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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Rechnen mit den alten römischen Zahlen war, ist die Einführung der arabischen (eigentlich indischen) Zahlzeichen und des Decimalsystems, das wir beiden Männern verdanken. Erst von dieser Zeit an konnte das Rechnen auch in den Schulen gelehrt werden und zu seiner unermeßlichen Bedeutung in Handel und Wandel und im ganzen Volksleben gelangen.

Auf eine erfreuliche Erscheinung in jener Zeit macht uns J. H. von Mädler (in einer Lebensschilderung des Regiomontanus in Westermann’s Jahrbuch, 1871) aufmerksam, indem er sagt: „Es darf nicht verschwiegen werden, daß von der ingrimmigen Feindschaft, mit welcher später die Mönchsorden den Naturwissenschaften entgegentraten, damals noch keine Spur zu finden war. Im Gegentheil sehen wir, daß die Wenigen, welche sich damit beschäftigten, von Seiten der Kirche alle mögliche Begünstigung und Förderung erfuhren.“ Kaum war daher die Kunde von den astronomischen Arbeiten der beiden Deutschen nach Rom gedrungen, so kam der berühmte griechische Gelehrte und römische Cardinal Bessarion selbst nach Wien, um Purbach zu sich nach Italien und seinen reichen literarischen Schätzen abzuholen. Purbach war sofort zur Reise bereit, da überraschte ihn, den erst Achtunddreißigjährigen, 1461, der Tod. An seine Stelle trat nun Regiomontanus. So jung er noch war, so groß war doch schon sein Ruhm. „Ueberall,“ sagt Mädler, „wo er sich auch hinbegab, in Bologna, Ferrara, Venedig, galt er für den Gelehrtesten.“ Der Umgang mit Männern, wie Bessarion, Bianchini und besonders mit dem berühmten Griechen Georg von Trapezunt wies ihn auf die Quellensprache der astronomischen Wissenschaft, das Griechische hin, und mit so viel Beharrlichkeit und Glück warf er sich auf dasselbe, daß er bald seinen Meister meistern und ihm Fehler in dessen Bearbeitung des „Almagest“ nachweisen konnte, ein Umstand, der leider eine Entzweiung beider Gelehrten herbeiführte. Für Deutschland brachte diese italienische Zeit des Regiomontanus außerordentlichen Gewinn, denn durch ihn, der damals der größte Kenner der griechischen Sprache und Literatur unter allen Deutschen war, fand das Studium derselben auch in Deutschland Eingang.

Schon damals begeisterte die Italiener der Gedanke, einen Weg nach Indien durch eine Fahrt in den großen Ocean hinein zu suchen, ein Gedanke, den später ihr Landsmann Columbus ausführte, der ja bekanntlich selbst nie erfuhr, daß er einen neuen Erdtheil entdeckt hatte, sondern die Küste des gesuchten Indien erreicht zu haben glaubte. Auch unserm Regiomontanus konnte dieser Gedanke nicht fern bleiben, und er mochte ihn schon damals bei seinen astronomischen Beobachtungen geleitet haben. Sein Hauptwerk in dieser Beziehung, die „Ephemeriden“, erschien jedoch erst 1473. Doch davon später – Nach siebenjährigem Aufenthalte in Italien folgte er (1468) einem Rufe des ungarischen Königs Matthias Corvinus nach Ofen. Der König hatte eine ansehnliche Bibliothek (natürlich von Handschriften, denn die Buchdruckerkunst stand erst im Beginne ihrer Thätigkeit) erworben, die Regiomontanus ordnen sollte und mit seinen eigenen, in Italien gesammelten Schätzen für seine Wissenschaften zu verwerthen gedachte. Da aber unaufhörliche Kriege den König nicht zur Ruhe kommen ließen und sogar die Mittel zur Ausführung der Arbeiten des Regiomontanus fehlten, so siedelte dieser im Frühjahre 1471 nach der Stadt über, in welcher damals Wissenschaften, Künste und Gewerbe zuhöchst in Blüthe und Ehren standen, in das alte Nürnberg.

Hier empfing man den weltberühmten Mann mit offenen Armen. Vor Allen schloß der reiche Patricier und Rathsherr Bernhard Walther sich ihm an. Er ließ ihm nicht nur in der Rosengasse ganz nach dessen Plan eine Sternwarte bauen, die Mädler als die erste des neuen Europa bezeichnen zu können glaubt, ausgerüstet mit Instrumenten, wie nur der Nürnberger Kunst- und Gewerbefleiß sie herzustellen vermochte, sondern er errichtete für ihn auch eine eigene Druckerei, weil die damals dort blühende von Anton Coburger die fremden Schriftzeichen, Tabellen und mathematischen Symbole nicht besaß, welche für den Druck der mathematischen und astronomischen Schriften Purbach’s, welche Regiomontanus hier veröffentlichte, und seine eigenen unentbehrlich waren. Da Regiomontanus in Nürnberg und auf der Nürnberger Universität Altorf öffentliche Vorlesungen hielt, so wurden beide Städte bald Wallfahrtsorte für alle damals in gleichem Geiste Strebenden.

