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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Ein traditionell verbürgter Streich von Knigge ist folgender. Eine junge Dame am Hofe zu Kassel hatte die Gewohnheit, während der Tafel einen ihrer Schuhe unvermerkt auszuziehen. Knigge hatte dies beobachtet und beauftragte daher einen der aufwartenden Pagen, den ausgezogenen Schuh unter dem Stuhle jener Dame heimlich wegzunehmen. Dies geschieht. Als nun die Tafel durch das Aufstehen der höchsten Herrschaften aufgehoben wird und alle Tafelgäste sich erheben müssen, sucht die beraubte junge Dame mit ihrem Fuße vergeblich nach dem ausgezogenen Schuh und muß, da sie ihn nicht findet, ohne denselben von der Tafel wegtreten und durch den großen Saal in das anstoßende Gemach schleichen, wo der Kaffee servirt wird. Erst jetzt, nachdem sich Knigge an der sichtlichen Verlegenheit der armen jungen Dame hinlänglich geweidet hat, läßt er auf einen gegebenen Wink durch den abgerichteten Pagen den geraubten Schuh mit hohem Absatze auf einem silbernen Teller in Gegenwart des ganzen Hofes der unglücklichen Dame demüthig überreichen.“

Wie unser Gewährsmann ferner erzählt, hatte Knigge als Hofjunker die Verpflichtung übernommen, der lebenslustigen Landgräfin Philippine stets Mittheilung darüber zu machen, wenn der Landgraf beschlossen hatte, den Abend auswärts zuzubringen, damit sie alsdann in ihren Gemächern ihre kleinen phantastischen Gesellschaften ungenirt abhalten konnte. „Da Knigge nun nicht immer Gelegenheit hatte, die Landgräfin ohne Zeugen zu sprechen,“ heißt es weiter, „so sang er der Fürstin eines Sonntags während des Gottesdienstes nach der gerade gesungenen Melodie ‚Ein’ feste Burg ist unser Gott‘ die Worte zu: ‚Heut Abend geht der Landgraf aus.‘

Die Nemesis für all’ diese Streiche blieb aber nicht aus. Die Gemahlin des regierenden Herrn, eine geborene Prinzessin von Brandenburg-Schwedt, die schöne Landgräfin Philippine, hatte längst bemerkt, daß ihre Lieblingshofdame, Fräulein Henriette von Baumbach, eine Neigung für Knigge fühle, und dieser hatte sie, eine überaus gutherzige, aber etwas beschränkte und unschöne Dame, öfters geneckt und zu der Zielscheibe seines Witzes gemacht. Als Knigge nun bei dem nächsten Lever sich wieder so auffallend ihrer lieben von Baumbach nähert und diese auf das Lebhafteste und so ausschließlich unterhält, daß sie bald roth und bald bleich wird, tritt die Landgräfin rasch zu dem jungen Pärchen und sagt ganz laut: ‚Herr von Knigge, Sie ziehen meine gute Baumbach so auffallend vor und ich sehe Sie mit derselben so oft und ausschließend vereint, daß ich doch wohl voraussetzen darf, Ihre Absichten werden ernstlich und redlich gemeint sein.‘

Der gewandte, sonst so dreiste Hofmann ist ganz perplex ob dieser Rede; er erwidert keine Sylbe und macht nur eine Verbeugung über die andere. Aber die kluge Landesmutter durchschaut ihn; sie wendet sich um und sagt zu der glänzenden Versammlung: ‚Meine Damen und Herren! ich freue mich, Ihnen hier ein glückliches Brautpaar vorzustellen.‘ Sie nimmt Herrn von Knigge und ihre Hofdame an der Hand und führt sie vor mit den Worten: ‚Herr von Knigge und meine liebe Baumbach haben sich verlobt.‘ Kein Wort, kein Laut von beiden Seiten; acht Tage darauf war die Trauung.“

Eine amusante Geschichte berichtet unser Autor sodann in Folgendem:

„Der kunstsinnige Landgraf Friedrich der Zweite von Hessen hatte eine ganz besondere Vorliebe für die Bewohner Frankreichs und schätzte die französische Sprache vor allen andern.

Im Jahre 1784 kam ein feiner und artiger Franzose aus Paris nach Kassel, der zwar keine Effecten bei sich führte, aber sehr anständig gekleidet war und sehr gut französisch sprach. Er gab vor, Adressen und Aufträge an des regierenden Landgrafen hochfürstliche Durchlaucht zu haben. Der Landgraf nimmt den Fremdling huldreich auf, und da er bescheiden und sehr gut sich ausdrückt, fragt er ihn auch gleich nach seinem Begehr. Der Pariser überreicht alle seine Legitimationspapiere und erklärt, er sei ein Porcellanfabrikant, habe in seinem Vaterlande viel Erfreuliches von der Vorliebe Seiner hochfürstlichen Durchlaucht für Künste und Wissenschaften hier im Lande gehört und wolle daher um die Erlaubnis bitten, sich in Kassel niederlassen und eine Porcellanfabrik gründen zu dürfen, die hier noch nicht bestehe. Er glaube, daß diese Residenz ganz der Platz zu einem solchen Unternehmen sei, und bitte, ihm ein Local anweisen zu lassen, wo er den Ofen bauen und alles weiter Erforderliche zu der Fabrik anlegen könne. Das Ansprechende des jungen Mannes, seine feine, gute pariser Aussprache und das anständige Wesen und Benehmen desselben überhaupt nehmen den Landesherrn dergestalt für ihn ein, daß er ihm nicht allein sogleich die Bewilligung ertheilt, sondern auch den damaligen Bergrath Fulda in Kassel, einen sehr erfahrenen Techniker, der das ganze Wohlwollen des regierenden Landgrafen besaß und schon mehrere Male in solchen Angelegenheiten beauftragt worden war, alsbald rufen läßt, um ihm das Weitere in dieser Sache aufzugeben.

