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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Man mußte um jeden Preis den Mann gewinnen, der, wie man längst wußte, zu gewinnen war. Der Bestechung war der Millionär natürlich unzugänglich, so blieb nur seine Eitelkeit übrig, die ihm die Verschwägerung mit einer der polnischen Adelsfamilien als sehr wünschenswerth erscheinen ließ. Vielleicht lenkte der Umstand, daß Wilicza noch bis vor einem halben Jahrhundert im Besitze der Morynski’schen Familie gewesen war, die Wahl gerade auf die Enkelin jenes letzten Besitzers; vielleicht fand sich auch kein anderes Haus, welches seine Tochter oder Schwester zu dem Opfer hergeben wollte, das man von der armen, abhängigen Waise verlangte. Dem rohen Emporkömmling schmeichelte es, daß die Hand einer Gräfin Morynska für ihn erreichbar war; nach einer Mitgift brauchte er nicht zu fragen; er ging also mit vollem Eifer auf den Plan ein, und Jadwiga sah sich bei ihrem Eintritte in die Welt schon einer Bestimmung gegenüber, gegen die sich ihr ganzes Wesen empörte.

Ihr erster Schritt war entschiedene Weigerung, aber was vermochte das Nein eines siebenzehnjährigen Mädchens gegen einen Familienbeschluß, dessen Ausführung man als eine Nothwendigkeit ansah. Als Befehle und Drohungen nichts fruchteten, nahm man seine Zuflucht zu Vorstellungen. Man zeigte der jungen Verwandten die glänzende Rolle, welche sie als Herrin von Wilicza spielen werde, die unbedingte Herrschaft, die sie über einen Mann ausüben müsse, zu dem sie so tief herabsteige. Man sprach ihr von der Genugthuung, daß wieder eine Morynska auf den ihren Vorfahren entrissenen Gütern gebieten solle, von der Nothwendigkeit, aus dem gefürchteten Gegner ein gefügiges Werkzeug der eigenen Pläne zu machen. Man forderte von ihr, daß sie Wilicza und die riesigen Mittel, über welche sein Herr gebot, den Interessen ihrer Partei erhalte – und was dem Zwange verweigert worden war, das erreichte die Ueberredung. Die Rolle einer armen, abhängigen Verwandten war keineswegs nach dem Geschmacke der jungen Gräfin; sie war glühend ehrgeizig, Herzensneigungen und Herzensbedürfnisse kannte sie nicht, und die flüchtig auflodernde Leidenschaft, die Nordeck bei ihrem Anblicke verrieth, ließ auch sie glauben, daß ihre Herrschaft über ihn unbegrenzt sein werde. So gab sie denn endlich nach, und die Vermählung fand statt.

Aber die Pläne, die Berechnung und Eigennutz von beiden Seiten gesponnen, sollten sämmtlich scheitern. Man hatte sich getäuscht in diesem Manne, der, anstatt sich dem Willen seiner jungen Frau zu beugen, nun seinerseits den Herrn und Gebieter herauskehrte, der sich jedem Einflusse, jeder Erhebung unzugänglich zeigte und dessen flüchtige Neigung für die Gattin sich bald genug in Haß verwandelte, als er entdeckte, daß sie ihn und sein Vermögen nur den Interessen ihrer Familie dienstbar machen wollte. Die Geburt eines Sohnes änderte nichts in diesem Verhältnisse. Die Kluft zwischen den Gatten schien im Gegentheile nur noch tiefer zu werden. Nordeck’s Charakter war freilich nicht danach, einer Frau Achtung einzuflößen, diese Frau aber ließ ihn ihre Verachtung in einer Weise fühlen, die jeden Mann auf’s Aeußerste gebracht hätte. Es kam zu furchtbaren Scenen, und nach einer derselben verließ die junge Herrin Wilicza’s das Schloß und floh in den Schutz ihres Bruders.

