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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


der, so sehr er sich der Allgemeinheit widmet, von ihr fast gemieden wird, wenn sie ihn nicht gerade braucht. Dazu sein unsicheres Tasten innerhalb des praktischen Lebens. Der Porcellanmaler wurde Porcellanhändler. Der Porcellanhändler wurde Gastwirth und dies wahrscheinlich nur aus dem Grunde, um sein eigener bester Gast zu sein. Nebenbei ist er Feuerwehr-Major, Director eines Liebhabertheaters, Vorstandsmitglied des Gesangvereins, Präsident des Gemeinnützigen Vereins, Gründer eines Gastwirthvereins, Dichter, und Gott weiß es, was noch. Sein Geschäft geht aber den Krebsgang, und das mit der allzu gutmüthigen Frau erheirathete Vermögen wird täglich dünner. Und was das Schlimmste ist: bei dieser lodderigen, zersplitterten Lebensweise, die im Grunde genommen eine Art Müßiggang ist, befindet er sich auf dem besten Wege, in aller Gemüthlichkeit ein Trinker zu werden. Das aber hilft ihm in ein frühes Grab, denn ich weiß von seinem Arzte, daß sich bei ihm ein allerdings noch in den ersten Stadien stehendes Nierenleiden entwickelt hat und daß ihm spirituöse Getränke aller Art geradezu Gift sind. Wir sollten also nicht lachen.“

„Gewiß nicht!“

„Uebrigens bleibe ich diesem Einzelfalle gegenüber bei meinem Pessimismus. Beiläufig halte ich es für eine dankbare und gebotene Aufgabe, den Mann zu zeichnen. Es giebt wohl noch mehr Krawutschkes, und mancher ist vielleicht noch im Stande, sich zusammenzuraffen.“ –

Ich besuchte Herrn Krawutschke noch mehrere Male. Der Abschiedsbesuch ist mir unvergeßlich.

„Ich bin Zschokkeaner,“ sagte er, „Deist von reinstem Wasser. Ich kenne nur drei Dinge: Deus, Mater und Maître! Verzeihen Sie, daß ich Ihnen diese drei Dinge in zwei fremden Sprachen nenne!“ Sein selbstgefälliges Lächeln bei diesem Aufwande von Geist ist selbstverständlich. – – –

Zwei Jahre vergingen. Ich dachte nicht mehr an Herrn Krawutschke. Da erhielt ich eines Tages von meinem Freunde einen Brief. Von seinem Inhalte führe ich die folgenden Zeilen an: „Der arme Krawutschke ist vor Kurzem gestorben. Sein Leiden wurde immer bedenklicher und nahm einen außerordentlich schnellen Verlauf. Er war ganz zurückgekommen. Die verarmte Wittwe und die unmündigen Kinder sind in traurigster Lage. Seine letzten Lebenstage waren einsam. Die Herren Philister zogen sich von dem verarmten Manne zurück, ‚der immer Alles besser gewußt habe‘. Mir thut er sehr leid und Dir gewiß nicht minder. War mein Pessimismus ihm gegenüber nicht gerechtfertigt?“

Lebe wohl, armer Krawutschke! Es ist Gefahr vorhanden, daß Du nicht der Letzte Deines Stammes bleibst.

Arno Hempel.




Die Aussichten zum ewigen Frieden.
Riesengeschütze alter und neuerer Zeit: Die tolle und die faule Grete, „Palmerston’s Thorheit.“ – Krupp’sche Riesengeschütze. – Das Duell zwischen Panzer und Kanone. – Gußstahl oder Stahlbronze? – Elektrisch verbundene Geschütze. – Mit Wasser gefüllte Bomben. – Fisch-Torpedo’s und eiserne Netze zu ihrem Fange. – Uebertrumpfung des griechischen Feuers und moderne Höllenmaschinen.

