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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


und das Fahrzeug lief in die Mangroven, wurde aber noch rechtzeitig freigemacht und kämpfte sich bis zur Flußmündung durch, wo es vor der dort befindlichen englischen Factorei in Sicherheit ankerte. Von den vier Weißen, welche sich an Bord befanden, war keiner verwundet, wohl aber sechs von der Schiffsmannschaft mehr oder weniger schwer, obgleich alle möglichst geschützt gewesen waren.

Eine spätere Besichtigung des Dampfers zeigte, wie heiß es hergegangen war. Er war mit Kugelspuren bedeckt; Taue waren zerschossen; Holz war zersplittert; das Sonnenzelt hing in Fetzen. Als ein Beweis, was Negergeschosse – gehämmerte Eisenkugeln, Nietköpfe, sonstige Metallstücke – leisten können, diene die Thatsache, daß die Bollwerke und Seiten des Fahrzeuges, aus mehr als viertelzölligem Eisen bestehend, an verschiedenen Stellen glatt durchschlagen waren; als Curiosum, daß ein anderes Geschoß, welches ein englisches Militärgewehr – Snider-rifle – von der Seite, einige Zoll unterhalb der Mündung traf, den Lauf nicht nur verbogen, sondern die starke Wand auch vollständig durchbohrt hatte. Dieses interessante Rohrstück befindet sich jetzt in meinem Besitz.

Wir empfingen die erste Kunde von diesen Vorgängen schon am Nachmittage durch die Kanonen der „Fanny“, die wir vom Fluß her hörten; nach Mittag wurden dann die Verwundeten gebracht, um, wie gewöhnlich, bei Herrn Dr. Falkenstein Hülfe zu finden. Die Einbringung derselben bewirkte natürlich einen großen Auflauf im Gehöft; Neger der Umgegend kamen in großer Menge herbeigeströmt; es war sehr auffallend, wie diese sonst so geräuschvollen Afrikaner kleinlaut waren als sie die stöhnenden Opfer sahen, an welchen der Arzt seine Kunst übte. Einige Stunde später erhielten wir von der englischen Factorei am Chiloango die hastig geschriebene Anzeige, daß die Neger im Begriff seien, Landana selbst anzugreifen. Bald darauf hörten wir plötzlich das wohlbekannte Gellen und Jauchzen unserer Leute, welche aus den Plantagen hereinströmten in wildem Kriegsjubel: in Landana wurde geschossen. Wirklich sahen wir auch dort die Rauchwölkchen an den Hügeln hängen und aus dem Gebüsch aufwirbeln; ein Kanonenschuß wurde abgefeuert, und das lange Stück weißen Zeuges flatterte an der Fahnenstange empor: das verabredete Nothsignal.

Die Aufregung, der Tumult in der Station war unbeschreiblich. Diese Menge ganz kriegstoller Leute, die ihre besten Kleider anlegten, die Gewehre an sich rissen und prüften, ihre Macheten – große, säbelähnliche Buschmesser – schnell noch einmal schärften, die dazwischen umherlaufenden Weiber, welche ihren Männern noch einzelne Gegenstände zutrugen, die vielen fremden Neger, welche angstvoll auseinander stoben und das Weite suchten, Rufe, Befehle, welche fast ungehört in dem allgemeinen Stimmengewirre verhallten, dieses Durcheinander von dunkeln Gestalten in ihrer entfesselten Wildheit, einzelne schon mit hochgeschwungenen Waffen den Kriegstanz beginnend – das war ein echt afrikanisches Bild. Und nun brach er wieder los mit seinen mächtigen Accorden, dieser erschütternde Kriegsgesang der Mbalundus, während die Leute, wie das ihre Art war, in geschlossener Masse sich um die deutsche Fahne, ihren „Kriegsfetisch“, schaarten. Die „Cannibalen-Armee“ war wieder einmal mobil. Nun ging es wie die wilde Jagd an dem wie ausgestorbenen Strande entlang; Boten über Boten trafen uns, zur höchsten Eile zu mahnen; ein Haus sei schon fast genommen, hieß es. Als wir den Chiloango erreichten, brach ein heftiges Gewitter los, und wir regneten in der englischen Factorei ein; nach kurzem Aufenthalte setzten wir jedoch in der Dunkelheit über den Fluß, zogen in vollem Regen ganz still nach und durch Landana und besetzten die Mission.

