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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Etwas bleich war dieses Gesicht, dessen Wangen nur ein leiser Schimmer von Röthe färbte, aber die Blässe hatte nichts Krankhaftes, und beeinträchtigte nicht im Mindesten den Eindruck vollster Jugendfrische. Das reiche tiefschwarze Haar ließ die Weiße der Hautfarbe noch mehr hervortreten, und unter langen schwarzen Wimpern bargen sich dunkle, feuchtschimmernde Augen. Wanda versprach in der That, dereinst schön zu werden, für den Augenblick war sie es freilich noch nicht, dafür besaß sie aber jenen eigenthümlichen Reiz, der manchen Mädchengestalten gerade dann eigen ist, wenn sie auf der Grenze zwischen Kind und Jungfrau stehen. Es war eine reizende Mischung von dem Muthwillen und der Unbefangenheit des Kindes mit dem Ernste der jungen Dame, die sich bei jeder Gelegenheit ihrer sechszehn Jahre erinnert, und der Schmelz der ersten Jugend, der erst halberschlossenen Knospe, der wie ein duftiger Hauch auf der ganzen Erscheinung ruhte, machte sie doppelt anziehend.

Die erste Aufregung des Wiedersehens war vorüber und das Gespräch lenkte nun in ruhigere Bahnen. Graf Morynski hatte seine Tochter neben sich auf einen Sessel niedergezogen und machte ihr scherzend Vorwürfe über ihre verspätete Rückkehr.

„Ich wußte ja nichts von Deiner Ankunft, Papa,“ vertheidigte sich Wanda. „Und dann hatte ich auch ein Abenteuer im Walde –“

„Im Walde?“ unterbrach sie die Fürstin. „Warst Du denn nicht mit Leo auf dem Meere?“

„Nur auf der Rückfahrt, liebe Tante. Wir wollten, wie verabredet, nach dem Buchenholm segeln; Leo meinte, der Weg zur See dorthin sei weit näher als der Fußpfad durch den Wald. Ich behauptete das Gegentheil; wir stritten eine Weile darüber und beschlossen endlich, uns gegenseitig den Beweis zu liefern. Leo segelte allein ab, und ich schlug den Waldweg ein.“

„Auf dem Du denn auch richtig den Buchenholm erreichtest, als ich bereits eine halbe Stunde dort war,“ triumphirte Leo.

„Ich hatte mich verirrt,“ erklärte die junge Dame mit großer Bestimmtheit. „Und ich wäre vielleicht noch im Walde, wenn man mich nicht zurecht gewiesen hätte.“

„Wer wies Dich zurecht?“ fragte der Graf.

Wanda lachte muthwillig. „Ein Waldgeist! Eins von den alten Hünengespenstern, die zu Zeiten hier umgehen sollen! Aber Du darfst mich jetzt nicht mehr fragen, Papa. Leo brennt vor Begierde, es zu erfahren; er hat mich während der ganzen Rückfahrt mit seinen Fragen gequält, und deshalb erfährt er auch nicht eine Silbe davon.“

„Erfindung!“ rief Leo lachend. „Ein Vorwand, um Deine verspätete Ankunft zu erklären. Du würdest eher ein ganzes Märchen erfinden, als zugeben, daß ich diesmal Recht hatte.“

Wanda war im Begriff, die Neckerei zurückzugeben, als die Fürstin sich einmischte. „Vorwand oder nicht!“ sagte sie scharf. „Jedenfalls war dieser einsame und eigenmächtige Spaziergang im höchsten Grade unpassend. Ich hatte Dir die Erlaubniß gegeben, in Leo’s Begleitung eine kurze Meerfahrt zu machen, und ich begreife nicht, wie er Dich stundenlang im Walde allein lassen konnte.“

„Wanda wollte es durchaus,“ entschuldigte sich Leo. „Sie wünschte unseren Streit hinsichtlich des Weges entschieden zu sehen.“

„Jawohl, liebe Tante, ich wollte es,“ die junge Dame legte einen so entschiedenen Nachdruck auf das Wort, wie sie es schwerlich gewagt haben würde, ohne die schützende Nähe des Vaters, „und da wußte Leo sehr gut, daß es ganz vergeblich gewesen wäre, mich zurück zu halten.“

Die Miene der Fürstin zeigte deutlich, daß sie es wieder einmal für nöthig hielt, dem Eigenwillen ihrer Nichte mit vollster Strenge entgegenzutreten. Sie war im Begriff, eine sehr ernste Rüge auszusprechen, als ihr Bruder ihr zuvorkam.

„Du erlaubst wohl, daß ich Wanda mit mir nehme?“ sagte er, rasch einfallend. „Ich fühle mich doch etwas ermüdet von der Reise und möchte mich auf mein Zimmer zurückziehen. Auf Wiedersehen also!“ Damit stand er auf, nahm den Arm seiner Tochter und verließ mit ihr das Zimmer.

