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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


sichern möchten, konnten sich selbst unmöglich den Boden unter den Füßen wegziehen, und so blieb alles beim Alten, bis endlich die schmachvolle Wirthschaft durch die jüngsten Enthüllungen in der unmittelbaren Umgebung des Präsidenten offen vor der Welt bloßgelegt worden ist. Mancherlei Vorschläge zur Abhülfe dieser traurigen Zustände sind gemacht worden. Die Radicalsten möchten die Präsidentenwürde ganz abgeschafft sehen, indem sie die beständige Gefahr des Mißbrauchs des großen Einflusses und der Macht, die mit diesem Amte verbunden ist, als hinreichenden Grund zur Aufhebung desselben ansehen. Die Gemäßigteren und wohl auch Weiseren wollen die Wiederwahl desselben Mannes zum Präsidentenamte durch einen Zusatz zur Constitution verbieten, was freilich den Intriguen des zeitweiligen Präsidenten zum Zweck einer nochmaligen Erwählung die Spitze abbrechen und die unerlaubte Benutzung der Beamten zu Wahlzwecken unnöthig machen würde. Ein dritter Vorschlag ist, die Dienstzeit sowohl eines gewählten wie eines ernannten Beamten nicht festzusetzen oder gar von politischen Parteifragen abhängig zu machen, sondern einzig und allein von dem Verhalten eines öffentlichen Dieners, von seiner Unbescholtenheit und Fähigkeit in der Führung seines Amtes, also keinen Wechsel vorzunehmen, wenn nicht ein Amtsvergehen einen solchen gebietet. Es würde dies zu gewissenhafter Amtsführung anspornen und namentlich die Ursache so vieler Veruntreuungen wegräumen, welche in dem Bewußtsein liegt, daß man schon nach einem oder zwei Jahren vielleicht einem Andern Platz machen muß und deshalb die kurze Zeit zur Selbstbereicherung bestmöglichst zu benutzen sucht. Aber auch dies kann zu keinem Erfolge führen, wenn nicht das Volk eine scharfe Controlle über seine Diener ausübt, und eine unnachsichtliche Bestrafung jedes Amtsvergehens durch die Gesetze verlangt.

Gerade hier liegt die Grundursache des ganzen Uebels. Der rechte moralische Ernst ist dem Volke verloren gegangen; das Volksgewissen ist stumpf geworden. Das Verbrechen, und namentlich das Verbrechen des Betruges, wird kaum mehr als ein solches angesehen, und den Verbrecher trifft häufig kaum die Verachtung des Volkes, geschweige denn die gebührende Strafe. Man ist in der Beziehung beinahe zum spartanischen Princip zurückgekehrt, nur den ertappten Dieb zu bestrafen, den geschickten, erfolgreichen aber zu belohnen. Der Bankerotteur, der Cassendieb, der Schwindler, der feile Beamte hat von der öffentlichen Meinung nur wenig zu fürchten, wenn er sich nur durch Pfiffigkeit und Advocatenkniffe dem Gesetze und dem Zuchthause zu entziehen weiß und durch sein Verbrechen reich wird. Er ist dann kein Dieb, sondern nur ein geriebener Mann, vor dem man achtungsvoll den Hut zieht, und sollte es vorkommen, daß ein solcher einmal den Fehltritt beginge, sich fangen zu lassen, so wächst auch über Zuchthaus und Staatsgefängniß Gras, und der Gewitzigte kann recht wohl wieder zu Ehren kommen, ohne daß von ihm verlangt würde, daß er auch ein Gebesserter sein müßte. Der Schreiber kennt einen Mann persönlich, der wegen großartigen Unterschleifs und Diebstahls während des Bürgerkrieges in’s Gefängniß wandern mußte, und der jetzt als vom Volke erwählter Polizeirichter in einer nicht unbedeutenden Stadt der Union in vollem Glanze richterlicher Würde thront. Freilich, es ist ein feiner, gebildeter und sehr gescheiter Mann von guter Familie, glatter Zunge und einnehmendem Wesen, wenngleich um kein Haar besser, als er vor seiner Gefängnißzeit war. Solche Fälle sind nicht allzu seltene Ausnahmen; daß sie überhaupt möglich sind, beweist, auf welch niedrigem Grade das öffentliche Sittlichkeitsgefühl steht. In dieser Abstumpfung des Volksgewissens liegt das Trostlose der Lage; wäre diese nicht so groß, dann würden Reform-Ideen bald Eingang finden und energisch zur Ausführung gebracht werden.

