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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Die Corruption des amerikanischen Beamtenthums.
(Schluß.)


Was that nun der Präsident bei dieser Entlarvung seines speciellen Günstlings? Denn das war Belknap. – Als dieser sich am Tage seines Sturzes in’s Weiße Haus begab, um sein Entlassungsgesuch einzureichen, nahm Grant dasselbe ohne Weiteres an und entzog dadurch den Verbrecher der Jurisdiction des Congresses, indem nach dem Gesetze nur ein im Amte stehender Minister vor die Schranken des Senats gefordert werden kann, nicht wohl aber ein schon entlassener. Sein gefügiger Diener, General-Anwalt Pierrepont, erließ aber sofort einen Verhaftsbefehl gegen Marsh, was dieser auch gut genug verstand und schleunigst nach Canada verduftete. Dadurch wurde der Hauptbelastungszeuge, dem selbstverständlich Straflosigkeit hätte zugesichert werden sollen, um den eigentlichen großen Verbrecher zu überführen, der Anklage entzogen, sodaß es jetzt zweifelhaft ist, ob der verdächtige Minister formell überführt werden kann, zumal seine Partei sowohl im Weißen Hause wie im Congresse Alles aufbieten wird, seine Schuld möglichst abzuschwächen und ihn vom Zuchthause zu retten.

Alle diese schmachvollen Ereignisse sind Geschwüre an unserm Volkskörper, die endlich, zum Glücke aufgebrochen sind und die in ihrer moralischen Häßlichkeit wohl Ekel erregen, zugleich aber einen klaren Einblick in die Ursachen der Krankheit gestatten, von welcher die Nation ergriffen worden ist. Wer die socialen und politischen Verhältnisse der Union aus eigener Erfahrung näher kennt, wer die Entwickelung der inneren Zustände dieses Landes während der letzten zwanzig Jahre aufmerksam beobachtet hat, dem kommen solche Thatsachen, wie die oben geschilderten, nicht unerwartet; sie sind ihm ganz naturgemäße Resultate der von Jahr zu Jahr wachsenden, Alles zerfressenden Corruption.

Das amerikanische Volk rühmt sich vieler Eigenschaften, die ihm nicht nur unter den Culturvölkern der Gegenwart eine hervorragende Stellung einräumen, sondern ihm für die Zukunft eine noch weit glänzendere Rolle in der Geschichte der Menschheit zuweisen. Mag dem sein wie ihm wolle, es fehlt ihm, bis jetzt wenigstens, eine Eigenschaft, deren Mangel seinem gesunden Wachsthume sehr hinderlich gewesen ist und viele der Zustände erzeugt hat, die wir jetzt so tief beklagen: der Amerikaner kennt nicht die rechte Mäßigung. Bei aller Thatkraft und bei allem Scharfsinne, die ihn auszeichnen, leidet er an einem Hange zur Excentricität, der ihm das weise Maßhalten in fast allen Beziehungen schwer macht. Dieser Fehler erklärt sich aus der fieberhaften Hast, mit welcher der Amerikaner seine Geschäfte betreibt ohne sich Ruhe und Rast zu gönnen; er zeigt sich ebenso excentrisch im Ueberschreiten des Maßes, wenn er sich einmal für eine Stunde dem Vergnügen hingiebt. Dieser Fehler liegt der schrankenlosen Freiheit zu Grunde, in der er seine Kinder erzieht oder vielmehr häufig ohne alle rechte Erziehung aufwachsen läßt; er hat die bis zur Lächerlichkeit abgöttische Verehrung erzeugt, welche dem weiblichen Geschlechte gezollt wird, in Folge deren die Frau mit solch schrankenlosen Emancipationsgelüsten erfüllt worden ist, daß sie häufig ihrer naturgemäßen Stellung in der menschlichen Gesellschaft ganz vergißt; aus ihm erklären sich die unsinnigen Temperanzbestrebungen, welche auch das Gute, das in ihnen enthalten ist, zum Gespött gemacht haben; er färbt endlich die Religiosität des Amerikaners mit einem Fanatismus, der namentlich den maßvollen, ruhigen Deutschen häufig sehr unangenehm berührt; der düster strenge Puritaner, der überspannte Methodist, der engherzige Baptist, der springende Tunker, der vielbeweibte Mormone, der geisterklopfende Spiritualist, Alle gedeihen hier besser, als sonst irgendwo, während eine ruhigere, in den Schranken der Vernunft und des Gemüths bleibende Religion dem excentrischen Amerikaner nicht genügt. Aus derselben Maßlosigkeit erklärt sich auch die Verbindung von zwei sonst schwer vereinbaren Eigenschaften in seinem Charakter: er vereinigt in sich eine unersättliche Geldgier mit einer ebenso schrankenlosen Verschwendung, und gerade diese beide Laster haben vor Allem die gegenwärtige Corruption erzeugt.

