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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Arbeitsamkeit, daß ich ihm gern weiter helfen will. Thun Sie auch das Ihrige!‘ Ein großer Ofen war allerdings erbaut, auch manche Materialien zu der Fabrik waren vorhanden, doch das Innere seiner Thätigkeit hielt der Mensch ja stets verschlossen.

Mehr als ein Jahr war vergangen, und die Unterstützungen hatten in sehr auffallender Weise zugenommen, ohne sichtbare Zeichen von günstigen Erfolgen zu liefern; da erscheint eines Morgens der Aufseher, welchen man ganz in der Nähe des Fabriklocals zur Wahrnehmung jedes verdächtigen Vorganges bestellt hatte, bei Fulda und macht die überraschende Anzeige, Perrissot sei über Nacht plötzlich auf und davon gelaufen und habe alle Thüren fest verschlossen. Die Schlüssel müsse er mitgenommen haben, denn die wenigen Arbeiter hätten heute früh keinen Einlaß gefunden. Fulda erstattet augenblicklich Anzeige von dem Vorgange und wiederholt denselben später mündlich bei dem Landesherrn.

Dieser aber äußert in seiner Milde: ‚Der Mann wird schon wiederkommen; lassen Sie ihm nur Zeit!‘ Aber Fulda ersucht auch das Gericht um Versiegelung der Localitäten, weil er die feste Ueberzeugung hegt, daß der Schwindler nicht wiederkommen werde und er die Verantwortlichkeit eines betrüglichen Resultates nicht tragen will. Die Versiegelung erfolgt und wird höchsten Orts berichtet, aber der gütige regierende Herr erklärt: ‚Perrissot ist kein Betrüger; er wird schon zurückkommen.‘ Aber er kam nicht, und als acht Tage und mehr verflossen waren und Niemand ahnte, wohin der Mensch geflohen sei, da die polizeilichen Verbindungen und Controlen damals noch nicht so ausgebildet waren, nun einen entwichenen Betrüger im Auslande treffen und festnehmen zu können, erhielt Fulda den Auftrag, das Fabriklocal öffnen zu lassen und nachzusehen, was für die dem Entflohenen gespendeten bedeutenden Summen angeschafft, fabricirt und geschehen sei und vom Befunde höchsten Ortes Anzeige zu machen.

Die Gerichtssiegel wurden gelöst und Alles genau nachgesehen und inventarisirt; da war aber nichts als schön tapezirte Zimmer und Schlafcabinets, gute und elegante Möbel und ein immenser Brennofen. Dieser war verschlossen, wurde geöffnet und enthielt in seinem großen Raume nichts als eine Tasse, die offenbar nicht darin fabricirt, sondern in irgend einem Porcellanladen erkauft worden war. Diese Tasse nimmt Bergrath Fulda und bringt sie dem regierenden Landgrafen als einziges Ergebniß der kostbaren Anlage. Der gütige Fürst lächelt, indem er die Tasse in die Hand nimmt. Ohne Zorn übergiebt er sie Fulda mit den Worten: ‚Nehmen Sie das Resultat, Herr Bergrath, als ein Geschenk und Andenken von mir an! Sie haben viel Last und Mühe mit dem leichtsinnigen Menschen gehabt. Es ist eine theure Mundtasse; sie kostet mich mehr als zwölftausend Thaler.‘ Und so war der Vorgang beendigt.“

Scherzhaft ist auch ein Passus aus unserem Buche, den wir im Nachstehenden mittheilen:

„Ein genialer Bruder von mir, der bei einem ausgezeichneten Chemiker damaliger Zeit, dem bekannten Professor Johs. Sch. in Kassel, die Vorlesungen der Chemie mit Eifer und Fleiß hörte, hatte soeben von diesem ein Pulver mitgetheilt erhalten, dessen chemische Kraft, wenn es auf glühende Kohlen zum wohlriechenden Dufte und Dampfe gebracht wurde, sofort jede nicht echte Carminschminke in eine grünliche schwarze, wenigstens dunkle Farbe verwandelte. Dieses interessante Pulver brachte mein liebes Brüderchen, der seiner Behendigkeit und seines angenehmen Wesens wegen allein die Erlaubniß genoß, in der Gesellschaft an der Mutter Seite bleiben zu dürfen, nach Hause und schüttete das Pülverchen auf die glühenden Kohlen der Theemaschine vor der Mutter Platz. Augenblicklich verbreitete sich ein überaus lieblicher Duft um den Damenkreis, aber zugleich auch die böse Einwirkung auf die Wangen. Die eine der Damen zieht ihr feines Taschentuch und bittet nun die Erlaubniß, ihrer lieben Nachbarin vis-à-vis einen dunkeln Flecken wegbringen zu dürfen, der sich soeben auf ihrer schönen Wange etablirt hat, und gerade dasselbe thut diese Dame derselben Nachbarin, und bald muß die ganze Gesellschaft sich mit schwarzfleckigem Gesichte ansehen. An das gefährliche Pülverchen und dessen chemische Wirkung denkt Niemand und am wenigsten meine gute Mutter, die es gar nicht bemerkt hat, wie solches in die Maschine gekommen. Die ganze Gesellschaft geht entrüstet auseinander – auch kein einziges Schminkdöschen war echt gewesen.“

Wir schließen unsere Excerpte aus den erwähnten Erinnerungen mit einer Schilderung, welche die Entdeckung einer unterirdischen Richtstätte der Vehme zum Gegenstande hat.