Der kleine Waldemar, der damals kaum das erste Lebensjahr zurückgelegt hatte, war bei dem Vater zurückgeblieben. Nordeck, wüthend über die Flucht seiner Gemahlin, forderte gebieterisch deren Rückkehr. Bronislaw that, was er konnte, die Schwester zu schützen, und es wäre zwischen ihm und seinem Schwager vielleicht zum Schlimmsten gekommen – da löste unerwartet der Tod die kurze und doch so unglückliche Ehe. Ein Sturz mit dem Pferde auf der Jagd, die er mit wildester Leidenschaft trieb, machte dem Leben Nordeck’s ein Ende, aber auf seinem Sterbebette hatte er noch Kraft und Besinnung genug, ein Testament zu dictiren, das seine Gemahlin um jeden Antheil sowohl an dem Vermögen wie an der Erziehung des Kindes ausschloß. Ihre Flucht aus seinem Hause gab ihm das Recht dazu, und er gebrauchte es schonungslos. Waldemar wurde der Vormundschaft eines ehemaligen Jugendfreundes und entfernten Verwandten übergeben und dieser mit der unbeschränktesten Vollmacht ausgestattet. Die Wittwe versuchte es zwar, dagegen aufzutreten, aber der neue Vormund bethätigte seine Freundschaft für den Verstorbenen dadurch, daß er die Bestimmungen des Testamentes in rücksichtslosester Weise zur Ausführung brachte und jeden Anspruch zurückwies. Witold war schon damals Besitzer von Altenhof und dachte nicht daran, in Wilicza zu bleiben oder sein Mündel dort zu lassen; er nahm den Knaben mit sich in seine Heimath. War es doch eine der letzten Weisungen Nordeck’s gewesen, seinen Sohn gänzlich dem Einfluß der Mutter und der mütterlichen Verwandten zu entziehen, und diese Weisung wurde so streng befolgt, daß der junge Erbe während der ganzen Zeit bis zu seiner Mündigkeit kaum einige Mal in Begleitung des Vormundes nach seinen Gütern kam; er verlebte seine ganze Jugend in Altenhof. Was die riesigen Einkünfte von Wilicza betraf, von denen man vorläufig noch keinen Gebrauch machen konnte, so wurden sie dem Vermögen zugeschlagen, und so sah sich denn Waldemar Nordeck beim Antritt seiner Mündigkeit im Besitz eines Reichthums, mit dem sich in der That nur Wenige messen konnten.

Die Mutter des künftigen Herrn von Wilicza lebte anfänglich im Hause ihres Bruders, der sich inzwischen auch vermählt hatte, aber sie blieb nicht lange dort. Einer der vertrautesten Freunde des Grafen, Fürst Baratowski, verliebte sich leidenschaftlich in die junge, schöne und geistreiche Frau, die ihm denn auch nach Jahresfrist die Hand reichte, und diese zweite Ehe war eine durchaus glückliche. Zwar behauptete man, der Fürst, eine ritterliche, aber nicht besonders energische Natur, beuge sich vollständig dem Scepter seiner Gemahlin, jedenfalls aber liebte er sie und den Sohn, den sie ihm schenkte, auf’s Zärtlichste.

Doch das Glück dieser Verbindung sollte nicht lange ungetrübt bleiben; diesmal freilich kamen die Stürme von außen. Leo war noch ein Kind, da brach das Revolutionsjahr herein, das halb Europa in Flammen setzte. Auch in der polnischen Provinz loderte der so oft schon unterdrückte Aufstand mit neuer Gewalt empor. Morynski und Baratowski waren echte Söhne ihres Landes; sie warfen sich voll glühender Begeisterung in die Revolution, von der sie Rettung des Vaterlandes und Wiederherstellung seiner Größe hofften. Der Aufstand endigte, wie so viele früheren – er ward gewaltsam unterdrückt, und diesmal ging man mit voller Strenge gegen die polnischen Landestheile vor. Fürst Baratowski und sein Schwager flüchteten nach Frankreich, wohin ihnen ihre Frauen mit den Kindern folgten. Die Gräfin Morynska, eine zarte kränkliche Frau, ertrug nicht lange den Aufenthalt in der Fremde; sie starb schon im folgenden Jahre und Bronislaw übergab sein Kind den Händen der Schwester. Ihn selbst litt es nicht länger in Paris, wo ihn alles an den Verlust der leidenschaftlich geliebten Gattin erinnerte. Er lebte unstät bald hier bald dort, und kam nur bisweilen, um seine Tochter zu sehen. Endlich ermöglichte ihm eine Amnestie die Rückkehr in die Heimath, wo ihm inzwischen durch den Tod eines Verwandten das Gut Rakowicz zugefallen war, und er ließ sich auf dem neuen Besitzthume nieder. Anders stand die Sache mit dem Fürsten Baratowski, der von der Amnestie ausgeschlossen blieb. Er war einer der Führer des Aufstandes gewesen und hatte mit an der Spitze der Bewegung gestanden; an seine Rückkehr war nicht zu denken, und Gemahlin und Sohn theilten mit ihm die Verbannung, bis sein Tod auch ihnen die Freiheit zurückgab, ihren Aufenthaltsort zu wählen.

(Fortsetzung folgt.)




Eine „Heldin der Feder“.


Zu den erfreulichsten Errungenschaften dieses Jahrhunderts der Emancipation gehört ohne Frage die freiere Stellungnahme der deutschen Frauen zur Literatur; denn trotz vielfach laut gewordener Stimmen, welche den schriftstellernden Evastöchern den Krieg erklären, dürfte der Satz schwer zu widerlegen sein, daß es gewisse Gebiete der literarischen Production giebt, auf deren Mitbesitz die Frauen ein unbestreitbares Recht erheben dürfen. Wo immer in der Literatur es sich darum handelt, die Welt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_464.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)