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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

und dann mit Eclat entlassen worden waren; ich wiederhole, daß ich diese Anschauung jetzt als jugendlich unreif verwerfe, weil in solchen Fällen nicht die Ehre des Mannes, sondern die der Frau compromittirt ist.“

Sie wandte ihm mit einem zornflammenden Blicke den Rücken und ließ ihre Finger in leisem, unregelmäßigem Getrommel auf der Tischplatte spielen. „Ich habe Dir nie verschwiegen, daß meine Hand unzählige Male begehrt und erstrebt worden ist, ehe ich mich mit Dir verlobte,“ sagte sie stolz nachlässig, ohne auch nur den Kopf in der Richtung nach ihm zu bewegen.

„Du so wenig, wie alle meine Bekannten,“ fiel er ein. „Du darfst aber nicht vergessen, daß Du das unnahbare Ideal meiner Jugend gewesen bist. Auf der Universität und noch im letzten Feldzuge hat mich der Gedanke angespornt, daß das stolze Herz der Vielumworbenen sich noch Keinem zugeneigt, daß es den hoch beglücken müsse, der es erringe –“ er unterbrach sich – er durfte und wollte sich nicht auf ihre Koketterie beziehen; er verschmähte alle, auch die begründetsten Vorwürfe als Hülfstruppen.

„Und möchtest Du dem entgegen behaupten, ich hätte auch nur Einen aus dem Troß dieser unvermeidlichen Anbeter geliebt?“ brauste sie auf.

Geliebt? Nein, Flora, Keinen von Allen – auch mich nicht,“ rief er, doch wieder fortgerissen. „Geliebt hast Du stets nur die unvergleichliche Schönheit, die gesellschaftliche Tournüre, den vielbewunderten Esprit, den künftigen Ruhm der gefeierten Flora Mangold.“

„Sieh, sieh – die Schmeichelei des Liebenden habe ich stets auf Deinen Lippen schmerzlich vermißt; selbst beim bräutlichen Kosen hast Du nie einen bezeichnenden Schmeichelnamen für mich gefunden – und jetzt, in der Erbitterung zeigst Du mir ein Spiegelbild, mit welchem ich wohl zufrieden sein kann.“

Er erröthete wie ein Mädchen. Es war lange her, daß er den schönen Mund dort nicht mehr geküßt, und doch meinte er, daß es überhaupt geschehen, sei eine Versündigung an der Anderen, die, rein und unberührt an Leib und Seele, sein Frauenideal erst jetzt verwirklichte. Er entzog unwillkürlich sein Gesicht den Augen, die ihn mit einem heimlich lachenden Ausdrucke fixirten, und sah hinaus in den Garten.

Ah, sie hatte ihn im richtigen Moment an schöne Zeiten erinnert – jetzt hatte sie gewonnenes Spiel. „Leo, bist Du wirklich zu mir gekommen, um hart mit mir zu verfahren, um mich anzuklagen?“ fragte sie, rasch zu ihm tretend – sie legte ihre Hand auf seinen Arm.

„Du vergissest, daß Du mich zu Dir beschieden hast, Flora,“ entgegnete er ernst. „Ich wäre nicht aus eigenem Antriebe gekommen – ich habe oben zwei Kranke; Henriettens Zustand ist gegen Morgen bedenklich geworden; ohne Deinen ausdrücklichen Wunsch würde ich sie nicht verlassen haben, so wenig, wie ich in diesen unseligen Tagen voll Angst und namenloser Verwirrung daran gedacht hätte, eine Entscheidung herbeizuführen, wie Du sie vorhin provocirt hast.“

„Eine Entscheidung? Weil ich Dich in kindischem Trotz und Aerger gehen hieß? … Geh’, wie magst Du Mädchenzorn so bitterernst nehmen!“ Das sagte sie, die sonst jede mädchenhafte Regung, als ihres männlich gearteten Geistes unwürdig, verleugnete – mit dieser aalglatt entschlüpfenden Frauenseele war schwer zu rechten.

Dem Doctor stieg das Blut in das Gesicht; sie hatte ihn durch ihre unberechenbaren Einwürfe einen Kreislauf machen lassen – er stand wieder am Ausgangspunkte. „Ich messe Dir auch darin die Schuld nicht bei,“ antwortete er mit unverkennbar hervorbrechender leidenschaftlicher Ungeduld. „Ich habe mich hinreißen lassen, Dir zu gestehen –“

„Ach ja, Du sprachst von Deinem Manneswillen, der mit allen Gefühlsausschreitungen fertig werden müsse – ist er Dir dennoch untreu geworden?“

