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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


einfachen Gehalt in die Hände bekommt. Geld also mußte geschafft werden, und der Wege dazu gab’s in so hoher Stellung gar manche. Wie diese Wege aber beschaffen waren, was kümmert das eine Modedame unserer heutigen Gesellschaft, wenn sie nur ihres Herzens Gelüste befriedigt sieht!

Dasselbe Bedürfniß nach mehr Geld mochte auch die liebenswürdige Frau Marsh in New-York empfinden, und so wurde ein Plänchen ausgesonnen, das beiden „Freundinnen“ zugleich helfen sollte. Im Sommer 1870 besuchte Frau Belknap ihre Freunde in New-York. Im Gespräch mit Marsh fragte sie diesen, ob er sich nicht um ein Handelsprivilegium an einem der Militärposten beim Kriegsdepartement bewerben wolle. An allen Militärstationen und Forts, von denen es über zweihundert giebt, meist im Westen in den Indianergebieten gelegen, wird das Privilegium, mit den Indianern Handel zu treiben und die Soldaten mit allem Nöthigen zu versehen, vom Kriegsminister an einzelne Personen vergeben, die dadurch in den Stand gesetzt sind, ihre Waaren zu fast beliebigen Preisen zu verkaufen. Diese Händler sind die schamlosesten Blutegel, die sich am Marke der armen Soldaten und der noch ärmeren Indianer in einem so erstaunlichen Grade dick und fett saugen, daß wahrhaft unglaubliche Summen gezahlt werden, um dieses Privilegium zu erlangen. Zur Zeit des Besuches der schönen Verführerin war der Posten im Fort Sill erledigt, und obwohl der bisherige Inhaber desselben, Evans, sich wieder darum bewarb, erklärte Frau Belknap, wenn Marsh ihn wünsche, so werde sie die Sache beim Kriegsminister in Ordnung bringen. Die Idee leuchtete dem Geschäftsmanne ein, und seiner Gemahlin noch mehr. Er setzte sich also mit Evans in Verbindung und man kam überein, wenn Marsh den Posten bekomme, solle Evans ruhig in seiner Stellung verbleiben, dafür aber dem eigentlichen Inhaber, dem es gar nicht einfiel, sein Leben in New-York mit dem in einem abgelegenen Fort zu vertauschen, einen monatlichen Tribut von tausend Dollars entrichten.

So geschah es denn auch. Marsh bekam den Posten. Evans trieb den Handel im Fort wie bisher, zahlte jährlich zwölfttausend Dollars in monatlichen Raten an Marsh, welcher seinerseits dann jährlich sechstausend Dollars zuerst an Frau Belknap, später an den Kriegsminister selbst als Abfindungssumme einschickte. Und wer waren die Opfer dieses niederträchtigen Schachers eines habgierigen Ministers zum Besten einiger Weiber? Kärglich besoldete Armee-Officiere, arme Soldaten, unwissende Wilde und Einwanderer, die gezwungen waren, ihre Lebensmittel und sonstigen Bedürfnisse an dem Militärposten einzukaufen, und denen das Fünffache des wirklichen Werthes der verkauften Artikel abgefordert wurde. Diese maßlosen Gelderpressungen datiren seit der Amtsverwaltung Belknap’s, nicht nur auf einem Posten, sondern überall. Protestationen von Officieren waren ohne allen Erfolg – der Minister beharrte bei seiner Praxis und beschützte die wucherischen Händler, wo er konnte.

Die ersten Spuren dieser Betrügereien und Bestechungen wurden von dem Congreßcomité bei Prüfung der Rechnungen des Kriegsdepartements aufgefunden. Marsh wurde vorgeladen und legte ein umfassendes Geständniß des ganzen Scandals ab. Er hätte vielleicht geschwiegen, aber hier war die so ersehnte Gelegenheit für Frau Marsh gekommen, ihre Rache an ihrer „Freundin“ zu kühlen. Sie war nämlich, in Folge einer in Paris gegen die Freundin verübten Liebesintrigue, zur Belknap’schen Hochzeit nicht eingeladen worden; dafür hatte sie Rache geschworen; jetzt war ihre Stunde gekommen. Sie bewog ihren Mann, der so ziemlich unter dem Pantoffel der Gestrengen stand, Belknap ohne Rücksicht bloßzustellen, was dieser denn auch pflichtschuldigst that. So erfuhr die Hauptstadt am Morgen des 2. Mai, daß der bisher hochgeachtete Kriegsminister ein Verbrecher sei, der soeben selbst vor dem Comité mit bebenden Lippen zugestanden hatte, daß er die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen nicht leugnen könne.

(Schluß folgt.)




