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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Blätter und Blüthen.

Die „Vineta“ in Südamerika. Wir empfangen aus der Republik Peru folgende Originalzuschrift: „Wenn auch die in fremden Landen zerstreuten Deutschen freudig bekennen, daß ihre Nation, was einheitliche Macht betrifft, nicht mehr hinter anderen Völkern zurückstehe, so schaut doch noch Mancher mit wehmüthigem Gefühle auf die engeren Verhältnisse zurück, welche ihm in ihrer Beschränkung selbst werth und durch eine lange Gewohnheit ehrwürdig geworden. Da zog der Herr Consul von Hamburg an Sonn- und Festtagen seine hübsche Flagge auf und betrachtete vergnügt sein Wappenschild, oder der Herr Vertreter von Bremen machte dem Minister des Auswärtigen einen Besuch und freute sich mittheilen zu können, daß die Beziehungen beider Republiken an Herzlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen, oder Mecklenburg schloß sich am Neujahrstage in großer Gala dem diplomatischen Corps an, um dem Staatsoberhaupte zum Jahreswechsel Glück zu wünschen. Mit den gewaltigen Ereignissen der letzten Jahre ist Deutschland aus der bescheidenen Zurückhaltung getreten, die so lange unser Loos war; die schwarz-weiß-rothe Flagge mit deutschem Aar hat die Sinnbilder deutscher Uneinigkeit verdrängt, und deutsche Vertreter nehmen jetzt überall die Gerechtsame des deutschen Kaufmanns wahr; Deutschland muß jetzt den Ehrenplatz behaupten, den es in gemeinsamen Heldenkämpfen errungen, damit seine Söhne durch die Achtung, die sie unter den Völkern genießen, ihren nationalen Wohlstand befestigen und mit ihrer Macht und Selbstständigkeit die Sicherheit unseres wirthschaftlichen Lebens erhöhen. Ist doch der freie und sichere Verkehr wie auf dem Lande so zur See eine Grundbedingung für den Wohlstand, und ein Volk, welches die Ausfuhr seiner Erzeugnisse und die Zufuhr seiner Waaren, die es von auswärts bezieht, Fremden preisgiebt, wird nicht blos wirthschaftlich ausgebeutet, sondern entbehrt auch der wirksamsten Hebel der Thatkraft. Darum können Kaufleute in fernen Zonen nicht anders als mit aufrichtigster Freude hinblicken auf den Schutz, den die gemeinsame Flagge dem deutschen Handel gewährt, und wohl erklärt dies den Jubel, der die deutsche Colonie von Lima ergriff, als die Nachricht kam: die ‚Vineta‘ wird auf ihrer Fahrt nach China auch unseren Hafen, wenn auch nur auf kurze Zeit, anlaufen.

Um so eifriger rüstete man zur Aufnahme und Bewirthung der deutschen Seeleute. In den Vordergrund trat mit vollem Rechte der deutsche Club ‚Germania‘. Derselbe vereinigt in seinen gemüthlichen Räumen Alles, was nur einigermaßen auf Stellung und Bildung Anspruch macht; unsere lebensfrischen jungen Leute wissen hier Feste zu schaffen, deren geschmackvolle Durchführung und munterer Ton uns überaus anheimeln und vergessen lassen, daß unermeßliche Wasserstraßen uns von der deutschen Heimath trennen. Hier also, wo das deutsche Leben, die deutsche Sitte in besonders hoher Stimmung pulst, fand der vom Vorstande angekündigte Plan, den Officieren der ‚Vineta‘ einen vergnügten Abend zu bereiten, einen jubelnden Wiederhall. Kaum war daher die Corvette in der Bai von Callao vor Anker gegangen, als auch schon eine Deputation des Clubs an Bord erschien und die Einladung zu einem Festabende überbrachte, die von den angenehm überraschten Herren sogleich angenommen wurde.

