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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

verbarrikadirten sich die Geiseln, durch diesen und jenen Wächter heimlich unterstützt und von der Annäherung der Retter unterrichtet, in ihren Zellen, entschlossen, ihr Leben so theuer als möglich zu verkaufen. Die Bagnokandidaten ihrerseits fanden es mehr nach ihrem Geschmacke, davonzugehen, als eine mehr und mehr gefährlich werdende Blutarbeit zu verrichten. Der „Bürger Gefängnißdirektor“ François hatte zwar eine hübsche Anzahl von Orsinibomben in Bereitschaft, um damit, wie er prahlte, noch im letzten Augenblick die sämmtlichen Geiseln zu vernichten. Aber auch er fand es in der Erinnerung an Züchtlingskleider und Züchtlingskost gerathen, sich davon zu machen, bevor der „letzte Augenblick“ gekommen war.

Die aufgehende Pfingsttagssonne strahlte Trost und Befreiung in die Angst- und Todeshöhle von La Roquette.




Bücher und Büchersammlungen im Mittelalter.
Von Ferdinand Sonnenburg.

Wenn unsere Diplomaten die Großmächte Europas aufzählen, so bringen sie die Zahl derselben, Italien eingeschlossen, auf sechs. Diese Rechnung stimmt nicht; denn nicht mit Unrecht hat man behauptet: die Presse ist die siebente Großmacht, und wahrlich nicht die letzte. Freilich zieht sie nicht mit sausenden Geschossen und mit blanken Klingen in’s Feld, doch ihre Waffen sind nicht minder scharf, und ihre Hülfstruppen bilden ein stattliches und wohlgeordnetes Heer. Bereitwillig öffnet sich ihnen der Prunksaal des Fürsten, das stille Gemach des Gelehrten, das einfache Zimmer des Arbeiters; überall erweist die Presse ihre Macht; überall gedeihen in ihrem Schutze die höchsten Lebensinteressen; überall richtet sie die Blicke der Menschen auf jene Fragen, deren Kreise über der täglichen Arbeit liegen und mit unwiderstehlicher Macht alle Stände und alle Völker, so verschiedenartig sie auch sein mögen, immer mehr zu einem brüderlichen Bunde auf dem freien Gebiete der allgemeinen Menschlichkeit vereinigen werden. Man denke sich die Presse als aus unserem Culturleben geschwunden – müßte nicht dieses selbst damit zusammenbrechen?

Die Presse eine Großmacht! Wir wollen, wie dies bei mächtigen Herrschern ja einmal üblich ist, den Stammbaum dieser Fürstin zu erforschen suchen und die Geister ihrer Ahnen beschwören, daß sie uns Rede und Antwort stehen und uns die bescheidenen Anfänge zeigen, aus denen eine solche Macht sich entwickelte.

Gehen wir nur ein einziges Jahrhundert zurück, so zeigt sich uns statt des breiten, wallenden Stromes, der die Erzeugnisse der heutigen Presse bis in die entlegensten menschlichen Wohnungen trägt, nur ein bescheidenes Flüßchen, dem manche gefährliche Sandbank drohte und dem seine engen Grenzen fest vorgezeichnet waren. Zur Zeit Friedrich’s des Großen hatte Berlin zwei kleine Zeitungen, die nicht einmal täglich erschienen, und vor dem achtzehnten Jahrhundert gab es keine allgemeiner verbreiteten Schriften, als die Kalender oder Almanache, die einmal jährlich ihren langsamen Botengang antraten und in ihrer Reisetasche kaum etwas anderes mit sich führten, als Regeln für Ackerbau, für Aderlassen und ähnliches.

Ein völlig neues Gebiet aber thut sich auf, wenn wir bis in die Zeit vor Erfindung der Buchdruckerkunst zurückgehen. Die Gestalten, in denen das literarische Leben sich damals zeigte, bieten des Seltsamen und Interessanten außerordentlich viel. Die eigentlichen Zufluchtsstätten des Bücherwesens waren damals die Klöster, vorzugsweise diejenigen der Benedictinermönche, welche durch die Observanz ihres Gründers zum Abschreiben ausdrücklich angehalten wurden. Ueber alles, was bei dieser Beschäftigung in Betracht kam, wollen wir in der Kürze Aufschluß geben, und nur bei einigen besonders interessanten Punkten etwas länger verweilen.