Während des Bürgerkrieges hatten Tausende von Speculanten sich theils auf rechtmäßigem Wege, theils aber auch – und zwar der Mehrzahl nach – durch ungesetzliche und betrügerische Mittel in kurzer Zeit große Reichthümer erworben; es war die Brutzeit der sogenannten Shoddy-Aristokratie, die sich in den auf den Krieg folgenden Jahren zu ihrer höchsten Blüthe entfaltete und die alte, solide ehrenwerthe Geld-Aristokratie an Zahl und auch an äußerlichem Glanze und Schimmer weit überflügelte. Ihr Erfolg reizte andere Tausende zum gleichen Streben, schnell und mühelos reich zu werden; auf die Mittel, wie dies geschah, kam es dabei nicht an. So entwickelte sich schnell und verderbenbringend die Periode der wilden, schwindelhaften Speculation in Eisenbahnen, Minen und allen möglichen anderen Unternehmungen; Millionäre wuchsen allenthalben empor, wie Pilze auf feuchtem Modergrunde über Nacht emporschießen. Aber der Grund, auf welchem diese Reichthümer ruhten, war faul und ungesund, und um ihr Scheinleben zu fristen, mußten die neuen Crösusse zu jeder Art von Betrug greifen. Diese auf’s Höchste gesteigerte Sucht nach Gewinn, die alle Schichten der Gesellschaft ergriffen hatte und der leider durch das Beispiel der höchsten Kreise des Beamtenthums die verderblichste Nahrung gegeben wurde, erzeugte jene unter dem Namen der „Ringe“ bekannten schändlichen Verschwörungen, deren alleiniger Zweck war, das öffentliche Eigenthum zu plündern, und welche das ganze Land wie mit einem unentwirrbaren Netze überzogen. Es war aber durchaus nicht allein die Habsucht, welche diese systematischen Betrüger erzeugte, sondern ebenso sehr und in vielleicht noch höherem Grade die unmäßige Verschwendungssucht, welche ein trauriger Zug des amerikanischen Volkes geworden ist. Was der aufgeblasenen Shoddy-Aristokratie an wahrem innerem Adel, an Geistesbildung abging, sollte durch äußeren Prunk, durch den unsinnigsten Luxus ersetzt werden. Durch palastähnliche Wohnungen, durch kostbare Equipagen und reichgalonnirte Bediente wurden die Gebräuche des Geburtsadels der Alten Welt nachgeäfft; prachtvolle Toiletten, Gold und Juwelen in oft geschmacklosem Uebermaße mußten die Gemeinheit der Manieren, den Mangel alles feineren Tactes verdecken; die luxuriösesten Feste, lucullische Schwelgereien die Abwesenheit geistiger Genüsse ersetzen. Dieses Shoddythum ergriff wie eine ansteckende Krankheit alle Schichten der Gesellschaft. Das glänzendste und verderblichste Beispiel wurde in der Bundeshauptstadt des Landes gegeben, wo die republikanische Einfachheit früherer Zeiten einem Treiben Platz machen mußte, welches dem Hofleben eines Fürsten möglichst getreu nachgebildet wurde. Der Präsident, die Minister, die Senatoren und Staatsbeamten aller Classen wetteiferten mit einander in der Pracht und dem Glanze ihres Auftretens und ihres Haushaltes. Verlangt es doch die Würde der Republik, daß ihre Beamten nicht hinter den hochadeligen Vertretern der europäischen Mächte zurückbleiben, wenn auch die Kosten, die solche Nachäfferei verursacht, vom Volke bestritten werden mußten.

Es ist eine Thatsache, daß nur zwei der Minister des Grant’schen Cabinetes Privatreichthum genug besitzen, um einen solchen Aufwand treiben zu können, ohne zu unredlichen Mitteln zu greifen; alle übrigen, wie z. B. ein Belknap, mußten ihre Einkünfte vermehren, um mitmachen zu können. Dasselbe gilt von den meisten Senatoren und Repräsentanten. So ging es von oben herab durch alle Classen der Gesellschaft hindurch, von der Hauptstadt an bis zum kleinsten Landstädtchen herab; überall dasselbe Streben, einen Luxus um sich zu verbreiten, der in keinem Verhältnisse zu den wirklichen Vermögensumständen stand, es sich gegenseitig zuvorzuthun im Entfalten eines erborgten Pompes, der die innere Hohlheit und Armuth nur mühsam verdeckte. Und wenn die Habsucht das hervorstechende Laster der Männer genannt werden kann, so sind es die Frauen, welche der Verschwendungssucht, dem Luxus, dem Modewahnsinn in oft maßloser Weise fröhnen. Die amerikanische Frau alten Schlages ist eine höchst respectable, oft wahrhaft noble Erscheinung; von der modernen Amerikanerin kann dies nicht immer gesagt werden. An geistiger Regsamkeit und Beweglichkeit, an Witz und Scharfsinn, auch häufig an Liebenswürdigkeit fehlt es ihr keineswegs, an Unabhängigkeit im Auftreten und an Freiheit der Manieren noch weniger, an der anspruchsvollsten Erwartung, alle ihre Wünsche, was Vergnügen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_388.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)