Die lange Reihe von Werken, welche aus dieser Druckerei hervorgingen, und die späteren Ausgaben und Bücher von und über Purbach und Regiomontanus hier aufzuführen, entspricht weder dem Raum noch dem Zweck dieses Artikels. Um so mehr freuen wir uns, unsere Leser auf eine Schrift hinweisen zu können, die als eine Festschrift zu Ehren unseres großen Todten gelten kann; wir meinen die mit ebensoviel Wärme und Begeisterung, als Kenntniß und Fleiß ausgearbeitete Monographie Alexander Ziegler’s: „Regiomontanus, ein geistiger Vorläufer des Columbus (Dresden, 1874).“

Das schon genannte Hauptwerk des Regiomontanus, welches Ziegler zu der weltwichtigen Ehrenbezeichnung desselben berechtigte, sind seine „Ephemeriden“, astronomische Tafeln, in denen der Ort des Standes der Sonne und anderer Himmelskörper auf zweiunddreißig Jahre (1474 bis 1506) zum Nutzen der Seefahrer voraus berechnet war. Wir haben nur angedeutet, daß Regiomontanus auch durch Verbesserung und Erfindiung nautischer Instrumente (wie des sogenannten Astrolabiums und Jakobsstabs) sich um die Schifffahrt Verdienste erworben. Hierüber sagt Ziegler: „Wenn Regiomontanus durch den von ihm erfundenen Gradstock oder Jakobsstab, der während dreier Jahrhunderte nebst dem Compaß das wichtigste Werkzeug in den Händen der Seeleute gewesen ist, der Seefahrt große Dienste erzeigt hat, so ist dies in noch größerem Grade von den Ephemeriden des Regiomontanus zu sagen. – Aus dem Schiffsjournal des Columbus wissen wir mit Bestimmtheit, daß der Admiral diese ‚Ephemeriden‘ am Bord gehabt, denn er selbst sagt, daß er vermittelst derselben die Eingeborenen auf Jamaica, um sie in Schrecken zu setzen und zur Beschaffung von Nahrungsmitteln zu zwingen, drei Tage vorher mit der Mondfinsterniß vom 29. Februar 1504 bedroht habe. Durch die Benutzung seiner astronomischen Instrumente und vornehmlich der Ephemeriden hat Regiomontanus die deutsche Astronomie mit der iberischen Nautik (wohin sein Schüler, der berühmte Nürnberger Weltreisende Martin Behaim, sie trug) verbunden, die Küstenschifffahrt in eine Seeschifffahrt umzuwandeln ermöglicht und jenen berühmten Seefahrern Columbus, Vespucci, Vasco de Gama, Magalhaens u. A. die Füglichkeit an die Hand gegeben, mit Sicherheit sich weiter in den Ocean hinauszuwagen und ihre weltgeschichtlichen Entdeckungen zu Stande zu bringen.“ Was den heutigen Seefahrern der Nautrical Almanac der Engländer, das waren damals die Ephemeriden des Regiomontanus, und lange Zeit blieben sie der unschätzbare Wegweiser, ohne den sich so leicht Niemand auf die offene See wagte.

Nicht weniger Verbreitung fanden des Regiomontanus lateinische und erste deutsche Kalender, deren Drucke Ziegler ebenfalls gewissenhaft verzeichnet; auch über deren Werth ertheilt er eingehende Belehrung. Diese Arbeiten und das Ansehen, in welchem der deutsche Gelehrte nicht blos im Vaterlande, sondern in allen civilisirten Ländern stand, lenkten abermals die Aufmerksamkeit Roms auf ihn. Die Fehler des Julianischen Kalenders erforderten endlich dringend Abhülfe, und so setzte denn Papst Sixtus der Vierte eine Commission in Rom zusammen, zu welcher auch Regiomontanus berufen wurde; als Belohnung für seine Leistungen war ihm schon im Voraus das Bisthum Regensburg bestimmt. Gewiß nicht leicht trennte er sich im Frühjahr 1476 von Nürnberg, das ihm zur zweiten Vaterstadt geworden war; glücklich kam er in Rom an, aber schon am 6. Juli hatte die dort herrschende Pest ihn hingerafft. Die Sage beschuldigt die Söhne des Georg von Trapezunt, aus Rache dafür, daß Regiomontanus Fehler in ihres Vaters Uebersetzung des Almagest gefunden, ihn vergiftet zu haben. Beweise sind nirgends für diese schwere Beschuldigung zu finden. Der große Todte wurde mit allen Ehren im Pantheon des Marcus Agrippa beigesetzt.

Seit diesem Tag der Trauer sind nun vierhundert Jahre vergangen. Die Trauer ist verschwunden, denn was des Mannes Geist gelebt und gethan, hat seine Unsterblichkeit bewährt, – und in diesem Sinne kann der Tag seines Todes mit einem Erinnerungsfeste gefeiert werden, an dem ein gerechter Stolz auch die helleren Farben der Freude nicht zu verhüllen braucht. Tausende werden an diesem Tage sein Andenken segnen, und wenn auch der Mittelpunkt aller Feier seine kleine Vaterstadt ist, so wird doch an mehr als einem Orte gepriesen werden, was der eine Mann gewirkt, und man wird überall übereinstimmen mit unserem edlen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_470.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)