„Der Onkel scheint ganz und gar hingerissen zu sein von Wanda’s Anblick,“ bemerkte Leo, als die Beiden verschwunden waren. Die Fürstin sah ihnen schweigend nach. „Er wird sie verziehen,“ sagte sie endlich halblaut. „Er wird sie mit derselben blinden Vergötterung umfassen, wie einst ihre Mutter, und Wanda wird bald genug ihre Macht kennen und brauchen lernen. Das war es, was ich fürchtete bei dieser Rückkehr zum Vater. Schon die erste Stunde zeigt, daß ich Recht hatte. – Was ist das mit diesem Abenteuer im Walde, Leo?“

Der Gefragte zuckte die Achseln. „Ich weiß es nicht. Vermuthlich wieder eine von Wanda’s Neckereien. Sie machte mich zuerst mit allerlei Andeutungen neugierig, um mir dann hartnäckig jede Auskunft zu verweigern und sich an meinem Aerger zu ergötzen. Du kennst ja ihre Art.“

„Jawohl, ich kenne sie.“ Auf der Stirn der Fürstin lag eine leichte Falte. „Wanda liebt es nun einmal, mit Allen zu spielen, Alle, die in ihre Nähe kommen, ihren Muthwillen fühlen zu lassen. Du solltest ihr das nicht so leicht machen, Leo, wenigstens so weit es Dich betrifft.“

Der junge Fürst erröthete bis an die Stirn. „Ich, Mama? Ich bin ja oft genug im Streit mit Wanda.“

„Und läßt Dich trotzdem am Gängelband ihrer Launen leiten, wie und wohin es ihr beliebt. Laß’ das gut sein, mein Sohn! Ich weiß, wer bei Euren Streitigkeiten schließlich triumphirt – doch das sind für jetzt noch Kindereien. Ich wollte etwas Ernstes mit Dir besprechen; schließe die Balconthür und komme hierher an meine Seite!“

Leo gehorchte, sein Gesicht verrieth, daß er verletzt war, vielleicht weniger durch die eben empfangene Zurechtweisung als durch den Ausdruck „Kindereien“.

Die Fürstin nahm jedoch nicht die geringste Notiz von seiner Stimmung.

„Du weißt,“ begann sie, „daß ich bereits einmal vermählt war, ehe ich Deinem Vater meine Hand reichte, und daß ein Sohn aus dieser ersten Ehe existirt. Du weißt auch, daß er in Deutschland erzogen wurde, hast ihn aber bisher noch niemals gesehen. Das wird jetzt geschehen. Du wirst ihn kennen lernen.“

Leo fuhr mit dem Ausdruck der lebhaftesten Ueberraschung empor. „Meinen Bruder Waldemar?“

„Waldemar Nordeck, ja!“ Der Nachdruck, den die Fürstin auf den Namen legte, enthielt einen vielleicht unbeabsichtigten, aber ganz entschiedenen Protest gegen jede Zusammengehörigkeit dieses Nordeck mit einem Baratowski. „Er lebt hier in der Nähe auf dem Gute seines Vormundes. Ich habe ihn von unserem Hiersein Nachricht gegeben und erwarte ihn in diesen Tagen.“

Leo’s früherer Uebermuth war verflogen. Der Gegenstand des Gespräches interessirte ihn augenscheinlich auf’s Höchste.

„Mama,“ sagte er zögernd, „darf ich nicht endlich Näheres über diese düsteren Familiengeschichten erfahren? Ich weiß nur, daß Deine erste Ehe eine unglückliche war, daß Du mit Waldemar’s Verwandten und seinem Vormunde gänzlich zerfallen bist, und auch das weiß ich nur aus den Andeutungen des Onkels und der alten Diener unseres Hauses. An Dich und den Vater habe ich nie eine Frage über diesen Punkt gewagt. Ich sah, daß sie ihn verletzte und Dich erzürnte. Ihr schient Beide jede Erinnerung daran verbannen zu wollen.“

In dem Antlitze der Fürstin lag ein seltsamer Ausdruck von Härte, und dieselbe Härte klang auch in ihrer Stimme, als sie erwiderte:

„Gewiß! Demüthigung und Erniedrigung deckt man am besten mit Vergessenheit, und an beiden ist jene unselige Verbindung überreich gewesen. Frage mich jetzt nicht danach, Leo! Du kennst die Ereignisse – laß’ Dir daran genügen! Ich kann und will Dich nicht Schritt für Schritt in ein Familiendrama einführen, an das ich noch jetzt nicht denken kann, ohne daß der Haß gegen einen Todten sich in mir regt. Ich dachte diese drei Jahre gänzlich aus meinem Leben zu streichen und ahnte nicht, daß ich dereinst selbst gezwungen sein werde, sie wieder hervorzurufen.“

„Und wer zwingt Dich dazu?“ fragte Leo rasch. „Doch nicht etwa unsere Rückkehr? Wir gehen jedenfalls nach Rakowicz zum Onkel.“

„Nein, mein Sohn, wir gehen nach Wilicza.“

„Wilicza?“ wiederholte Leo befremdet. „Das ist ja – Waldemar’s Herrschaft.“

„Es wäre mein Wittwensitz gewesen, ohne jenes Testament, das mich verstieß,“ sagte die Fürstin schneidend. „Jetzt ist es

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_443.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)