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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 28.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     


Vineta.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


„Um nun aber wieder auf den Anfang unseres Gespräches zurückzukommen –“ sagte er zögernd. „Sie geben es ja selbst zu, daß mein Zögling mir völlig entwachsen ist, und es dürfte somit wohl die höchste Zeit sein, ihn auf die Universität zu senden.“

Herr Witold fuhr mit einem Rucke in die Höhe, daß der Erzieher den eben gethanen Schritt zur Annäherung schleunigst wieder zurückthat.

„Dachte ich es doch, daß wieder so etwas herauskommen würde! Seit vier Wochen höre ich nichts Anderes von Ihnen. Was soll Waldemar auf der Universität? Sich von den Professoren den Kopf noch mehr mit Gelehrsamkeit vollpfropfen lassen? Ich dächte, das hätten Sie schon hinlänglich besorgt. Was ein tüchtiger Gutsherr braucht, hat er gelernt. Er weiß auf Hof und Feldern genau so gut Bescheid, wie mein Inspector; die Leute versteht er besser in Respect zu halten als ich, und im Reiten und auf der Jagd thut es ihm Keiner zuvor. ’s ist ein Prachtjunge.“

Der Erzieher schien diese enthusiastische Ansicht über seinen Zögling durchaus nicht zu theilen. Er wagte das nun freilich nicht laut werden zu lassen, aber er raffte seinen ganzen, offenbar nicht großen Vorrath von Muth zu einer schüchternen Gegenrede zusammen.

„Aber für den Erben von Wilicza dürfte doch am Ende mehr nothwendig sein, als nur die Eigenschaften eines guten Inspectors oder Administrators. Mir scheint, eine höhere akademische Bildung dringend wünschenswerth.“

„Mir ganz und gar nicht,“ rief Herr Witold. „Ist es nicht genug, daß ich den Jungen, der mir an’s Herz gewachsen ist, doch später von mir lassen muß, weil seine Güter gerade in dem verwünschten Polakenlande liegen? Soll ich mich jetzt schon von ihm trennen, um ihn auf die Universität zu schicken, wohin er durchaus nicht will? Daraus wird nichts – absolut nicht! Er bleibt hier, bis er nach Wilicza geht.“

Er that einige so grimmige Züge aus seiner Pfeife, daß sein Gesicht für mehrere Minuten gänzlich hinter den Tabakswolken verschwand. Der Erzieher stieß einen Seufzer aus und schwieg, aber gerade diese stille Resignation schien den tyrannischen Gutsherrn zu rühren.

„Geben Sie sich nur zufrieden, Doctor, mit der Universität!“ sagte er in ganz verändertem Tone. „Dazu bringen Sie den Waldemar doch nun und nimmermehr, und für Sie ist es auch viel besser, Sie bleiben hier in Altenhof. Hier sitzen Sie so recht mitten unter Ihren Hünengräbern und Runensteinen und wie das Zeug alles heißt, an dem Sie den ganzen Tag herumstudiren. Ich begreife freilich nicht, was Sie an dem alten Heidengerümpel Merkwürdiges finden, aber eine Freude muß der Mensch haben, und Ihnen gönne ich sie von Herzen, denn Waldemar macht Ihnen oft genug das Leben schwer – und ich dazu.“

Der Doctor machte eine verlegen abwehrende Bewegung. „O, Herr Witold!“

„Geniren Sie sich nicht!“ sagte dieser gutmüthig. „Ich weiß ja doch, daß Sie im Grunde unser Leben hier für eine ganz heillose Wirthschaft halten, und uns längst davon gelaufen wären, wie Ihre sechs Vorgänger, wenn nicht das alte Heidengerümpel wäre, an dem nun einmal Ihr ganzes Herz hängt, und von dem Sie sich nicht trennen können. Nun, Sie wissen ja, ich bin nicht so schlimm, wenn ich auch hin und wieder einmal auffahre, und da Sie mit Ihren Gedanken doch fortwährend in der Heidenzeit herumstöbern, müßte Ihnen eigentlich bei uns am wohlsten sein. Wie ich mir habe sagen lassen, hatten die Leute damals gar keine Manieren; sie schlugen sich oft aus reiner Freundschaft unter einander todt.“

Dem Doctor schienen die historischen Kenntnisse, die der Gutsherr entwickelte, doch wohl etwas bedenklicher Natur; vielleicht fürchtete er auch eine praktische Anwendung derselben auf seine eigene Person, denn er retirirte unmerklich nach dem Sopha.

„Verzeihen Sie, die alten Germanen –“

„Waren nicht wie Sie, Doctor,“ rief der Gutsherr, dem das Manöver nicht entgangen war, überlaut lachend. „So viel weiß ich auch noch. Ich glaube, von uns Allen kommt ihnen Waldemar am nächsten, also begreife ich gar nicht, was Sie eigentlich an ihm auszusetzen haben.“

„Aber, Herr Witold, im neunzehnten Jahrhundert – weiter kam der Doctor nicht in seiner Auseinandersetzung, denn in diesem Augenblicke krachte ein Schuß, der unmittelbar vor dem offenen Fenster abgefeuert wurde. Die Kugel pfiff durch das Zimmer, und das große Hirschgeweih, das über dem Schreibpulte hing, stürzte polternd herab.

Der Gutsherr sprang von seinem Sitze auf. „Waldemar! Was soll das heißen? Schießt uns der Junge jetzt etwa gar noch in die Stube hinein? Wart’, das Handwerk werde ich Dir legen.“

Er wollte hinauseilen, wurde aber durch den Eintritt eines

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 461. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_461.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)