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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Sallen, das einem seiner Freunde gehörte. Von hier aus wandte er sich mit der Bitte um Aufnahme an die Prinzessin Katharina, eine Schwester Heinrich’s des Vierten von Frankreich, die in Bearn residirte und sich damals in Pau befand. Obgleich es seine Absicht war, die Antwort der Prinzessin in Sallen abzuwarten, sah er sich doch durch die ihm zugegangene Nachricht, daß ihn die Inquisition sowie königliche Schergen verfolgten, genöthigt, in der Kleidung eines Hirten zu entfliehen. Das Glück begünstigte ihn dabei; er langte glücklich in Pau an und wurde von der Prinzessin gütig aufgenommen.

Daß Perez jetzt zu den erbittertsten Feinden des Königs zählte, kann nicht überraschen, ebensowenig, daß er sich bemühte, die Prinzessin zu bestimmen, den Arragonesen, die sich erhoben hatten und denen sich Valencia, Catalonien und die Morisken anschließen wollten, mit einem Heer zu Hülfe zu kommen. Die Prinzessin sicherte ihm auch zwanzigtausend Mann für den Fall des Aufstandes zu; dieser jedoch scheiterte; die königliche Macht siegte, so daß die Prinzessin sogar das Einrücken spanischer Truppen in Pau fürchtete und ihr Versprechen in der Besorgniß zurückzog, es könnte ein allgemeiner Krieg herbeigeführt werden.

Die letzte Lebenszeit und das Ende des Perez, dieses unglücklichen Opfers der Rachsucht des Königs Philipp, war eine sehr traurige. Perez blieb in Bearn, stets auf Rache gegen Philipp sinnend, und ging dann an den französischen Hof, ohne jedoch durch diesen seine Begnadigung zu erlangen. Philipp gestattete ihm nur, seine Titel zu führen und sich an dem französischen Hofe aufzuhalten, auch gewährte er ihm eine Pension. Trotz alledem behielt Philipp Perez’ Familie noch immer in der Gefangenschaft, obwohl dieselbe schon viele Jahre währte. Erst des Königs Tod gab ihr die Freiheit wieder.

Auch Philipp’s Nachfolger auf dem Thron gewährte Perez die Rückkehr nach Spanien nicht; ebenso blieben weitere Bemühungen fruchtlos, und der einst so viel bewunderte, geistvolle Staatsmann endete sein Leben in einem kleinen Orte in Frankreich, nachdem man ihm auch die Pension entzogen hatte. Er starb im Jahre 1611 am 3. November, einsam, hülflos und von seinen Freunden verlassen. Und alle diese Leiden gingen ursprünglich aus der Rachsucht Philipp’s hervor, der Perez niemals den gegen ihn mit der Fürstin Eboli geübten Treubruch vergeben konnte.

Auch die Fürstin ward von des Königs Rache hart getroffen; denn fast ein und ein halbes Jahr hielt man sie in der Festung Pinto gefangen, ehe der König ihr die Freiheit wieder gab und die Rückkehr nach Madrid gestattete. Eine Aussöhnung zwischen Beiden hat nicht stattgefunden. Der König vermied es, der Fürstin zu begegnen; sie durfte fortan nicht mehr am Hofe erscheinen. Doch duldete er ihren Aufenthalt in Madrid, wo sie bis zu ihrem im Jahre 1592 erfolgten Tode ohne Anfechtung von Seiten des Königs in strenger Zurückgezogenheit lebte.

Julius Bacher.




Das linguistische Ei des Columbus.


Man hört oft davon reden, daß Jemand wohl diese oder jene fremde Sprache verstehe, sie aber trotz des besten Verständnisses nicht sprechen könne. Wie mißlich eine solche Lage ist, erfährt man erst im Auslande, zumal wenn man sich dort heimisch einrichten will, und wie schwer es ist, den Lautcharakter einer fremden Sprache zu bewältigen, geht daraus hervor, daß es Tausende giebt, die Jahrzehnte hindurch sich im Auslande bewegt haben und dennoch nur den Mund aufzuthun brauchen, um sofort als Fremde erkannt und demgemäß leider nicht immer vorurtheilslos behandelt zu werden. Unter den Flüchtlingen, welche ein zu fernsichtiger, in manchen Fällen vielleicht zu kurzsichtiger Eifer Ende der vierziger Jahre über das Meer vertrieb, nach Albions oder Amerikas Gestaden, waren nicht wenige, die mit der Sprache ihres neuen Vaterlandes vollständig vertraut zu sein glaubten und sich nachträglich auf das Grausamste enttäuscht sahen, als ihr auf Schulen, durch Privatfleiß und Lectüre erworbenes Englisch drüben nicht verstanden wurde. Auch mein Vater befand sich in dieser Lage, und es brachte ihn manchmal fast zur Verzweiflung, wenn er noch nach langjährigem Aufenthalte im volkreichen London selbst von dem sonst so höflichen City-Policeman nicht einmal einen einfachen Straßennamen wie Church-Street oder George-Street erfragen, noch vom Gärtner nebenan die gewöhnlichste Blume erhalten konnte. Oft genug bekam er nach längerem Zuhören, kopfschüttelnd gegeben, die Antwort: „Sir, I dont speak German. (Mein Herr, ich spreche nicht deutsch.)“ Ja, je langsamer er sprach, je mehr er sich quälte und mit seinem dicken Stocke aufstieß, um so weniger wollte es gehen.

