Seite:Die Gartenlaube (1876) 393.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 24.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Im Hause des Commerzienrathes.


Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


„Was er mit mir verhandelt hat,“ fuhr Käthe fort, „das darfst Du wissen, Wort für Wort. Er hat sich bemüht, und ich habe es ihm schwer genug gemacht, mein blindes Hoffen auf eine abermalige Besserung der Kranken zu zerstören – er hat sich bemüht, mich darauf vorzubereiten, daß“ – ihre Stimme brach, und halb verhaltene Thränen glänzten in ihren Augen – „Henriette uns verlassen wird.“

Flora trat schweigend und sichtlich verwirrt in das Fenster; bei aller Selbstvergötterung kam ihr doch vielleicht die Ahnung, daß sie diesen beiden Menschen gegenüber in allen Fällen eine klägliche, verlorene Rolle spiele. „Kind, weißt Du das nicht längst?“ sagte sie in gedämpftem Tone. „Und hast Du Dir nicht selbst gesagt, daß wir Alle für die arme Kreuzträgerin um endliche Erlösung von der Schmerzenslast bitten müssen?“ Sie trat mit lautlosen Schritten wieder an das Mädchen heran. „Und war das wirklich Wort für Wort“ der Inhalt Eurer Gespräche?“

Das Gefühl unsäglicher Verachtung stieg in Käthe auf. Sie meinte, das sei gemeine Eifersucht nicht des liebenden, sondern des eitlen Weibes, die dem Manne nachschleiche und jedes seiner Worte zu controliren suche. „Glaubst Du, Bruck habe in solchen Stunden, wo er Trost und Stütze der armen Kämpfenden sein muß, für irgend etwas Anderes Sinn und Interesse,“ antwortete sie mit ernster Zurückweisung, „noch dazu an einem Schmerzenslager, wie das da drüben, wo ihm die treueste Freundin auf Erden stirbt?“

„Ja, sie hat ihn geliebt,“ sagte Flora kalt.

Eine Flamme schlug über Käthe’s Gesicht hin – Flora weidete sich förmlich an der mädchenhaften Unbeholfenheit, mit der die junge Schwester ihr Erglühen zu verbergen suchte. „Ei ja, der Mann kann sich gratuliren zu dem Zauber, der ihn, ihm selbst unbewußt, umgiebt, der die Mädchenherzen anzieht, wie die Lichtflamme einen Mückenschwarm. Und die Welt wird lachen, wenn sie erfährt, daß, so viele Töchter Banquier Mangold hinterlassen hat, auch ebenso viele in den Lichtkreis hineingetaumelt sind, – Bleib’!“ Sie hatte in fast spielendem Tone gesprochen, bis zu dem Momente, wo Käthe sich abermals abwandte und nach der Thür eilte – jetzt kam der herrische Befehl wie ein wilder Schrei von ihren Lippen. Das junge Mädchen blieb, als wäre sie festgewurzelt, stehen, aus Furcht, daß der Aufschrei sich wiederholen und die Kranke erschrecken könne. „Auch unsere Jüngste, die schöne Müllerin, derb von Gliedern und tapfer von Gemüth, ist so schwach gewesen,“ fuhr sie, in den sarkastischen Ton zurückfallend, fort. „O, möchtest Du protestiren mit dieser trotzigen Miene, mit diesem kläglichen Versuche, stolz und beleidigt auszusehen? Nun gut – ich will Dir glauben; Du kannst Dich rein waschen, wenn Du widerrufst, was Du vorhin mit solch unvergleichlicher Emphase zu Bruck’s Verherrlichung ausgesprochen hast –“

„Nicht mit einem Jota widerrufe ich.“

„Siehst Du wohl, Du Sünderin, daß Du Deiner sträflichen Liebe mit Haut und Haar verfallen bist? Sieh’ mir in die Augen! Kannst Du Deiner verrathenen Schwester in’s Gesicht hinein ‚nein‘ sagen?“

Käthe hob den gesenkten Kopf und sah über die Schulter zurück; sie griff nach der Stirnwunde, die in Folge der Nervenaufregung zu schmerzen begann, aber das geschah mechanisch – und wenn ihr Leben der Wunde entströmt wäre, sie hätte es nicht beachtet in diesem Augenblicke, wo sich ihr ganzes Denken und Fühlen auf einen Punkt concentrirte. „Du hast kein Recht, mir eine solche Beichte abzuverlangen,“ sagte sie fest, und doch mit einer Stimme, aus der stürmisches Herzklopfen klang; „ich bin nicht verpflichtet, Dir zu antworten. Aber Du hast mich eine Sünderin genannt, Du hast von Verrath gesprochen – das sind dieselben Worte, mit denen ich mich selbst beschuldigt und gestraft haben bis ich mir klar geworden bin über die Neigung, die Du eine sträfliche nennst –“

„Ah, ein Bekenntniß in bester Form!“

Ein weiches Lächeln spielte um den blaßrothen Mund; ein verklärender Schimmer legte sich über das erblichene Gesicht, das in diesem Moment weiß erschien, wie die Binde über der Stirn. „Ja, Flora, ich bekenne, weil ich mich nicht zu schämen brauche, ich bekenne auch um Unseres verstorbenen Vaters willen; ich will die scheinbare Schuld, als griffe ich nach den heiligen Rechten einer meiner Schwestern, seinem Andenken gegenüber nicht auf meiner Seele haben. Für unsere Gefühle können wir nicht – verantwortlich sind wir nur für die Macht, die wir ihnen einräumen; das weiß ich nun, nach dem erfolglosen Kampfe mit einer räthselhaften Neigung, von der man sich plötzlich sagt, daß sie mit Einem geboren und immer dagewesen sein muß – nur schlafend. Ist es Sünde, wenn man verehrend an den Hausaltar eines Anderen tritt? Ist es Sünde, wenn man freudig zu einem stolzen Baume aufblickt, der im Garten eines Anderen steht? Ist es Sünde, wenn ich liebe, ohne zu begehren? Ich will nichts von Euch; ich werde nie Deinen und Bruck’s Weg kreuzen. Ihr sollt nie wieder von mir hören,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_393.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)