„Die Jugend,“ heißt es daselbst, „hat stets Gefallen an Abenteuern, und die Zeit des Mittelalters begeistert sie noch jetzt zu Theilnahme und lebhaftem Interesse. Als unser Lehrer uns vortrug, daß die Vehmgerichte zwar vorzugsweise in Westphalen bestanden hätten, daß aber auch in unserm hessischen Vaterlande und namentlich in der Stadt Kassel Spuren derselben vorhanden seien, da brannten wir alle vor Begierde, von diesen unterirdischen Localen in unserer Nähe Kenntniß zu erlangen, und die Folge davon war, daß zehn von uns Mittags nach der Unterrichtsstunde sich vereinigten, die nähere Bekanntschaft dieser unheimlichen Stätten zu machen. Der Lehrer hatte uns gesagt, daß außerhalb des Aue-Thores vor Kassel ein großer Quaderstein mit einer darauf ausgehauenen Rittergestalt den Eingang zu einem solchen unterirdischen Gerichtslocale bildete, daß aber dieser Eingang im Laufe der Jahrhunderte ohne Zweifel ganz verschüttet und unzugänglich geworden sei. Kaum waren die Unterrichtsstunden beendigt, so fanden wir Knaben uns, ohne Jemandem etwas davon zu sagen, am Aue-Thore ein. Den großen Stein fanden wir allerdings nach langem Suchen, aber wie sollten wir ihn hinwegräumen, um den Eingang zu finden? Der Aelteste von uns wußte Rath; er holte zwei in der Nähe arbeitende starke Tagelöhner und versprach ihnen Geld; diese schafften mit Brecheisen und Hebebäumen den mächtigen Stein von der Stelle, wenngleich mit großer Kraftanstrengung und nach Verlauf einer Stunde. Wir hüteten uns wohl, den Arbeitern von unsern Absichten etwas merken zu lassen, lohnten sie ab und entließen sie, ohne irgend etwas zu verrathen.

Wir beriethen nun unter uns, wie wir den Schutt unter dem Eingangsstein wegräumen und den Zugang zu dem unterirdischen Gewölbe, das wir voraussetzten, für uns möglich machen sollten. Alle Geräthschaften, die zu dem Geschäft erforderlich, suchten wir unter der Hand, wo wir solche nur zu finden vermochten, an uns zu bringen, ohne jedoch Jemandem von unserem Vorhaben irgend etwas merken zu lassen, und als wir nun hinreichend mit Allem versehen waren, auch Fackeln und Lichter mit Feuerzeug beisammen hatten, bestimmten wir einen Sonntag früh zum Anfang unseres Vorhabens, weil an solchem Tage kein Mensch außerhalb des Thores zu sehen und wir daher durch nichts an unserer Arbeit gehindert waren. Schon vor vier Uhr Morgens fanden wir uns am Platze ein, und da wir unser zehn starke Buben mit kräftigen Armen waren, so hatten wir den ganzen Schutt bald weggeräumt. Wir fanden wirklich einen Eingang und eine geräumige Oeffnung, deren Tiefe wir durch Leitern mit unseren Hacken und Schaufeln verfolgten und immer weiter verfolgten, bis wir, zu einiger Tiefe gelangt, einen großen Raum fanden. Nun stiegen wir wieder mit Hülfe der Leitern hinauf und versparten die Untersuchung der Localität auf einen der nächsten Abende.

Mit Lebensmitteln und Trinkwasser reichlich versehen, schlugen wir, zehn Knaben von zwölf bis fünfzehn Jahren, den bedenklichen Weg ein, nachdem wir unsere Fackeln und Laternen angesteckt hatten. Der Gang war anfangs so schmal, daß nur Einer mit Mühe Platz fand, bald gelangten wir aber in einen größeren, ausgemauerten Raum und darin vor ein großes eisernes Thor, das zwar nicht verschlossen, aber doch auch nicht offen und daher für uns nicht zugänglich war. Mit unsäglicher Mühe und Kraftanstrengung gelang es uns endlich mit Hülfe der Brecheisen, Hebel und Hacken, die gewaltige Pforte so weit zu öffnen, daß wir einzeln uns durchzwängen konnten. Das war nun, wie wir erkannten, der Sitzungssaal des heimlichen Gerichts, der sogenannte freie Stuhl. In der Mitte ein großer steinerner Tisch und um denselben gegen dreißig bis vierzig eherne Sitze, die im Laufe der Jahrhunderte ganz mit Moos bewachsen waren. In der Mitte und an den beiden oberen Seiten bemerkte man erhöhte Sitze, einen mit einer Art von Rückwand und Verzierung, wahrscheinlich der Sitz des Stuhlherrn, welcher in der Regel ein Fürst oder Graf war, die beiden anderen Sitze der sogenannten Freigrafen und die übrigen der Freischöffen, wie die Besitzer genannt wurden. Rund herum

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_369.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)