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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

übermorgen kam „der letzte Augenblick“, wo die stolze, herzlose Schwester neben ihm stand, im weißen Atlaskleide, um – „die Salonrepräsentantin des berühmten Mannes“ zu werden. Hatte sie einst schwerer gekämpft, die schöne, blonde Edelfrau, als das Mädchen, das jetzt, bitterlich weinend, die Arme um den schlanken Stamm legte und an die rauhe, harte Rinde die Stirn preßte, bis sie ihr schmerzte? Jene war geliebt worden, und wenn auch verlassen, traf sie keine Schuld, hier aber nagte an dem Herzen einer Ungeliebten sündhafte Eifersucht, und die sie beneidete, war – die eigene Schwester.

Starke Männerschritte hinter ihr machten sie aufschrecken. Der Müller Franz ging mit einer über die Schulter gelegten Eisenstange vorüber, um nach dem oberen Wehre zu sehen, wie er sagte. Diese Begegnung, die ihr das Blut in das Gesicht trieb, scheuchte sie von ihrem Lauscherposten, und während Franz rasch weiter eilte, ging sie langsam am Ufer hin. Sie konnte sich noch nicht entschließen, in die Villa zurückzukehren – mit ihrer Toilette für heute Abend war sie ja längst fertig, ehe Henriette, die trotz ihrer Hinfälligkeit um jeden Preis dem Festspiel beiwohnen wollte, ihren armen, elenden Körper so geschmückt hatte, daß die Spuren der verheerenden Krankheit weniger hervortraten.

Adolf Neumann.
Von ihm selbst gezeichnet.


Hier war es so köstlich einsam. Niemand sah ihre gerötheten Augen, und wie sie zornig mit ihrem widerspenstigen Herzen rang, mit ihrer sündigen Sehnsucht, die sie hierher getrieben hatte – ja, sie allein – Schande über sie, wenn sie sich selbst anlog und ihr leidenschaftliches Verlangen beschönigte! Nicht das traute Haus, nicht die liebenswürdige alte Frau drinnen hatte sie wiedersehen wollen, und es war auch nicht ihre feste Ueberzeugung gewesen, daß er nicht daheim sein könne – sie hatte es doch gehofft, und nun, wo sich ein anderes Gesicht als das seine am Eckfenster gezeigt hatte, war ihr das traute Fleckchen Erde öde und sonnenverlassen erschienen.

Der voranschreitende Müller war ihren Blicken entschwunden – sie kam der Ruine näher. Der Wasserring glitzerte von ferne und das auseinandertretende Gebüsch ließ sie den eleganten Brückenbogen übersehen, der sich über den Graben schwang. … In diesem Augenblicke beschritt ihn vom Thurme her ein Mann mit großem, rothblondem, tief auf die Brust hinabreichendem Vollbarte. Er trug eine blaue Arbeiterblouse unter dem lässig übergeworfenen Rocke und jagte mit seinem Stocke die zwei Rehe vor sich her. Sie stoben förmlich über die Brücke und flohen in den Park hinein.

Käthe würde den Mann nicht weiter beachtet haben – Handwerker verkehrten ja oft im Thurme – wenn sein Gebahren sie nicht stutzig gemacht hätte. Der Commerzienrath liebte die Rehe zärtlich; er konnte sehr böse werden, wenn er eines im Parke umherirrend fand – und nun jagte der Fremde die scheuen Thiere geflissentlich über das Wasser! War er einer jener Erbitterten, die dem beneideten Reichthume Schaden zufügen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_331.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)