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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


„Verlangen Sie von meiner geistig bescheidenen Frau nicht zu viel! Eine Verwechselung ihrerseits, weiter nichts. Ich heiße eigentlich Hermann. Der Name war mir, wenn auch echt deutsch, doch etwas gewöhnlich. Man muß einer Frau immer imponiren, auch in Kleinigkeiten. Ich änderte meinen Namen in die lateinische Form und befahl meinem Weibe, mich Armin zu nennen.“

Er seufzte leise.

„Nun?“

„Weiß der Teufel, mein sonst so braves Weib konnte den Armin durchaus nicht behalten und nennt mich obstinataliter immer Arnim. Hat mich schon oft geärgert!“

Krawutschke that einen tiefen Zug. Seine Melancholie verschwand.

„Sie glauben nicht, meine Herren, wie wohl ich mich inmitten geistreicher Leute von der Feder fühle. Wenn ich nur freier nach außen hin schaffen könnte! Aber ich werde von der agrarischen Bevölkerung des Ortes und der Umgegend so sehr überhäuft, daß ich –“

„Wie so?

Aergerlich schüttelte Krawutschke den Kopf. „Es herrscht hier die leidige Sitte, jeden Festtag oder Trauertag in der Familie dadurch publik zu machen, daß man im Localblatt ein Carmen bringt. Ich werde damit überlaufen, und das absorbirt meine ganze schriftstellerische Kraft. Heute Nacht muß ich wieder einige Stunden opfern. Ich habe einer Familie versprochen in einigen Tagen eine Xenie für einen Verstorbenen zu liefern.“

„Eine Nänie!“ verbesserte der unverbesserliche Assessor.

„Xenie oder Nänie!“ meinte überlegen Herr Krawutschke. „Das wird wohl darauf ankommen, wie ich die Form auffasse.“

Er befleckte sich ein frisches Seidel und fuhr dann fort: „Und doch lohnt es sich hin und wieder, aus der fastalischen Quelle getrunken zu haben. Vorigen Sommer erhielt ich davon einen erhebenden Beweis. Während der Belagerung von Paris ging von hier aus ein Transport mit Liebesgaben ab. Ich betheiligte mich daran und nicht nur mit leiblicher Nahrung. In einer guten Stunde hatte ich ein mark- und saftvolles Vaterlandslied im Genre Béranger’s gedichtet. Im Refrain verwendete ich mit Glück eine frühere Aeußerung des Ministers Eulenburg. Der Refrain lautete:

‚Der Eintracht Band
Umschlingt nunmehr das deutsche Land.
Durch wen? Durch Euch, Ihr Heldensöhne,
Denn Ihr siegtet elegant.‘

Dieses Gedicht ließ ich in tausend Exemplaren drucken und sendete sie zur Vertheilung an das Regiment. Ich denke natürlich nicht weiter daran. Im vorigen Sommer aber tritt ein Unterofficier zu mir in’s Zimmer und fragt:

‚Sind Sie Herr Krawutschke?‘

‚Der bin ich.‘

‚Endlich habe ich also die Ehre. Das Regiment sendet Ihnen durch mich den tiefgefühltesten Dank für Ihr herrliches, begeisterndes Gedicht. Es hat uns wahrhaft gestärkt. Sie sind ein Vaterlandssänger im besten Sinne des Wortes.‘

Er schüttelte mir die Hand mehrmals. Natürlich war er während der Dauer seines Aufenthaltes öfters mein Gast. – Sie sehen, ich bin auch eine Art Tyrtäus.“

Krawutschke schwieg selbstzufrieden.

„Der Unterofficier hatte viel Talent zum Diplomaten,“ meinte der boshafte Assessor.

Das verstand Krawutschke nicht. Tief aufathmend rief er:

„Ja, so etwas thut wohl, meine Herren. Der Dichter braucht den Erfolg, wie der dürre Acker den Regen.“

Krawutschke’s Hausehre trat mit einem verlegenen Gesichte zu uns.

„Lieber Arnim!“

„Mulier taceat in ecclesiae – was bringst Du, Frau?“

„Lieber Arnim, die russische Herrschaft muß doch nicht im ‚schwarzen Kreuz‘ wohnen. Das Mädchen hat mit den Menagen das ganze große Haus durchwandert, aber es wohnen keine Russen dort.“

„Ich irre mich nie.“

„Ne,“ rief die bequeme Dame am Zahltische. „Im ‚Kreuz‘ wohnen die Russen nicht; die wohnen im ‚Anker‘.“

„O Jungfrau, warum öffnetest Du den Zaun Deiner Zähne nicht früher!“ rief der Herr Major mit einem Gemisch von Wehmuth und Entrüstung.

