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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


daß der Kukuk von „Brandelen“, das heißt Rothschwänzchen, ausgebrütet werde, dann ein Jahr lang Kukuk, darauf ein zweites Stoßgeier sei, als welcher er seine Stiefbrüder fresse, und endlich im dritten ein Hennengeier werde.

Ungemein viel Aberglauben knüpft sich ferner an die Raben, die Vögel des Göttervaters Wuotan. Wenn sie in Schwaben in der Luft gegen einander fliegen, so bedeutet das Krieg. Kreisen sie im Oetzthale über einer gewissen Stelle auf der Alm und fahren sie dann plötzlich zu Boden, so geht dort binnen drei Tagen ein Stück Vieh zu Grunde. Allgemein ist der Glaube, daß ihr Krächzen vor oder auf einem Hause einen in demselben zu erwartenden Todesfall anzeige. Die Raben sind die klügsten Vögel; „sie riechen das Pulver in der Flinte“ – sagt man in Tirol. Zu Derendingen in Schwaben weiß man, daß, wenn man Rabeneier ausnimmt, kocht und dann wieder in ihr Nest legt, der alte Rabe eine Wurzel herzubringt, die man sich holen und stets bei sich tragen muß, indem man dann bei allen Käufen und Verkäufen Glück hat. In Tirol herrscht ein ähnlicher Glaube. Nur holt der alte Rabe, wenn er die gekochten Eier findet, aus dem Meere einen Stein, der unsichtbar macht. In dem tirolischen Nonsberg weiß man mehr von diesen Rabensteinen, die sich beiläufig auch in den Nestern von Elstern und Gratschen (Hähern) finden sollen, zu erzählen. Dieselben machen hier nicht blos unsichtbar, sondern verleihen, auf der bloßen Haut des rechten Armes getragen, Glück in allen Dingen. Wer einen solchen suchen will, muß wissen, daß er in gewissen Nestern liegt. Diese aber kann man nur vermittelst eines Spiegels finden, da der Stein Alles, was in seiner unmittelbaren Nähe ist, für den direct darauf gerichteten Blick unsichtbar macht. In Neuvorpommern und auf Rügen ist das Verfahren ein anderes. Wer einen Rabenstein haben will und ein Rabennest weiß, dessen ältere Bewohner bereits hundert Jahre alt sind, der muß hinaufsteigen und einen der jungen Raben tödten, der aber ein Männchen sein muß und nicht über sechs Wochen alt sein darf. Nun steigt man von dem betreffenden Baume herab, merkt sich aber dessen Stelle. Denn gleich darauf kommt der alte Rabe zurück und legt den kostbaren Stein in den Schnabel seines Söhnchens, worauf Baum und Nest sofort unsichtbar werden. Darauf fühlt man nach dem Baume, steigt wieder nach dem Horste des Rabenpaares hinauf und holt sich den Stein. Auf Rügen glaubt man, daß ein solcher Erwerb nur mit Hülfe des Teufels gelinge, dem der Betreffende dafür seine Seele versprechen müsse. Schwäbischer Bauernglaube ist, daß die jungen Raben die ersten neun Tage hindurch nur vom Thau des Himmels leben. Weil sie nämlich nackt und hell sind, so meinen die Alten, es sei nicht ihre Nachkommenschaft, und bringen ihnen kein Futter. Doch sehen sie bisweilen nach dem Neste, und bekommen die Jungen am zehnten Tage schwarzen Flaum an der Brust, so holen sie ihnen das erste Aas.

Eine ähnliche Stellung wie der Rabe nimmt im Volksglauben mancher Gegenden die Elster ein, die in enger Beziehung zu verschiedenem Zauberwerke steht. Sie ist ein Unglücksvogel. Zwar sagt man in Schlesien, wenn sie recht munter „schackere“, das heißt schwatze, so habe man liebe Gäste zu erwarten, sonst aber weiß ihr „Schackschackerack“ nur Unangenehmes zu prophezeien. Wenn in Tirol Elstern um ein Dorf schreien, so hat dasselbe Hungersnoth oder große Sterblichkeit zu erwarten. Fliegen sie um ein Haus, so giebt es darin Unfrieden oder einen Unglücksfall oder auch unwillkommenen Besuch. In Westpreußen und Hessen giebt es in dem Hause, vor welchem eine Elster schreit, an demselben Tage noch Zank und Streit, und in der Wetterau bedeutet der Flug eines solchen Vogels quer über ein Dorf, daß man hier bald einen Leichenzug sehen wird. Wenn neun Elstern beisammen sind, sagt man im Lechthal, so ist unfehlbar eine Hexe darunter. Wer zu Münster im untern Innthale eine Suppe ißt, in der man eine Elster gesotten hat, der wird irre. In der Mark dürfen Elstern nicht geschossen werden, weil das Unglück bringt. Dasselbe gilt in der Wetterau von den Bachstelzen, die in Tirol sich gern bei Kühen aufhalten, „weil sie früher Kühe waren“.

