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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Die Liebe in Rococo in zwei Bildern.
Originalzeichnungen von W. Kögler in Wiesbaden.


Erstes Begegnen.




Teufel bestand durchaus darauf, nur ihm persönlich sein Anliegen vorzutragen, und wies die Intervention der Gaboim zurück. Man verweigerte ihm natürlich den Eintritt; er setzte sich auf die Freitreppe des Palastes nieder und wartete. Man jagte ihn fort – er kehrte wieder; zwei Tage und zwei Nächte saß er auf der Treppe. Er nahm weder Speise noch Trank zu sich und erklärte, hier den Hungertod erleiden zu wollen, wenn man ihn nicht vor den Zadik lasse. Man trug diesem die Sache endlich vor, und er befahl, ihm den Mann vorzuführen. Als dieser in das Cabinet des heiligen Mannes getreten war, warf er sich zu Boden und streckte ihm den halben Rubel entgegen.

„Rabbi! Zadik!“ rief er, „ich bin ein vom Unglück hart verfolgter, gänzlich zu Grunde gerichteter Mann. Dieser halbe Rubel ist der letzte Rest meines Vermögens. Nehmt ihn wohlgefällig an! Ich kann Euch nicht mehr geben, und verwendet Euch bei Gott, damit ich wieder Glück in meinen Geschäften habe!“

Der Zadik berührte lächelnd das Münzstück, murmelte ein Gebet und sagte dann zu dem armen Kerl:

„Behalte Deinen halben Rubel! Gott wird machen, daß er Dir Glück bringt.“

Freudig trat der so gesegnete Bittsteller aus dem Palaste heraus; draußen harrte bereits eine tausendköpfige Menge, um dem Glücklichen, dem es vergönnt gewesen den Gottesmann zu sprechen, ihre Huldigungen darzubringen. Er erzählte hastig, welchen Bescheid er bekommen. Im Nu begann man auf das zum Talisman gewordene Münzstück zu bieten; seinem Besitzer war es jedoch nicht feil. Endlich bewog ihn doch Einer, es ihm zu überlassen: er bot ihm achttausend Rubel dafür. Das Wort des Zadik hatte sich so erfüllt: der von ihm berührte Rubel hat seinem Besitzer Glück gebracht.

Der Zadik bereiste zuweilen die benachbarten Provinzen. In einem ukrainischen Städtchen besuchte er mit seinem Gefolge das Bad. Bäder und Waschungen spielen in dem Ritual der Chassidim eine große Rolle. Die Bäder in den kleinen russischen Städten sind noch jetzt so eingerichtet, wie es die „Schwitzbäder“ im Mittelalter bei uns waren. In der Stube brennt in einem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_472.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)