einen internationalen Wettkampf verherrlichen können, bei welchem ihr Gewerbefleiß und ihre Erfindungsgabe einen schönen Triumph feiern.

Ehe wir uns die imposanten Schöpfungen betrachten, welche sich vom Lansdowne-Plateau erheben, wollen wir erst zu den alten Zeiten zurückkehren, da noch das Blockhaus an den obern Ufern des Schuylkill stand. Der Fairmountpark spiegelt ein gutes Stück der Geschichte Amerikas wieder, und ein kurzer Streifzug durch seine herrlichen Anlagen und Waldpartien dürfte nicht unergiebig sein.

Philadelphia liegt bekanntlich am Zusammenfluß des Delaware und Schuylkill, und an seine nordwestlichen Stadttheile schließt sich der Fairmountpark an, dessen südwestliche Partien die Ausstellungscommission für ihre Bauten in Beschlag nahm. Der berühmte Park bedeckt mit seinen Anlagen, Brücken, Rasenflächen, Waldstrecken, Seen und Cascaden einen Flächenraum von dreitausend Acker und breitet sich zu beiden Seiten des anmuthigen Schuylkill aus, so daß man einen Ostpark vom Westpark unterscheidet. Selbstverständlich gelangte die Stadt nicht mit einem Schlage in den Besitz des ungeheuren Terrains; der ursprüngliche Stadtpark wurde vielmehr durch Schenkungen und Erwerbungen seitens der Park-Commission im Laufe des letzten Jahrhunderts zu seinem jetzigen Umfang erweitert.

Besitzungen, auf welche der Eigenthümer stolz sein darf, werden von diesem in der Regel mit schweren Sorgen erkauft und erhalten; auch die Steuerzahler der Quäkerstadt mußten das erhebende Bewußtsein, den größten und prächtigsten Park der Welt zu besitzen mit schweren Opfern erkaufen.

Die Communalverwaltung Philadelphias sah sich in den letzten Jahren durch die große Ausdehnung, welche die Stadt gewann, genöthigt, Anleihen aufzunehmen, die eine beträchtliche Höhe erreicht haben. Dieser Umstand hatte zur Folge, daß man den Beschluß faßte, von allen weiteren Erwerbungen zur Abrundung des Parkes abzustehen und die größere Hälfte desselben bis auf Weiteres ihrem Schicksale zu überlassen.

Nichts konnte dem Naturfreunde erwünschter sein, als dieser Beschluß, denn groß genug ist der Park für ihn, und nun durfte er von den Statuen, geschorenen Rasenflächen, sprühenden Cascaden und den Tummelplätzen der eleganten Welt seinen Weg zu einer Wildniß nehmen, wo er auf einsamen Spaziergängen die Natur in ihrem traulichsten Daheim fand.

Als ich vor wenigen Tagen dem Ostparke meinen ersten Besuch abstattete, stieß ich auf der kurzen Fahrt vom Herzen der Stadt bis zum Strande des Schuylkill auf ein unerwartetes Hinderniß. Es waren nämlich in der Nacht zehntausend Tempelritter in Philadelphia angekommen, welche am Morgen ihr Stiftungsfest, oder welche Feier es sonst sein mochte, durch großartige Aufzüge in den Hauptstraßen der Stadt einleiteten. Der Zug war der Art mit kriegerischem Pomp ausstaffirt, daß naive Europäer hätten glauben können, es sei eine schlagfertige Armee im Anzuge. Musikcorps in militärischen Phantasieuniformen schritten den einzelnen Abtheilungen voran, dann kamen hoch zu Roß die Ordensmeister, dann die Bannerträger und endlich die unabsehbaren Schaaren der Templer, deren jeder ein gezogenes Schwert trug. Die Brust jedes Ritters war mit Orden und Abzeichen bedeckt; schwere Ritterhandschuhe, ein weißes Bandelier, wehende Straußfedern auf einem Marschallshute vollendeten den militärischen Aufputz.

Die Pferdebahnwagen überwanden endlich auch die Festblokade und ich landete am Ausgange der Greenstreet, dort, wo jedes der rothen Ziegelhäuser von einem blühenden Garten umgeben ist. Herrliche Anlagen führen zum Flusse und den Wasserwerken hinab. An dieser Stelle hatte sich einst William Penn sein einfaches Landhaus erbaut, und er konnte sich kaum eine prächtigere Stelle am Schuylkill aussuchen.

Ein Thurm ragt von den beiden Rasenflächen zu den Felsen auf, und seine Spitze, mit den Steinmassen verbunden, bietet einen prächtigen „Luginsland“. Der Schuylkill ist an dieser Stelle der Breite nach aufgestaut, sodaß seine Wasser alle den Wasserwerken zuströmen. Die letzteren liegen am Ufer, dicht unter den Felsen, und ihre mächtigen Maschinen pumpen täglich fünfunddreißig Millionen Gallonen Wasser in die hochliegenden Reservoirs, durch welche die Brunnen und Röhrleitungen der Stadt gespeist werden.

Die Wasserwerke mit ihren Tempelbauten, mächtigen Quais, plätschernden Fontainen und bunten Landungsbrücken beim große Damme gewähren ein reiches und belebtes Bild. Auf den hellgrünen Wassern des Flusses gleiten schnelle Dampfer und Ruderboote

  1. Wir glauben mit unserem Herrn Specialcorrespondenten mit Recht voraussetzen zu dürfen, daß die Eröffnungsfeierlichkeiten der Weltausstellung zu Philadelphia unseren Lesern bereits aus den zahlreichen Schilderungen der Tagesblätter hinlänglich bekannt sind. Herr Elcho wird daher sofort mitten in das bewegte Leben der Ausstellung hineingreifen und die Hauptmomente desselben in einer Reihe frisch entworfener abgeschlossener Bilder an den Augen der Leser vorüberführen.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 476. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_476.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)