Es thun unserer Zeit Männer noth, die, von selbstloser Liebe zum Vaterlande beseelt, durch die Macht ihrer Rede und durch die Reinheit ihrer Thaten im Stande sind, das Volk aus seinem Schlafe aufzuwecken, anstatt es mit hohlen Phrasen immer tiefer in eine heillose Selbstüberhebung hineinzulügen, Männer von der Tugend eines Washington, von der Weisheit eines Franklin und von der Beredsamkeit eines Webster, Männer, die, zu Leitern großer Bewegungen geboren, das Volk aus seiner Gleichgültigkeit herausreißen, die guten Elemente fest um sich schaaren und so eine durchgreifende Reform in’s Dasein rufen. Bis jetzt sind diese Reformatoren noch nicht erschienen. Stimmen genug, die darnach verlangen, sind laut geworden; redliche Patrioten haben Versuche gemacht, dem Uebel Einhalt zu thun, aber ihre Kraft war der Aufgabe nicht gewachsen; an der Macht der Parteien, welcher der politische Einfluß und das allvermögende Geld fast unbeschränkt zu Gebote steht, ist alles gescheitert. Als in Rom Alles für Geld feil war, als das Partei-Interesse die Liebe zum Vaterlande erstickt hatte, da waren die Tage der Republik gezählt; ihr Glanz erlosch und sie sank endlich in Trümmer.




Bühnen-Erinnerungen.
6. Herzog Karl von Braunschweig als Bühnen-Tyrann.
Von einem alten Musiker.


Trotz der trefflichen Leitung Klingemann’s und der theilweise vorzüglichen Kräfte, welche in Schauspiel und Oper wirkten, mußte das Braunschweiger Nationaltheater am 19. März 1826 nach achtjährigem Bestehen geschlossen werden. Es war eben nicht möglich, bei den damaligen Bevölkerungsverhältnissen der Stadt eine solche Bühne ohne bedeutenden Zuschuß zu erhalten, und den Betheiligten blieb ein Deficit von etwas über siebenzehntausend Thalern zu decken. Am genannten Tage fiel der Vorhang, nachdem Mozart’s „Zauberflöte“ noch einmal Alles, was Sinn für die Kunst besaß, vollzählig versammelt hatte.

Aber nur zwei Monate blieben die Pforten geschlossen, um nach dieser Frist dem Publicum zum Eintritte in das Herzogliche Hoftheater wieder geöffnet zu werden, welches seine Vorstellungen mit der Zauberoper „Die Prinzessin von Trapezunt“ begann. Klingemann behielt die Oberleitung. Was er, unterstützt durch den umsichtigen Regisseur Haake, während seiner Thätigkeit bis zum Jahre 1831 leistete, ist hinlänglich gewürdigt und in den Annalen des deutschen Theaters verzeichnet worden. Er war es zum Beispiel, der am 19. Januar 1829 den Goethe’schen „Faust“ zum erste Male auf die Bühne brachte. Bedeutende Gäste traten unter seiner Directionsführung auf und ihm gelang es auch, den damals auf dem Höhepunkte seines Ruhmes stehenden Heldenspieler Wilhelm Kunst ein halbes Jahr hindurch zu fesseln, eine lange Zeit für den Mann, welcher nirgends auszudauern vermochte. Manche Bewohner Braunschweigs erinnern sich noch, wie der Künstler, der später in tiefster Armuth starb, auf der Straße von Hannover her seinen Einzug in eigener sechsspänniger Equipage mit vollzähliger Dienerschaft hielt. Der regierende Herzog Karl verehrte ihn sehr und unterstützte den stets des Geldes Bedürftigen in außerordentlicher Weise dadurch, daß er sich hinter den Coulissen häufig neben ihn stellte und ihm eine Rolle mit Gold in die Tasche steckte.

Aber auch im Uebrigen, wo es galt, die Kunst zu fördern und die Künstler entsprechend zu honoriren, knauserte der Herzog nicht. Freilich trat auch hier sein Eigenwille – um nicht das Wort Despotismus zu gebrauchen – welcher ihm später den Thron kostete, zu Tage, oft in ernster, oft aber auch in humoristischer Weise. Daß er dabei zuweilen den Kürzeren zog, versteht sich von selbst. In einem solchen Falle fügte er sich indeß ohne Murren in die erlittene Niederlage und machte keinen Versuch, seine Gewalt zu rächender Vergeltung in Anwendung zu bringen. Um ganz gerecht zu sein, muß man bei Allem, was er that, im Auge behalten, daß er kaum dem Jünglingsalter entwachsen war.

Im Allgemeinen war der Herzog der Oper mehr zugethan als dem recitirenden Drama. Er selbst besaß keine unbedeutende musikalische Bildung, spielte gut Clavier und meinte im Besitze einer schönen Tenorstimme zu sein und auch als Sänger glänzen zu können. Zu verwundern ist es deshalb nicht, daß besonders die Mitglieder der Oper und des Orchesters unter seinen Launen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_390.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)