Andere Unglücksvögel sind die Dohlen, die, wenn sie in Schaaren ziehen, in Tirol Sturm, in der Wetterau Krieg verkünden, die Eule, die allenthalben durch Krächzen in der Nähe eines Hauses einen Sterbefall anzeigt, und in der Mark, Schlesien und Oesterreich der Hahn, wenn er in ein Haus hineinkräht. Auch eine krähende Henne bedeutet Unglück; doch kann man dasselbe abwenden, wenn man ihr sofort den Hals umdreht. Wenn ein Hahn sieben Jahre alt ist, legt er ein Ei, aus dem ein Drache entsteht – heißt es in Tirol. Ebendaselbst verheißt es Glück, wenn Einem bei Geschäftsgängen ein weißer Hahn begegnet. Träumt Einem aber von weißen Hennen, so stirbt bald ein guter Freund.

Glücksvögel sind wieder der Kreuzschnabel und das Rothschwänzchen, jener vermuthlich, weil sein Schnabel die Rune Donars bildete, die später als Kreuz aufgefaßt wurde, dieses aus ähnlichem Grunde wie die rothbrüstige Schwalbe, das heißt als Donarsvogel. Der Kreuzschnabel hält im Harze den Blitz von dem Hause fern, in dem er wohnt. In Tirol heißt es, wenn in einem Hause eine Krankheit ausbreche, so fahre sie in diesen Vogel; er schütze ferner die Bewohner desselben vor „bösen Leuten“, das heißt vor Hexen, und das Wasser, in dem er sich gebadet, sei gut gegen die Gicht. Die Rothschwänzchen sind wie die Schwalbe und der Kreuzschnabel ein Schutz vor dem Wetterstrahle, der andererseits Dem in’s Haus fährt, welcher sie tödtet oder ihnen die Jungen aus dem Neste holt. Im Zillerthale wird ein solcher von der Epilepsie befallen; im Oberinnthale giebt alles Vieh des Mörders oder Räubers rothe Milch, und sogar das Wasser in seinem Hause nimmt eine Blutfarbe an; in anderen tirolischen Thälern verliert er die beste Kuh im Stalle; wieder anderswo sagt man, so viele Rothschwänzchen man aus einem Neste nehme, so viele Verwandten stürben Einem in den nächsten zwölf Monaten. An einigen Orten in Tirol haben diese Vögel indeß nicht die Rolle von glückbringenden oder schützenden Vögeln; denn in Absam sagt man: wo „Brandelen“ nisten, schlägt der Blitz ein, und in Schwaz heißt es, in dem Hause, über das ein Rothschwänzchen fliege, sterbe bald Jemand von der Familie.

Der Wiedehopf, „des Kukuks Knecht“, liefert in Tirol ein Zaubermittel. Wer Augen von ihm in der Tasche hat, ist bei allen Menschen beliebt und hat vor dem Richter Glück, und wer den Kopf eines solchen Vogels bei sich trägt, kann von Niemand betrogen werden. Auf ein Feld, auf welchem Wachteln nisten, fällt in der Oberlausitz kein Hagelschlag, und in Schlesien, Hessen, Süddeutschland und Tirol begegnen wir der Meinung, daß dieser Vogel auch Prophetengabe besitze. So viele Male er bei seinem ersten Schlage im Frühjahre ruft, heißt es hier, so viele Jahre bleibt ein Mädchen oder Junggesell noch unverheirathet, oder so viel Gulden oder Thaler wird nach der nächsten Ernte der Scheffel Korn oder Dinkel kosten. Bei Schwaz meint man, wenn ein mit der Fallsucht Behafteter von dem Wasser trinke, in dem ein Gimpel sich gebadet habe, so genese er von seiner Krankheit, und bei Lienz im Innthale herrscht der Glaube, daß in dem Hause, in welchem ein solcher Vogel gehalten werde, Niemand den Rothlauf bekomme. Im Unterinnthale haben auch die Zeisige in ihren Nestern Steine, welche unsichtbar machen, und die man deshalb „Blendsteine“ nennt. Auf der Insel Rügen heißt es von der Nachtigall, dieselbe sei eine verwünschte Schäferin, die ihren Liebsten, einen Schäfer, schlecht behandelt habe, da sie ihn ihre und seine Heerde bis tief in die Nacht hinein habe treiben lassen. Lange schon habe sie ihm versprochen gehabt, seine Frau zu werden, niemals aber Anstalt dazu gemacht, sodaß Jener endlich im Zorne ausgerufen habe, er wünsche, daß sie bis an den jüngsten Tag nicht schlafen könne. So ist’s denn auch – wie die beiläufig nicht aus dem Volksglauben, sondern aus einem Wortspiele entstandene Geschichte weiter berichtet – richtig gekommen: die hartherzige Schäferin kann auch bei Nacht nicht schlafen und singt ihr Klagelied darüber in folgenden Worten:

„Is Tid, is Tid,
To wit, to wit,
Trizi, Trizi, Trizi,
To Bucht, to Bucht, to Bucht!“

Das heißt: ’s ist Zeit, ’s ist Zeit, zu weit, zu weit, Trizi (der Name des Hundes), zur Bucht, zur Bucht, zur Bucht! (der gewöhnliche Schäferruf, wenn der Hund die Schafe im Bogen treiben soll). Darauf pfeift sie noch dreimal und schweigt dann.


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