Wenn wir mit prüfenden Blicken der Vorgeschichte des Menschen folgen, so sind es vor Allem seine aus Schutt und Gräbern emporgezogenen Waffen, die uns, je nachdem sie aus Knochen, Stein, Bronze oder Eisen gefertigt wurden, als Werthmesser der von ihren ehemaligen Inhabern erreichten Culturstufe dienen, und die sogenannten prähistorischen Museen bieten vorzugsweise Waffensammlungen dar. Auch heute noch, und heute vielleicht mehr als jemals vorher, hält sich stets die bestbewaffnete und damit kriegstüchtigste Macht für die civilisirteste, und fragt man, welcher Gegenstand auf den letzten gemeinsamen Culturabrechnungen der Völker in Paris und Wien mit dem allgemeinsten Respecte betrachtet worden ist, so wird man ehrlicher Weise antworten müssen: die Krupp’sche Riesenkanone. Keine Erfindung, und möge sie das Heil von Millionen verbürgen, findet bei unseren Regierungen zärtlichere Aufnahme, ehrenvollere und reichlichere Belohnung, als diejenige, welche den Sieg im Streite verheißt. Ja, und gilt nicht nach der Meinung unserer vorgeschrittensten Naturforscher der Kampf überhaupt als das vornehmste Culturelement, für das treibende Princip, durch welches sich der Mensch über das Thier erhoben und durch welches sogar unsere höchsten Güter nicht blos vertheidigt, sondern zwangsweise verbreitet zu werden pflegen: Religionen, Civilisationsbestrebungen, Humanität, Freiheit und Friede? Gewiß nicht wenige unter uns theilen die Ueberzeugung Friedrich von Hellwald’s, daß der Männerkampf auf der Erde nie aufhören wird, niemals rasten darf, weil des Krieges Ende Versumpfung und Fäulniß bedeuten würde, aber auch die Andersmeinenden, welche den Kant’schen Traum vom endlichen „ewigen Frieden“ fortträumen, welche behaupten, daß der Kampf schließlich nur noch als geistiger Wettstreit fortdauern dürfe, müssen der riesenhaften Leistungssteigerung der Kriegsmaschinen unserer Zeit, die bereits zu drei Vierteln wissenschaftliche Apparate in den Händen gelehrter Artilleristen geworden sind, mit Theilnahme zuschauen, denn einmal macht die Zerstörungsphilosophie, je mehr sie die Naturkräfte entfesselt und die Entscheidung den physischen Kräften der Kämpfer entringt, die Kriege, so lange sie doch unvermeidlich sind, kürzer, und sodann muß sich jeder in’s Titanische gesteigerte Kampf endlich selbst seine Schranken setzen. Der junge Dumas läßt in einem seiner neueren Dramen – demselben, für dessen Aufführung auf deutschen Bühnen er Elsaß-Lothringen als Entschädigung forderte – einen Waffenerfinder auftreten, der mit einer neuen Monstrewaffe die Welt im wahrsten Sinne des Wortes zu beglücken gedenkt, sofern er durch seine Erfindung die Kriege dermaßen mörderisch zu machen hoffte, daß ein allgemeiner Abscheu alle Menschen in den Schooß einer Friedensliga treiben und so dem Kriege mit seinen eigenen Waffen ein Ende gemacht werden wird.

Dieser nachdenklichen Lehre unserer Culturforscher zufolge wäre also die größte und verdienstvollste Erfindung des Mittelalters keineswegs die Buchdruckerkunst, sondern vielmehr die Erfindung des Schießpulvers, dieser merkwürdigen Mischung von Salpeter, Schwefel und Kohle, welche die königliche Wissenschaft der Chemie auch heute noch nicht von ihrem auf Schädelbergen errichteten Throne absetzen konnte. Der Grund dieser sonderbaren Thatsache liegt darin, daß sich unter all’ den zahllosen und größtentheils viel stärker wirkenden Explosionsstoffen, welche die moderne Wissenschaft entdeckte, auch nicht ein einziger befindet, der so viel Solidität, immer gleiche Wirkung und verhältnißmäßige Harmlosigkeit mit einer so weit steigerbaren Zerstörungskraft vereinigte. Nur für wenige Kriegszwecke, z. B. für die aus der Ferne bedienten Minen und Torpedos, ist das Schießpulver durch stärker wirkende Explosionsstoffe ersetzt worden.

Nicht gar lange, nachdem die Anbeter des Propheten den Ungläubigen im mittleren Europa die Wohlthat des Cultur-Pulvers mitgetheilt hatten, wurde die noch heute die Welt bewegende Frage, welche in Essen und Woolwich, in Petersburg und Wien mit gleicher Spannung erwogen wird, aufgeworfen: durch welche Mittel läßt sich die Fernwirkung des Pulvers zum höchsten Maße steigern? Wahrscheinlich bereits gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts wurde eine Donnerbüchse hergestellt, die „tolle Grete“ von Gent, deren Größenverhältnisse erst von neueren Monstregeschützen überboten worden sind. Sie ist über fünf Meter lang und 16,000 Kilogramm schwer. Die steinerne Kugel, welche sie ausspie, wog 340 Kilo bei einem Durchmesser von 64 Centimetern. Das Rohr ist aus 32 schmiedeeisernen Stäben, die durch 41 aneinandergeschweißte Eisenringe zu einem festen Cylinder vereinigt werden, zusammengesetzt.

Auch aus Bronze goß man im folgenden Jahrhundert ähnliche Riesengeschütze, die sich aber sehr wenig bewährten, wie die ihrer Schwerfälligkeit wegen sogenannte „faule Grete“ von Braunschweig, der man nachrühmt, daß sie niemals Menschenblut vergossen, und jenes Riesengeschütz, welches Muhamed der Zweite zu derselben Zeit (um 1451) in Adrianopel gießen ließ, und welches durch 60 Ochsen nach zweimonatlicher Reise glücklich vor Constantinopel ankam, aber bereits vor Einnahme der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_403.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)