Seite:Die Gartenlaube (1876) 417.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

zurück; oft weichen beide einander aus, zuweilen aber giebt es auch erbitterte Kämpfe, die mit der Flucht des einen oder selbst damit enden, daß der Stärkere den Schwächeren ergreift und ihn aus der Schale, die er bewohnt, herausreißt.

Papa Hesse in Brest, ein pensionirter Zollbeamter, der seine Mußestunden dem Studium der Meerthiere seiner Umgebung gewidmet hat, berichtet Wunderdinge über diese Kämpfe der Eremiten unter einander, über die Grausamkeit, mit welcher sie sich gegenseitig, besonders bei Nacht, aus den Schneckenschalen herauszureißen suchen. Es ist noch eine Streitfrage unter den Naturforschern, ob die Eremitenkrebse leere Schalen aufsuchen, deren Inhaber gestorben ist, oder ob sie den rechtmäßigen Besitzer noch beim Leben überfallen und fressen, um sich in seine Wohnung einzunisten. Denn eine Wohnung müssen sie haben, um den weichen, wurstförmigen Hinterleib darin zu bergen, der an dem gepanzerten, harten Vorderkörper fest sitzt. Es ist offenbar das Resultat einer langen, durch vielfache Generationsfolgen fortgesetzten Anpassung, daß dieser weiche Hinterleib, außer den fadenförmigen Eiträgern der Weibchen, auch noch einige umgewandelte Bauchfüße besitzt, womit sich der Krebs in der Schale festhält, und daß obenein der Hinterleib gekrümmt und unsymmetrisch ist, wie die Schneckenschale selbst. Papa Hesse hat beobachtet, wie ein Eremitenkrebs, der sein Gehäus verloren hatte, auf dasjenige eines anderen kletterte und, den günstigen Augenblick abpassend, seinen Hinterleib über den Körper des andern in die Oeffnung der Schale schob und so lange drängte und drückte, bis er den Vetter aus seiner Behausung hinausgeschoben hatte, mit der er dann triumphirend davon eilte, während der Exmittirte, offenbar in trübselige Gedanken versunken, auf dem Boden des Aquariums herumhumpelte und nach einer leer stehenden Wohnung suchte.

Pagurus und Adamsia.

a. Meereicheln (Balanus). b. Das Schneckengehäuse. c. Fußlappen der Adamsia. d. Der Einsiedlerkrebs.
e. Mund der Adamsia, e1 geöffnet mit den entwickelten Fühlfäden, e2 geschlossen. f. Die Oeffnung der Schneckenschale.

Doch genug davon! Wenn ich diese Thatsachen anführte, so geschah es nur, um zu zeigen, daß die Eremiten durchaus nicht friedfertige, harmlose Gesellen sind, sondern Händelsucher und Ränkeschmiede, die einander grimmig befehden. Nichts desto weniger sind die Schneckengehäuse, in welchen sie wohnen und die sie beständig mit sich herumschleppen, meist dicht besetzt mit allerlei kleinem Gethier – zierlichen Polypen, niedlichen Moosthieren (Bryozoen), kleinen Meereicheln (Balanus), Schwämmen, die sich wahrscheinlich deshalb mit Vorliebe darauf ansiedeln, weil die beständige Unruhe der Eremiten, das Hin- und Herlaufen derselben lebhaftere Erneuerung des umspülenden Wassers und demnach größere Leichtigkeit der Ernährung und Athmung bedingt. Der Eremit kümmert sich aber wenig um diese Gäste, die auf seiner Behausung wachsen und gedeihen, etwa wie die Fettpflanzen auf dem Schindeldache der Sennhütte – er schleppt sie mit sich herum, ohne ihrer zu achten. Er ist sogar sehr nachsichtig gegen dieselben; es giebt eine Art gelber Schwämme, die zur Größe einer Faust heranwachsen und die Schneckenschale dergestalt umziehen, daß nur ein höchst kleines Loch für den Eremiten bleibt, von dem man kaum begreift, wie er die Last schleppen kann, die ihm so aufgebürdet wird – doch scheint er ganz zufrieden und niemals sieht man Beschädigungen, die er etwa dem Schwamme zugefügt haben könnte. So wenigstens bei denjenigen Eremitenkrebsen, welche am Strande und in geringer Tiefe leben. Aber es giebt besondere Arten, welche in Roscoff wenigstens das tiefe Wasser vorziehen und nur mit dem Schleppnetze heraufgebracht werden.

Wir haben einen Wurf gethan und kauern nun in Boote um den Haufen Sand, Trümmer und Schalen, den man aus dem Netze auf den Boden geleert hat.

„In diesem Gehäuse,“ sagt einer der jungen Leute, „sitzt ein Eremit; soll ich es nehmen?“

„Geben Sie!“

„Bitte um Erlaubniß – es ist etwas Schleimiges daran; ich will die Schale zuvor abputzen.“

„Warum nicht gar! Geben Sie das Ding mit dem Schleim her! Hier ist ein Glas.“

Der Student schüttelt den Kopf. Nach und nach fallen etwa ein Dutzend beschleimter, mit Eremiten besetzter Gehäuse in das Glas, das in den Korb gestellt und nicht weiter beachtet wird. Im Laboratorium angekommen, werden die Gläser unserem Freunde Lacaze-Duthiers, der an der Excursion nicht Theil genommen hat, vorgezeigt.

„Ah!“ ruft er, unsere beschleimten Gehäuse betrachtend, „ein schöner Fang! Lassen Sie das Glas ruhig stehen – nur bei vollkommener Ruhe entwickeln die Adamsien ihre Fühlfäden.“

„Wie,“ ruft der Student, „diese Schleimhaufen –“

„Sind eine schöne Actinie oder See-Anemone, lieber S., und wenn Sie sich Zeit gönnen wollen, so können Sie Zeuge von Freundschaftsäußerungen zwischen dem Eremiten und der Adamsia werden, die Sie gewiß nicht erwartet haben. Nehmen Sie aber gleich auch eine Lehre mit, junger Mann! Putzen Sie die aufgerafften Dinge erst ab, wenn sie stundenlang im Wasser gelegen haben. Was Ihnen im ersten Augenblicke als ein Schleimpfropf erscheint, entwickelt sich vielleicht zu einer niedlichen Nacktschnecke, einem prachtvollen Polypen oder einem seltenen Wurme. Vorsicht und Geduld lassen hundertmal mehr finden, als hastiges Gezappel.“

Man sehe sich die Figuren an! Fig. 1 und 2 stellen die Gesellschaft dar, während der Krebs umherläuft, von dem Rücken und von vorn her; in Fig. 3 sieht man die um das Schneckengehäuse zusammengezogene Adamsia, nachdem der Krebs entfernt worden ist.

Das Schneckengehäuse ist kaum noch sichtbar mit einzelnen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_417.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)