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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


operirt man gewöhnlich nur gegen einen oder einige Händler, sodaß andere sich momentan im Vortheile befinden, denselben ausnutzen wollen und keineswegs geneigt sind, mit den gerade Geschädigten gemeinsam vorzugehen. Ein hierzu verpflichtendes Bündniß besteht allerdings seit langer Zeit, aber nur auf dem Papiere. Unter solchen Umständen summirt sich natürlich die Rechnung der Neger am besten – sie sind stets die Gewinner.

Der Hauptanstifter solcher Streiche ist der Mataenda, ein Häuptling, welcher einen kleinen District mit mehreren theilweise großen Dörfern rings um Landana sein eigen nennt. Er und seine Anhänger haben die Nutzbarmachung der Weißen zu einem anerkennenswerthen System herangebildet, dessen letztes Mittel immer dasselbe bleibt: Flußsperre, bis Bezahlung erfolgt. Ist die Angelegenheit für die Neger wieder einmal befriedigend geordnet, der Fluß geöffnet, so taucht binnen Kurzem ein neues Palaner auf – für Gründe zu diesen sind Schwarze nie in Verlegenheit – welches nun vielleicht ein anderes Haus betrifft, und das alte Stück spielt sich wieder ab.

In Folge der ihnen wenig imponirenden Haltung der Händler wurden diese Flußpiraten im Laufe der Zeit unternehmender und übermüthiger. Endlich wagten sie es sogar, bei einem Geschäftsbesuche in Landana – am 9. December vorigen Jahres – einen Weißen in seinem eigenen Hause zu insultiren, indem sie einen Privateingang mit Gewalt zu öffnen suchten und, als der Besitzer ihnen das verwehren wollte, denselben beschimpften, in’s Gesicht schlugen, ihm die goldene Uhrkette abrissen, dann aber schleunigst entflohen, weil die Crumanos des Letzteren zu den Gewehren eilten, – die leider verschlossen waren.

Die Aufregung in Landana war eine große; man befürchtete sogar einen allgemeinen Angriff der Neger und zog von entfernten Factoreien so viel Bewaffnete wie möglich heran. Auch wir empfingen eine formelle Bitte um Hülfe und sagten unsere Mitwirkung zu, im Falle man nun endlich ernstlich gegen die Eingeborenen vorgehen wolle, um das Ansehen der Weißen hier nachhaltig zu heben. Wir sandten Raketen nach Landana und verabredeten Signale für den Fall der Noth. Unsere kleine Armee war mobil; eine für hiesige Verhältnisse furchtbare Macht, weil jederzeit schlagfertig und durch keinerlei Rücksichten behindert. Unsere kriegslustigen Leute spähten erwartungsvoll aus nach Landana und etablirten Nachts sogar eine Wache vor der Station, um ja die Signale rechtzeitig zu bemerken. Es geschah aber gar nichts von Seiten der Händler, und dieser unter den obwaltenden Umständen beispiellose Vorfall blieb ohne gebührende Vergeltung.

Natürlich wurde nun die Haltung der Neger noch herausfordernder; Landana befand sich in Belagerungszustand, in beständiger Furcht und Aufregung erhalten durch einen Haufen frechen Gesindels. Am 17. December wurden wir durch einen Gesandten im Namen aller übrigen Bewohner Landanas ersucht, am nächsten Tage mit unserer ganzen Macht dorthin zu kommen, da diese unerträglichen Zustände beendet werden sollten. Wir folgten bereitwillig dem Rufe und marschirten am nächsten Morgen ab, Herr Dr. Falkenstein, Herr Lindner und ich mit vierundzwanzig Mann. Herr Soyaux, welcher nach seiner langwierigen Krankheit noch der Schonung bedurfte, blieb mit dem Rest der Leute zum Betriebe der Station zurück. Am Strande flüchteten alle Fischer und Herumtreiber vor unserem stattlichen Zuge.

Unsere Crumanos, welche aus dem fernen Süden stammen und ebensowohl durch einen natürlichen kriegerischen Sinn und persönlichen Muth, wie auch, seitdem sie mit uns und unseren Zwecken vertrauter geworden sind, durch ruhiges Betragen, eine gewisse Gutmüthigkeit und Zuverlässigkeit sich vortheilhaft vor hiesigen Negern auszeichnen, – obgleich sie sonst wild genug und, wie sie gar nicht verhehlen, ganz reguläre Menschenfresser sind – besitzen auch eine ungewöhnliche musikalische Begabung und manche fesselnde eigenartige Melodieen. Eine der bemerkenswerthesten ist ihr Kriegsgesang, ein Wechselgesang von Solo und Chor, vielfach modulirt, je nach den gerade improvisirten Worten, dessen Hauptmotiv, aus unvermittelt auf einander folgenden Mollaccorden bestehend, einen wunderbaren, unter Umständen schauerlichen Eindruck macht, umsomehr als der Rhythmus ein seltsam zögernder ist; die Melodie, klagend und wild zugleich, ist so mächtig packend, daß sich Niemand ihrer Einwirkung entziehen kann. Unter den weitschallenden Klängen dieses Kriegsgesanges rückte die „Cannibalen-Armee“ in dem die deutschen Farben mit allen Flaggen begrüßenden Landana ein.