„Nein, treulos nicht; er hat sich nur einer besseren Ueberzeugung unterwerfen müssen. Flora, ich habe Dir gleich zu Anfang gesagt, daß ich bei meiner Weigerung, unser Verlöbniß zu lösen, von einem falschen Grundsatze ausgegangen sei. Ich wußte damals längst, daß nicht eine Spur wahrer, hingebender Liebe für mich in Deinem Herzen lebte, und auch ich hatte mit meinem Gefühle für Dich vollkommen abgeschlossen, das enthusiastische Bewunderung von der Ferne aus, niemals aber warme, innige Herzensneigung gewesen war – wir hatten Beide geirrt. Zwar litt ich schwer unter dem Bewußtsein, einer liebeleeren Zukunft entgegen zu gehen, ich, dem die Natur ein liebeheischendes Herz gegeben, der ich mir den eigenen Herd nicht ohne die verklärende Familienliebe denken kann, aber ich fügte mich, und Du hast Dich noch rascher mit Deiner vermeintlichen Nebenbuhlerin, meiner Praxis, abgefunden; Du hast die Entfremdung willig sanctionirt, weil sie Dir kein inneres Opfer auferlegte.“

Sie schwieg, und ihre Augen irrten unwillkürlich über den bestaubten Teppich hin – es war ihr unmöglich, dem Sprechenden in das ernste, von tiefer Erregung beseelte Gesicht hinein zu lügen.

„Und ich klammerte mich um so angstvoller an die Unverletzlichkeit meines Wortes, je treuloser meine Gedanken von Dir abirrten –“

„Ah – also doch?“

„Ja, Flora. Ich habe gerungen mit meiner Neigung, wie mit einem erbitterten Todfeinde.“ Ein schwerer, gepreßter Athemzug hob seine Brust. „Ich bin vom ersten Augenblick an hart, grausam mit mir selbst und mit dem Mädchen verfahren, das mir diese unbesiegbare Neigung einflößte. Ich habe jede, auch die unschuldigste Annäherung streng von mir gewiesen – nicht einmal die Blumen, die sie in der Hand gehalten und achtlos vergessen hatte, litt ich in meinem Zimmer. Sie war gern in meinem Hause, und ich wehrte diesem Verkehre, als ob sie mir einen Feuerbrand unter das Dach trage; ich war kalt, unhöflich ihr in das Gesicht hinein, das mich doch entzückte wie noch nie ein Menschenantlitz –“

„Mein Gott, ja – man begreift das! Entzückend für das Auge des Arztes, gesund und rund und weiß und roth, als habe die Natur den Tüncherpinsel dazu genommen.“ Mit diesen Worten wich die Erstarrung, die über die athemlos horchende Frauengestalt gekommen war – sie preßte die geballte Rechte heftig gegen die Brust. „Und ein solches Bekenntniß wagst Du mir gegenüber? Wie, Blumen wirft diese naive Jugend in das Zimmer der Männer, die sie kirren will –“

„Still!“ Er hob die Hand mit jenem gebieterisch zwingenden Blicke, der stets selbst diesen Mund verstummen machte. „Mich überschütte mit Vorwürfen – ich will sie widerstandslos über mich ergehen lassen, vor Käthe aber stehe ich in Wehr und Waffen. Sie hat meine Liebe für sich niemals wissentlich angefacht; sie ist nach Dresden zurückgekehrt und hat nicht gewußt, wie es um mich, wie es um – sie selbst steht. Weshalb sie damals gegangen, das weißt Du am besten. Während man sie von einer Seite drängte, eine Ehe ohne Liebe einzugehen, wurde ihr von der andern erschreckend deutlich nahegelegt, daß sie ihr Zimmer zu räumen und einem hochgeborenen Besuche Platz zu machen habe. Ich war Zeuge dieser unverblümten Ausweisung; um ein Haar hätte ich mich damals vergessen und, der Frau Präsidentin Worte der Erbitterung gesagt, und doch, als die indirekte Aufforderung an mich erging, die Ueberzählige in mein Heim aufzunehmen, da hatte auch ich keinen Raum für sie; ja, sie mußte eine Stunde später vor meinem Hause, wenn auch ohne mein Wissen, mit anhören, wie ich meine Tante ersuchte, den Verkehr mit ihr abzubrechen, so lange ich noch aus- und eingehe. Und da ist sie gegangen, tiefverletzt in ihrem stolzen, festen, und doch so weichen Gemüthe, und ich war barbarisch, nein, unmoralisch genug, um eines falschen Princips, um eines thönernen Götzen willen, der gewisse Ehrbegriffe repräsentirt, in der großen Lüge zu beharren, die ich ihr, mir selbst und der ganzen Welt glaubwürdig zu machen suchte.“

Wie überwältigt von seiner eigenen Schilderung schwieg er sekundenlang; Flora warf sich über das Ruhebett hin und preßte den Kopf zwischen ihre schmalen Hände, als wolle sie nichts mehr hören, aber er fuhr fort: „Ich ließ sie erbarmungslos gehen; ich athmete – nun sollte es besser werden mit mir und meiner inneren Qual – thöricht, thöricht! Ich sah nicht, wie in demselben Augenblicke, wo sie hinter dem Ufergebüsche verschwand, ein Dämon an mich herankroch, der sich festklammerte – es war nicht die Ueberbürdung meiner Praxis, was mich hohlwangig und der Geselligkeit gegenüber finster und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 361. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_361.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)