Bald folgten andere Einladungen. In der Nähe von Lima liegt am Meeresstrande das Landstädtchen Miraflores. Hier, in sandiger wasserloser Gegend, hat sich Herr S. einen prunkenden Sitz errichtet und die trotzige Ungebundenheit der Natur durch Zucht und Regel gebändigt. Besonders verdienstlich wirkte er in Miraflores selbst; durch den belebenden Strom freigebig gespendeter Summen wandelte er den schmutzigen Ort in ein freundliches Seebad um, das besonders von uns Deutschen stark besucht wird. Dieses Miraflores wurde der zweite Mittelpunkt der Feste. Nachdem ein üppiges Mahl in S.’s Hause, an dem die meisten Officiere Theil nahmen, das Eis gebrochen, folgte am nächsten Tage ein Pickenick im Walde, veranstaltet vom deutschen Geschäftsträger, Dr. Lührsen. Unser Vertreter, Hamburger von Geburt, steht mit unseren Landsleuten hier auf dem besten Fuße: ein tüchtiger Jurist, vereinigt er mit einer eifrigen, nie den Einzelinteressen sich versagenden Amtsthätigkeit den jovialen Humor des erfahrenen Welt- und Lebemannes. Am Sonntag Morgen (12. März) trabte eine Gesellschaft von Herren und Damen mit ihren Gästen auf flinken Rossen in scherzender Unterhaltung über die braunen Fluren nach einer benachbarten Hacienda, verbrachte dort, angefeuert zu munterem Wesen durch Ceres’ und Bacchus’ Gabe, einige prächtige Stunden und kehrte dann nach Miraflores zurück, um sich zum Clubfeste vorzubereiten.

Um acht Uhr Abends schlossen die geschmückten Räume des Vereins ‚Germania‘ eine freudestrahlende Gesellschaft in sich; die junge Männerwelt, in der sich die stattlichen Gestalten der deutschen See-Officiere malerisch abhoben, umdrängten den reizenden Kranz der jungen Damen; das wogte und summte so vergnügt durch einander, bis das Zeichen der Glocke den Anfang des Festes verkündete. Ein Lustspiel, trefflich eingeübt, in welchem besonders Herr Clausen durch wohlgelungene Komik fesselte und reichen Beifall erntete, leitete den Abend ein; dann begann der Ball, der in der hellsten, ungetrübtesten Stimmung verrauschte und gewiß unseren Gästen ein schönes Bild der Erinnerung zurücklassen wird. Erst lange nach Mitternacht verhallten die letzten Klänge des Jubels, die letzten munteren Scherze.

Bald nahete die Scheidestunde; am Dienstag Abend wollte die ‚Vineta‘ wieder die Anker lichten. Zuvor noch lud der Commandant, Graf Monts, eine Anzahl Herren und Damen an Bord seines Schiffes zu einem fröhlichen Tänzlein. Freudig wurde der Einladung entsprochen. Da sah man aus den tonangebenden Kreisen der höheren Handelswelt die Chefs der ersten Firmen nebst manchen anderen Deutschen, und die Damenwelt war bei diesem Abschiedsfeste zahlreich vertreten. Bald begann die Capelle der ‚Vineta‘ eine muntere Quadrille aufzuspielen; das junge tanzlustige Volk ordnete sich zu den Figuren, und während aus dem Munde des Capitains von Lindequist die Commandoworte: ‚En avant deux, chaîne des dames‘ erschollen, setzten sich die älteren Herren um eine reichbesetzte Tafel und stießen beim perlenden Rheinwein an auf das vivat, crescat, floreat der jungen deutschen Marine. So verstrich denn schnell in gemüthlichster Unterhaltung die Zeit, und als die Sonne sich in prachtvoller Gluth über den Saum der fernen Gewässer legte, erhob sich Alles zum Abschied; herzliche Worte wurden getauscht, manch’ kräftiger, deutscher Händedruck gewechselt, dann stieg man in die Boote; geschaukelt von den grünen Wogen der sonnenbeglänzten Bai standen nun nochmals die bewirtheten Herren auf und sandten der ‚Vineta‘ aus begeisterter Brust ein hallendes Hoch zu. Und kaum war das letzte Hurrah verklungen, so gab die ‚Vineta‘ donnernd den Gruß aus dem ehernen Mund ihrer Geschütze zurück, zugleich als Ehrensalve für Dr. Lührsen, den Vertreter des deutschen Reichs.

Fahre hin, du wackeres Schiff, unseren Landsleuten in China zur stolzen Freude, zu starkem Schirme, und zeige jedem Feinde deutscher Flagge die mächtigen Fänge unseres Aars!

     Lima, den 28. März 1876.

H. R.“

Zwei Bilder aus Oberbaiern. (Mit Abbildungen S. 347 u. S. 355.) Das stimmungsvolle Bild unserer heutigen Nummer, Professor Thiersch’s „Brautfahrt auf dem Königssee“ erweckt mir lebhaft die Erinnerung an jene schönen Tage von München, wo ich, eben zurückgekehrt von einem Ausfluge zu diesem Könige unter den deutschen Seen, Gelegenheit fand, mich in das naturfrische Gemälde unseres Meisters zu versenken und mich so zurückzuträumen an die schönheitumstrahlten Ufer von Bartholomä. Mit welch vollendeter Kraft schöpferischer Gestaltung hat der Künstler den geheimnißvollen Reiz des See’s nachempfunden! Als ich betrachtend vor seinem Bilde stand, sah ich sie leibhaftig vor mir, die in dem gewaltigen Felsenbecken ruhig fluthenden Wasser, und fühlte mich auf’s Neue hineingezogen in den Zauber dieser herrlichen Landschaft.