Hier war man keineswegs einig über die weiteren Schritte. Macht war genug vorhanden, aber der abgehaltene Kriegsrath ließ ihre Verwendung noch unentschieden. Ein wohlbekannter hoher Häuptling, der an den letzten Vorfällen nicht direct betheiligt war, hielt sich in einem nahen Dorfe auf; durch ihn sollte das Ultimatum den übrigen bekannt werden. Er folgte auch dem Rufe, brachte aber, trotz der dies als Friedensbruch ganz speciell verbietenden Verträge, einen Haufen Bewaffneter mit sich. Sein übriges Gefolge drängte ihm nach in das Berathungszimmer, besetzte ungenirt Stühle und Bänke und behielt, wie er selbst, mit herausfordernder Vermessenheit die Kopfbedeckungen auf. Dem Häuptling wurde in sehr bestimmter drohender Sprache mitgetheilt, er habe sofort Boten zum Mataenda zu senden, damit die Hauptschuldigen zur Aburtheilung ausgeliefert würden, andernfalls würden die Weißen mit Gewalt sich Genugthuung verschaffen und Krieg beginnen; er selbst mit den Seinen habe in L. zu bleiben, bis eine befriedigende Antwort einträfe. Der schlaue Neger wußte recht wohl, was er von diesen Bestimmungen zu halten habe. Gegen Abend, als natürlich keinerlei Antwort erfolgte, sagten die Internirten einfach: sie wünschten fort zu gehen, und sie gingen – man ließ sie gehen. Darauf wurde wieder Kriegsrath abgehalten, aber trotz der so bestimmt abgegebenen Drohungen behielten die selbstsüchtigen Handelsinteressen abermals den Sieg, und die Schwarzen triumphirten. Später erst wurde auch noch bekannt, daß zu derselben Zeit ein Händler schon wieder an sie bezahlt hatte, um sich ihre specielle Gunst zu sichern.

Nachdem wir so einige Tage nutzlos verloren hatten, kehrten wir nach Chinchoxo mit der Versicherung zurück, daß wir fernerhin nur dann zu Hülfe kommen würden, wenn Landana brenne oder wir den Kampf dort sehen könnten.

Nun wurden die Neger noch kühner als je zuvor. Eine Woche später war der Chiloango schon wieder gesperrt, aber nicht blos durch Seile, sondern durch eine regelrechte Stockade, auf lange Dauer berechnet und von vielen Bewaffneten geschützt. Ein leeres Boot, welches den Fluß hinauffuhr, wurde vom Mataenda mit der hohnvollen Bemerkung zurückgesandt: der Weiße könne doch nicht verlangen, daß er ein leeres Boot wegnehmen sollte, er möge doch wenigstens ein beladenes schicken!

Eine der Hauptfactoreien hatte schon vor einiger Zeit beschlossen, ihr Haus oben am Fluß zu schließen und die Güter aus demselben herunter zu schaffen. Am 3. Januar traf der kleine, sehr langsame Dampfer „Fanny“ ein, um dies zu bewerkstelligen. Am 5. Januar empfingen wir eine schriftliche Bitte, uns am andern Tage mit zwanzig Mann auf demselben einzuschiffen, da es auf dem Chiloango leicht zu Thätlichkeiten kommen könnte. Natürlich schlugen wir es ab, die Interessen eines einzelnen Hauses zu schützen.

Früh am 6. Januar dampfte die „Fanny“ über die Barre und den Chiloango hinauf. Der Besitzer derselben hatte einen angesehenen Neger, der zu den Uebelthätern gehörte, rufen und, als derselbe erschien, festnehmen und als Geisel an Bord bringen lassen. Als man aber oben am Hause angekommen war und ein großer Haufen von dessen Angehörigen, zum Theil bewaffnet, seine Freilassung verlangte, ließ man ihn auch laufen, statt mit Kartätschen unter die Sippschaft zu schießen. Hätten die Schwarzen nur einmal blutigen Ernst gesehen, so hätten sie nichts weiter zu thun gewagt, namentlich wenn man den Gefangenen später am Steuer festgebunden hätte. Am nächsten Tage waren die Güter an Bord der „Fanny“ untergebracht, und diese trat die Rückfahrt an. Hatten die Flußpiraten vorher die Verpfählung theilweise hinweggeräumt, so hatten sie dieselbe nun eilig um so fester geschlossen und glaubten ihrer werthvollen Beute ganz sicher zu sein. Längs der Ufer im Walde verborgen, theils hinter den Stämmen, theils oben in den Bäumen lauernd, begannen die unsichtbaren Feinde ein heftiges Feuer auf das kleine Schiff; glücklicherweise gelang es diesem nach einigem Arbeiten die Stockade zu durchbrechen. Hierbei wurde der Mann am Steuer durch einige Schüsse schwer verwundet

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 349. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_349.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)