Bergrath Fulda äußert gleich, daß er den Pariser kenne, daß derselbe schon bei ihm gewesen sei und sein Anliegen vorgestellt habe, daß er aber nicht glaube, daß derselbe die Kenntnisse und Erfahrung besitze, die zur Gründung und Anlegung einer Porcellanfabrik erforderlich seien; auch dürften demselben die nöthigen Mittel fehlen und er daher dem Lande zur Last fallen. Als Local für eine solche Fabrikanlage schlägt übrigens Fulda ein der Stadt zugehöriges Haus in der Weißensteiner Allee vor, welches passend gelegen war und Raum genug zu der Ofen-Erbauung und zu allen weiteren Bedürfnissen darbot. Der gütige Landesherr genehmigte den Vorschlag nicht allein, sondern bewilligte dem Nachsuchenden auch die Concession zur Anlage und zum ausschließlichen Betriebe einer größeren Porcellanfabrik, woran es in der Residenzstadt Kassel und in Hessen überhaupt bisher gefehlt hatte.

Die Wünsche des Parisers sind nun erfüllt und am andern Morgen eilt er in das Schloß, um dem Herrn seinen unterthänigsten Dank abzustatten. Die Beredsamkeit des Beglückten ist so groß und sein Benehmen so einnehmend, daß der Landgraf im Uebermaß seiner Gnade jede mögliche Hülfe und Unterstützung im Voraus zusagt, obwohl auch nicht der geringste Beweis der Tüchtigkeit des Porcellanfabrikanten vorliegt und gar kein Zeugniß von ihm producirt worden war, daß er im Stande und befähigt sei, eine solche umfassende Anstalt gründen zu können. Dies Alles macht den Concessionär – Perrissot ist sein Name – so dreist, daß er schon jetzt um einen gnädigen Geldvorschuß von dreitausend Thalern bittet, indem er vorgiebt, daß seine Fonds aus Paris noch nicht angekommen und theilweise auch noch nicht flüssig seien; später wolle er Alles gern wiedererstatten. Der Landgraf stutzt zwar anfänglich bei der Kunde von der Mittellosigkeit des Bittstellers, doch kann er das Gesuch nicht abschlagen, läßt Fulda wiederum rufen und trägt ihn auf, für die Auszahlung der erbetenen dreitausend Thaler als Vorschuß zu sorgen und dem Perrissot außerdem alle thunliche Unterstützung angedeihen zu lassen, die Thätigkeit desselben aber von jetzt an in sorgsame Aufsicht und Controle zu nehmen und über den Erfolg von Zeit zu Zeit mündlichen Vortrag zu erstatten. Jetzt fing Fulda’s Arbeit und Verantwortlichkeit erst recht an. Er hielt denn Perrissot seine Zweifel gegen die Ausführbarkeit und redliche Durchführung des Zugesagten wiederholt vor und warnte ihn recht eindringlich, den nachsichtsvollen Herrn nicht zu täuschen. Perrissot benutzte die ihm verstattete Stunde nach der Tafel täglich, um dem Landesherrn aufzuwarten, und durfte dann unbehindert seiner Redegabe freien Lauf lassen. Der Fürst mochte seine Gegenwart und seine Sprache zu gern leiden. Und so betrachtete Fulda die Sache als ein Opfer, welches ein Fürst seiner Neigung und seinem Vergnügen bringen dürfe, und hörte auf, mit seinen immerwährenden Zweifeln und Verdachtsgründen beschwerlich zu fallen. Der landesherrlichen Weisung gemäß unterließ Fulda nicht, jeden Tag die Unternehmung Perrissot’s zu beaufsichtigen und sich auch von der Verwendung des empfangenen Vorschusses Ueberzeugung zu verschaffen. Aber der schlaue Franzose fand diese Controle zu lästig und störend und wirkte bei dem milden und nachsichtigen Landesherrn die Erlaubniß aus, ohne alle unmittelbare Aufsicht und Inspection arbeiten, bauen und sein Werk ausführen zu dürfen. Er wußte in günstigen Stunden die Güte und Freigebigkeit desselben nach und nach so weit für sich zu steigern, daß er bald das Doppelte des erhaltenen Vorschusses ausgezahlt erhielt. Der Landgraf äußerte dies dem Bergrath Fulda bei dessen Vortrage mit den Worten: ‚Der Mensch wird uns nicht betrügen; er versichert mir so treu seine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_368.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)