„’s hat mich ja Keener jefragt.“

„Optime! So lasse die Menagen in den ‚Anker‘ tragen, liebes Weib!“

„Aber, lieber Arnim, der ist ja gute zehn Minuten entfernt, und das Essen ist schon so lange unterwegs; es muß ganz kalt sein.“

„Thut nichts. Der Jude wird verbrannt,“ parodirte Krawutschke. „Die Russen sind übrigens, ihren klimatischen Verhältnissen zu Folge, an Kälte gewöhnt. Der Golfstrom mit seiner lebensspendenden Wasserwärme dringt nicht bis an ihr unwirthliches Gestade.“

Eine Handbewegung verabschiedete die Gattin. Sie ging betrübten Herzens, und wir empfanden das tiefste Mitleid für die Angehörigen der verbündeten Nation.

„Es ist noch die Frage, ob der Genuß allzu warmer Speisen nicht der Ur-Hygieine widerspricht,“ nahm Krawutschke das Gespräch wieder auf, indem er mir seine Blume zutrank. „Ich hatte einmal in München Gelegenheit –“. Er stützte, wie nachdenkend, den Kopf in die Hand und schwieg eine Weile. Wir harrten der Dinge, die da kommen sollten. Langsam erhob Krawutschke das Haupt. Nachdenklich starrte er auf die gegenüberliegende Wand, an welcher einige Prämienbilder besserer Sorte und mehrere Gypsstatuetten berühmter Dichter und Künstler prangten. Leise begann er:

„An München knüpfen sich für mich schöne Erinnerungen, und eine meiner teuersten Erinnerungen ist Er – der große Meister.“ – Sein Finger zeigte auf die Statuette Kaulbach’s.

„Standen Sie zu dem Meister in Beziehungen?“ fragte mit teuflischer Theilnahme der Assessor.

„Allerdings. Ich besuchte öfters sein Atelier. Sie müssen wissen, meine Herren, ich bin eigentlich Maler.

„Ah! In welchem Genre? Landschafter? Historie?“

„Nichts weniger als dies,“ antwortete mit unzerstörbarem Selbstbewußtsein Herr Krawutschke. „Porcellan!“

„Wie?!“

„Ich bin Porcellanmaler.“

„Ah!“

„Ja. Also ich besuchte öfters Kaulbach’s Atelier und vertiefte mich in die göttlichen Compositionen. Eines Tages klopft mich Jemand auf die Schulter. Ich wende mich – der Genius steht vor mir. Mit durchdringendem Blicke mustert er mich. Dann fragt er: ‚Auch Künstler?‘ – ‚In Porcellan!‘ antwortete ich, mich verneigend. – ‚Ah!‘ ruft der Meister verbindlich. Mit mildem Lächeln fordert er dann ein eingehendes Urtheil über die von mir soeben betrachtete Composition. Ich lehne es ab, ein Urtheil zu geben. ‚Warum nicht?‘ – ‚Meister, wir Beide können uns gegenseitig nicht beurtheilen. Sie arbeiten in Oel, ich in Porcellan. Ich muß aus dem Dunkeln in’s Helle arbeiten. Sie arbeiten aus dem Hellen in’s Dunkle. Wo bleibt da der Maßstab der Beurtheilung?‘ – Kaulbach sah mich verständnißvoll lächelnd an. Dann führte er mich durch das Atelier an den Ausgang, drückte mir die Hand und sagte beim Abschiede: ‚Es freut mich, meine Zeit nicht an einen ganz Unwürdigen verschwendet zu haben.‘“

Mein Freund biß die Zähne aufeinander. Ich krampfte, um dem Lachreize zu widerstehen, die Hände in den Taschen. Krawutschke erhob sich und mit fürstlicher Vornehmheit bat er uns, ihn zu entlassen, „da er dort drüben Freunde am Tische habe, die seiner bedürften und die nicht ganz zu vernachlässigen ihm Pflicht sei.“

Wir gingen und ließen, vor der Thür angekommen, zunächst der zurückgehaltenen Thätigkeit unseres angeregten Zwerchfelles freien Lauf. Als dies zur Genüge geschehen war, kamen wir zu einer Würdigung meiner neuen Bekanntschaft.

„Wir sollten eigentlich nicht lachen,“ meinte ich.

„So denke auch ich,“ antwortete mein Freund. „Es ist immer traurig, einen Menschen der bis zu einem gewissen Grade begabt ist, auf Abwegen zu sehen, die ihn früher oder später in’s Verderben führen müssen. Was ist nun Herr Krawutschke mit all’ seiner unverdauten, falschen Belesenheit?

Eine zum Lachen herausfordernde Persönlichkeit, ein Mensch,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_402.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)