Auf diese war der Angriff der Neger zunächst gerichtet gewesen, obgleich dieselbe natürlich ganz außerhalb aller Streitigkeiten mit den Händlern steht. Die Angreifenden mochten geglaubt haben, die vier dort befindlichen frommen Herren und ihre wenigen zuverlässigen Leute würden sich aus der schutzlosen weitläufigen Besitzung leicht verjagen lassen, hatten sich aber sehr verrechnet, denn diese entwickelten eine Kriegstüchtigkeit, welche, wenigstens für den Augenblick, den Anschlag vereitelte. Auf der Mission wurde nun Kriegsrath gehalten. Selbst jetzt noch waren die Meinungen getheilt. Mancher hätte wohl gern nochmals in alter Weise mit den Negern unterhandelt, um wieder eine kurze trügerische Sicherheit zu erkaufen; zum Unglück lag der erfahrenste und tüchtigste Küstenmann tödtlich erkrankt an schwerem Fieber; erst früh zwei Uhr wurde der einstimmige Beschluß erlangt, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, einem neuen Angriffe zuvorzukommen und bei Tagesgrauen selbst anzugreifen.

Zur festgesetzten Zeit versammelte sich die für die Offensive bestimmte Macht auf der Mission, zehn Weiße und achtundneunzig Crumanos. Letztere trugen als Erkennungszeichen je ein Stück rothes Zeug um den Kopf. Während unsere Leute nur Vorderlader, schwere Militärgewehre, führten und pro Mann nur fünfzehn Patronen hatten – mehr wollten sie gar nicht; das sei genug für einen Krieg –, waren die übrigen Crumanos größtentheils mit vortrefflichen, leichten englischen Rückladern bewaffnet und besaßen Jeder die vier- bis sechsfache Anzahl scharfer Patronen. Bei ihrer Art der Kriegführung waren solche Massen von Munition auch nothwendig. Der beschlossene Angriffsplan, nach welchem wir zunächst die am weitesten landein liegenden Dörfer und dann die übrigen nach der See zu angreifen wollten, wurde geändert, als es hieß, daß auf den Hügeln Bewaffnete von dem nächsten Dorfe, Levula, uns beobachteten. Nachdem das Nöthigste geordnet und namentlich Allen eingeschärft war, sich sofort zu sammeln und das Feuern einzustellen, sobald Herr Lindner auf einem Signalhorne blasen würde, übernahmen wir, mit zwei der streitbarsten Herren von der Mission und unseren Leuten, die Führung, schärften denselben ein, möglichst viele Gefangene zu machen, und rückten aus.

(Schluß folgt.)




Die Corruption des amerikanischen Beamtenthums.[1]


Wenn die bürgerliche Tugend und der moralische Sinn des Volkes der Maßstab ist, mit welchem der Werth eines Landes, seine Wohlfahrt und Lebensdauer gemessen werden muß, so möchten wenige Staaten der civilisirten Welt einen trüberen und hoffnungsloseren Anblick darbieten als die Republik der Vereinigten Staaten im Jubeljahre ihres hundertjährigen Bestehens. Kein Bürger der Union kann, ohne daß ihm die Schamröthe in’s Gesicht steigt, nach den Enthüllungen der letzten Monate daran denken, daß das Auge der ganzen civilisirten Welt gerade jetzt auf sein Vaterland gerichtet ist, welches mit seiner Weltausstellung sich an die Spitze der Cultur und des Fortschrittes stellt und die Nationen der Erde einladet, herüberzukommen, um zu sehen, welche Erfolge in Kunst und Wissenschaft es im ersten Jahrhundert seiner Existenz errungen hat und welche natürliche Hülfsmittel ihm dabei zu Gebote gestanden haben. Je verschwenderischer die Natur dieses Land mit den reichsten Schätzen jeder Art ausgestattet hat, je günstiger die politischen und socialen Verhältnisse für die Entwickelung der Größe und des Wohlstandes des Staates gewesen sind, je freier und ungehinderter der einzelne Bürger sich bewegen und sein Talent, seine ganze Energie zur Geltung bringen konnte, je vollständiger alle Bedingungen gegeben waren, um zu einer wahrhaft gesunden Blüthe in jeder Richtung zu gelangen, desto unverantwortlicher und schmählicher ist es, heute am Ende dieses ersten Jahrhunderts vor einem solch bodenlosen Abgrunde der Corruption stehen zu müssen, in welche das Volk gefallen ist, weil es sich in thörichtem Leichtsinne von verderbten Parteien und von nichtswürdigen Parteiführern von Jahr zu Jahr hat

  1. Um einer etwaigen irrigen Auffassung des obigen Artikels zuvorzukommen, wollen wir den Hinweis nicht unterlassen, daß so ziemlich alle berufenen Beurtheiler der amerikanischen Zustände mit uns darin einig sind, daß die Corruption des Beamtenthums jenseits des Oceans durchaus nicht in der republikanischen Staatsform, vielmehr in der bunten Zusammenwürfelung der heterogensten Bestandtheile der dortigen Gesellschaft, in ihrem Mangel an wahrhaft sittlicher Bildung und einigen anderen tiefgreifenden socialen Zuständen zu suchen ist. Daß Absolutismus und Despotismus nicht vor Beamtencorruption schützen, lehrt uns hinlänglich die Geschichte.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_350.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)