Die Vögel im Volksglauben.
Von Moritz Busch.
Die Schwalbe, ein Glücksvogel. – Der Storch, der Liebling der Familie. – Der Kukuk als Prophet. – Der Rabe und die Rabensteine. – Die Elster, ein Unglücksvogel, wie Dohle und Eule. – Die Glück bringenden Kreuzschnäbel, Rothschwänzchen u. A. – Die Nachtigall, eine verwünschte Schäferin.


Unsere Freunde, die Sommervögel, sind nun vollzählig wieder da. Einer nach dem andern stellten sie sich ein, wie eine nach der andern die Blumen aufblühten. Die Schwalbe baut unterm Thorbogen und an das Fenstergewände ihr Nest, und auf dem Dachfirste klappert ein ernstes Storchenpaar. In den Wipfeln und Hecken der Gärten zirpt und zwitschert vergnügtes kleines Federvolk in bunten Kleidern. Stieglitze und Zeisige, Hänflinge und Meisen, Rothkehlchen und Rothschwänzchen, Drosseln und Laubsänger lassen sich hören. Die Amsel flötet; die Wachtel schlägt ihr „Pickerwick“ im Getreidefelde; aus tausend Kehlen wirbelt über der grünen Saat das Geschlecht der Lerchen den Preis des Frühlings in den blauen Himmel hinein. Im Schilfe am See ertönt das dumpfe Brüllen der Rohrdommeln. Die einsame Haide ist belebt von Stimmen. Auch das Orchester des Waldes ist nun vollständig besetzt. Durch alle Zweige huscht die Farbenpracht seines Gefieders. Liebe und Sehnsucht, Freude an der Morgensonne, hundert andere Empfindungen bilden trillernd, schmetternd, langtönend von allen Schattenplätzen her das Concert der erwachten Natur. An den Säumen und Lichtungen des Waldes lassen Edelfink, Grasmücke und Nachtigall, die Meistersänger der Thierwelt, uns ihren Strophen lauschen. Weiter drinn erfüllt die wilde Taube mit ihrem Girren und Rucksen das dämmernde Dickicht. Der Specht weckt mit schallendem Hämmern den Widerhall zwischen den hohen Stämmen, und aus fernen geheimnißvollen Gründen und Breiten trifft unser Ohr der tiefe Ruf des Kukuks und die helle Stimme des Pirols. Mit dem grauenden Tage beginnt die Musik, nur in den Mittagsstunden wird es still, sodaß auch das niedere Volk der Kerbthiere zu Worte kommt, das nun in der Schwüle sein schwermüthig stimmendes Summen wie das Murmeln eines fernen Meeres vernehmen läßt, bis die sinkende Sonne die Vögel auf’s Neue zum Gesange anregt.

Daß dies Alles sehr artig und anmuthig ist, daß es auf das Gemüth, dem nicht alle Thüren zum Naturgenuß verschlossen sind, einen tiefwirkenden Zauber ausübt, sehen wir auch an dem sogenannten geringen Manne und bei ihm vielleicht am meisten, namentlich, wo Wohnort und Beruf ihn viel in Wald und Feld verkehren lassen. Wer hätte nicht von dem feinen Gehöre des thüringer Waldbewohners und des Harzers gehört, das im Schlage des Finken gegen zwanzig Nüancen unterscheidet und auch anderer vornehmer und gemeiner Vögel Sprache und Musik versteht? Und wer kennt nicht die Rolle, welche die Vogelwelt in unseren Volksliedern spielt?

Weniger an diese Anmuth der Gestalt, der Farbe und Stimme denkt der Volksglaube in Betreff der Vögel, der wie aller Volksglaube im Wesentlichen der neben dem modernen Denken und Empfinden hergehende Nachhall altheidnischer Vorstellungen ist und in einer Anzahl von gefiederten Geschöpfen nicht sowohl schöne als heilige Thiere erblickt. Warum sie heilig sind, weiß er in der Regel nicht. Die Wissenschaft aber weiß es: sie sagt uns, daß sie einst zu den Göttern unserer Urväter in Beziehung standen. Damit wird sich das Meiste erklären, was ich im Folgenden zu einem Gesammtbilde zusammengestellt habe.

Ich beginne mit den Schwalben, über welche das Volk in ganz Deutschland einig ist, daß sie heilige Vögel sind, die Glück bedeuten und nicht beleidigt oder gar umgebracht werden dürfen.

Die Schwalben, wegen ihrer rothen Brust einst wahrscheinlich dem rothbärtigen Gewittergotte Donar heilig, haben nach dem Volksglauben allerlei wunderbare Eigenschaften. In Schwaben heißen sie „Herrgottsvögel“, in Tirol, wo man im Oberinnthal sagt, sie hätten Gott Vater den Himmel bauen geholfen, und ebenso in einigen Strichen Schlesiens „Muttergottesvögel“. Bei Meran ist ihr Erscheinen und Verschwinden durch die Feste der heiligen Jungfrau bestimmt: Sie kommen an Mariä

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_353.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)