Die Tauern flehen im Dunste der heißen Nachmittagssonne, hoch droben die Schönfelsspitze wie in duftigem Schleier. Schweigen ringsum über den Tiefen des See’s, das Gemüth berührend wie die Ruhe eines Kirchhofes. Der Falkenstein stürzt sich steil und jäh in die Fluth – eine melancholische Wand: Tannen umdüstern das Gestein, und dunkler Epheu rankt sich daran empor, das ernste Zeichen eines Kreuzes aber hebt sich leuchtend von dem Felsrücken ab. Es mahnt uns, daß diese blaue Wasserebene wirklich ein Kirchhof ist; denn wer sie befährt, dessen Kiel geht über Gräber hinweg.

Ein Nachen gleitet im Schatten des Falkensteins daher. Drei Menschen sitzen darin, der Fährmann und – man sieht es diesen strahlenden Augen an – ein glückliches junges Ehepaar, das wohl erst gestern am Altare stand. Der sonnenverbrannte Mann aus den Bergen, der das Ruder führt, zeigt mit der markigen Hand zum Kreuze da oben hinauf, und dann erzählt er den Beiden die traurige Geschichte von einem anderen glücklichen Paare – o, ich kenne sie wohl, diese traurige Geschichte. Das war auch so ein blutjunges Paar. Noch hingen wohl von den Blättern des Brautkranzes die Reste in dem blonden Haar des mädchenhaften jungen Weibes; noch perlten vom Hochzeitsweine wohl die verlorenen Tropfen in dem Barte des frischblühenden Mannes. Und dieses junge Glück sollte schon heute enden! Sie standen mit verschlungenen Armen hoch oben auf dem Falkenstein und blickten hinab in die krystallene Fluth des Königssee’s. Ob sie sich wohl fragten, was tiefer sei, die Wasser, die da unten die zackigen Wände des unergründlichen Felsenkessels umspülten, oder ihr holdes, eben erst erwachtes Liebesglück? Da – es war ein entsetzlicher Augenblick – brach ein morsches Erdstück unter ihren Füßen hinweg, und in jähem Falle stürzte tief hinab in die Fluth mit Glückes- und Zukunftsträumen das noch eng umschlossene unselig-selige Liebespaar.

Das war ehedem. Und heute? Der Nachen mit dem andern Hochzeitspaare – wie umfließt ihn das Licht der Nachmittagssonne so heiter! – Das leichte Fahrzeug entzieht sich meinen Blicken. Noch seh’ ich die Furchen, die es in dem stillen Wasser zurückgelassen. Dann verschwinden auch sie. „Seid glücklich, Ihr Zwei!“ ruf’ ich ihnen nach. „Das Glück ist ein flüchtiger Geselle, flüchtig wie das Leben selbst. Ihn haschen und halten, wo er sich zeigt, das ist die ganze schwere Kunst, ach, und wie ohnmächtig sind Menschenhände!“ – –

Das schöne Baierland ist reich an Zaubern der Natur, und das Volk, das in seinen Thälern, auf seinen Höhen und an seinen Seen lebt, es ist von einer köstlichen Ursprünglichkeit, die das Herz des Fremden erquickt und erfreut.

Hat uns das Thiersch’sche Bild einen Blick in die erhabene Natur des oberbairischen Gebirgslandes thun lassen, so führt uns das Conrad Beckmann’sche, das zweite unserer heutigen Nummer, eine Scene aus dem Volksleben von drastischer Naivetät vor – zum Ernste gesellt sich der Humor. Diese „Herrgottswäsche“, wie man das Bild unseres trefflichen Künstlers nennen könnte, ist ein Stück Sittengeschichte, zu deren näherer Erklärung wir dem Meister selbst das Wort geben.

„Das Pfingstfest war schon eingeleitet,“ erzählt der Maler, „als wir, mein lustiger College und ich, die enge Gasse eines oberbairischen Dorfes – was weiß ich, wie es hieß? – durchschritten. Ueberall wurde ‚hergerichtet‘, um das Fest würdig zu begehen. Da scholl es plötzlich an unser Ohr: ‚Komm, Greth, hilf mir den Herrgott tragen!‘, und durch die enge Thür eines Bauernhauses, die steilen Stufen zur Gasse herab, trugen Greth und die alte Mutter ein derb geschnitztes Bild des Gekreuzigten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_357.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)