Die ersten, welche die Schreibkunst in Deutschland verbreiteten, waren irische Mönche. Sie hatten ihre Ausbildung von römischer Hand genossen; ihre Betriebsmittel waren dieselben, mit denen das römische Alterthum arbeitete. Sie fanden unter den Deutschen die sogenannte Runenschrift vor, über welche sich nichts Genaueres feststellen läßt. Wahrscheinlich bezeichnete, wie noch heute bei den Chinesen, jedes Runenzeichen ein ganzes Wort. Man schnitt die Runen mit dem Messer in einen Stab oder ein Täfelchen von weichem Holz ein; die Täfelchen überzogen die Mönche später auch wohl nach römischer Weise mit weißer Farbe – daher der Name Album. Das Einschneiden war unbequem; die Mönche brachten die römischen Wachstafeln in Gebrauch, auf welche man mit einem Griffel von Holz, Elfenbein oder Metall schrieb. Die Griffel waren einen Fuß lang und darüber, und müssen recht kräftig gearbeitet gewesen sein, denn der fromme Kirchenvater Prudentius erzählt in seinem neunten Hymnus, daß die Schüler des Cassianus ihren Lehrer mit den Griffeln tödteten.

Nach der Angabe des Franzosen Leboeuf waren die Wachstafeln bis zum sechszehnten Jahrhundert im Gebrauche. Man vereinigte auch wohl mehrere Tafeln durch Bänder, und nannte sie dann Codex, ein Wort, welches ursprünglich ein Stückchen Holz bezeichnet und später auch auf Pergamentblätter, die zusammengebunden waren, übertragen wurde. In alter Zeit bezeichnet dieses Wort Codex den Gegensatz zu dem einzelnen Pergamentblatte, das man zusammenrollte und daher Volumen nannte; auch eine größere Anzahl von einzelnen Blättern, die zusammengeheftet waren, konnten ein Volumen bilden. Die beiden Ausdrücke Codex, mit festen Deckeln wie die heutigen Bücher, und Volumen, gerollte Blätter, zuweilen in eine runde Kapsel eingeschlossen, bezeichnen also die äußere Gestalt der Bücher. Die Form des Volumen findet sich noch jetzt bei den Gesetzesrollen der Juden, deren einzelne Blätter nach besonderen genauen Vorschriften durch Nähen an einander befestigt werden.

Als Schreibmaterial mußte das Album und die Wachstafel bald dem Pergamente weichen, das man in Deutschland nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, aus Eselshäuten, sondern aus Kalbsfellen bereitete, welche geölt und geglättet wurden. Die Farbe des Pergamentes war weiß, zuweilen auch violett oder gelb. Sein Preis war ziemlich hoch, und um zu sparen, schabte man wohl einzelne Blätter, ja sogar ganze Bücher, mit Bimsstein ab und beschrieb sie auf’s neue. Die Bibliothek in Wolfenbüttel besitzt die gothische Uebersetzung des Briefes an die Römer von Ulfilas, auf welche eine Schrift des Isidor geschrieben ist. Beide Schriften sind noch zu lesen. Derartige Schriftstücke, Palimpseste genannt, finden sich bis zum vierzehnten Jahrhundert. Von dieser Zeit an lieferten die verschiedenen Papierarten ein billigeres Schreibmaterial. Doch hörte der Gebrauch des Pergamentes mit der Einführung des Papieres keineswegs auf; noch im sechszehnten Jahrhundert druckte man umfangreiche Bücher ganz auf Pergament.

Das erste Papier brachten Araber aus dem Orient nach Spanien; von dort verbreitete es sich über die europäischen Länder. Es war aus roher Baumwolle verfertigt, weich und dick und dem Pergamente ähnlich und mußte, wenn es zum Schreiben benutzt werden sollte, stark geglättet werden. Die ältesten Documente auf diesem Baumwollenpapier, die man in Deutschland verwahrt, sind päpstliche Bullen über das ehemalige Kloster Gandersheim im Herzogthum Braunschweig, aus dem Jahre 844. In der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts verschwindet dieses Papier, das auch den Namen „griechisches Pergament“ führt, da man es aus Constantinopel über Venedig zu beziehen pflegte.

Verdrängt wurde es von dem Leinenpapier, dessen erster Erfinder nicht bekannt ist, obwohl man über diesen Punkt weitläufige Untersuchungen zu verschiedenen Zeiten angestellt hat. Das älteste beschriebene Leinenpapier ist ein Document der kaiserlichen Bibliothek in Wien aus dem Jahre 1243. Die Echtheit desselben hat man, wie es scheint ohne Grund, angezweifelt. Die Städte Kaufbeuren und Nürnberg besitzen Urkunden auf Leinenpapier aus den Jahren 1318 und 1319. Von dieser Zeit an wurde der Gebrauch desselben immer allgemeiner.

Um Pergament und Papier zu beschreiben, bediente man

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_335.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)