Als ich während des Krimkrieges ebenfalls nach England kam, wurde ich ohne Umstände in die Parforceanstalt einer englischen Privatschule geschickt, wo ich, wegen meiner Ausländerschaft viel angefeindet, alsbald im Boxen eine gewisse Routine erlangte, mit der Sprache aber ging es auch bei mir sehr schwer von Statten, obwohl ich als Stettiner Junge Verständniß für das Plattdeutsche besaß, welches dem Englischen im Lautcharakter viel näher steht als das binnenländische Hochdeutsch meines Vaters. Der häusliche Verkehr vollzog sich in dem liebenswürdigen hallenser Idiom; meine Gedanken und Träume folgten der deutschen Syntax, und so kam es dahin, daß, obwohl ich für englische Essays einen mühselig errungenen Preis erhielt, doch mein mündlicher Vortrag nach wie vor Gegenstand der Erheiterung blieb.

Die ganz irrige Ansicht, daß der Engländer anders spreche, als er schreibt, fleischte sich bei mir ein, und wenn ich am väterlichen Heerde mein Herz in Klagen hierüber ausschüttete, so wurde ich zwar belehrt, daß die englischen Lautzeichen andere Werthe hätten als die deutschen, aber worin, abgesehen vom Oberflächlichen, der durchgehende Unterschied bestehe, das blieb uns ein stets dunkler werdendes Geheimniß. Wenn wir über das Wesen auch nur des einfachsten englischen Buchstabens uns verständigen wollten, geriethen wir hoffnungslos auseinander. Das Th erklärte mein Vater für einen F-artigen Laut, ich für ein verschrobenes Z. Und so irrlichterirten wir auf dürrer Haide, auf der kein Wörtchen von wahrem Englisch wuchs. Mit uns theilten dieses Loos Tausende unserer Landsleute, wie Hans Breitmann, der deutsche „Philosopedist“ in Philadelphia, dessen verdrehtes Englisch ich als weltberühmt geworden bezeichnen muß.[WS 1]

Des Räthsels Lösung kam mir unerwartet, als ich mich längst wieder auf deutschem Boden befand und an der Saale kühlem Strande den akademischen Honig sog; es kam mir durch einen deutschen Mimen, der, obwohl er kein Wort Englisch verstand, es dennoch richtiger sprach als ich, der preisgekrönte englische Essayist.

Dieser Mime nämlich, ein oberflächlicher und deshalb um so besserer Copist, erschien mir als rettender Engel in der Rolle des Gibbon, in welcher er zur besonderen Bequemlichkeit eines geehrten Publici sich vornimmt, nur deutsch zu sprechen, dies aber auf englische Weise thun muß, wie solche durch Ueberlieferung beim Völkchen der Schauspieler fest steht. Und seine Weise war denn auch in der That so sehr englisch, daß kein Mensch ein Wort seines Deutsch verstand, aber aus dem Lachen nicht herauskam. Die Lösung lag nun auf der Hand. Wir hatten es in London ebenso gemacht, nur umgekehrt. Mit größter Virtuosität hatten wir drüben Englisch auf deutsche Weise gesprochen und mit dem nämlichen Erfolg.

Die Sache scheint komisch, und doch ist es wahr, daß man sich nur durch einen Aufwand von Schauspielerei, oder treffender von Mimik aus der Lage eines mißverstandenen Ausländers herausreißen kann. Wie Demosthenes erst von dem Komödianten Satyrus einigermaßen reden lernte, wie selbst ein Cicero es nicht verschmähte, von dem Tragöden Aesopus und dem Komiker Roscius das sich anzueignen, was seiner gelehrten akademischen Redeweise fehlte, um ihn unbefangen vor der Volksmasse erscheinen zu lassen, so sollte man auch ein wenig mimischer Bemühung nicht scheuen, wo es sich um einen so tiefgreifenden Zweck handelt, wie der ist, der Rede ihren Charakter, der fremden Sprache ihr Lebenselement zu geben, ja, überhaupt verständlich zu werden.

Die Rede ist nach Kant eine Ausgleichung zwischen den

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Hans Breitmann ist eine von Charles Godfrey Leland erfundene fiktive Person.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_438.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2019)